Genchirurgie: Briten erlauben Genmanipulation an menschlichen Embryonen
Zu Forschungszwecken soll das Erbgut verändert werden, eine Schwangerschaft ist nicht vorgesehen. Deutsche Forscher fordern: Die Gesellschaft muss diskutieren, ob sie so etwas will.
Erstmals weltweit hat eine Behörde erlaubt, menschliche Embryonen mithilfe der Genchirurgie zu Forschungszwecken zu verändern. Wie das Francis-Crick-Institut in London am Montag mitteilte, habe die Human Fertility and Embryology Authority (HFEA) einen entsprechenden Antrag von Kathy Niakan genehmigt. Abgesehen von Experimenten in China, die 2015 publik wurden, dürften die Londoner Versuche die ersten Genmanipulationen mit dieser Technik an menschlichen Embryonen weltweit sein. Nach Angaben des Instituts muss noch eine Ethikkommission zustimmen. Das gilt als wahrscheinlich. In den nächsten Monaten könnten die Tests beginnen, heißt es.
Nach sieben Tagen sollen die Embryonen zerstört werden
Die Forscher wollen untersuchen, wie sich menschliche Embryonen unmittelbar nach der Befruchtung entwickeln. Dazu sollen bei Embryonen, die sich noch im Ein-Zell-Stadium befinden, bestimmte Gene mithilfe der Crispr-Methode gezielt „ausgeschaltet“ werden. Nach sieben Tagen sollen die Embryonen, die dann aus bis zu 256 Zellen bestehen und eine Blastozyste bilden, zerstört werden, um herauszufinden, welche Folge das Stilllegen der Gene auf die Entwicklung gehabt hat.
Es handelt sich um Grundlagenforschung und ist nicht vorgesehen, die Embryonen in die Gebärmutter einer Frau einzusetzen. Die Resultate sollen den Forschern zufolge einmal Eltern helfen, deren Kinderwunsch nicht in Erfüllung geht. Denkbar wäre, dass im Zuge der Präimplantationsdiagnostik Embryonen mit bestimmten Gendefekten gar nicht erst eingesetzt werden oder dass Nährmedien, auf denen Embryonen nach einer künstlichen Befruchtung heranwachsen, basierend auf den Erkenntnissen von Niakan und Kollegen verbessert werden.
Die Forscher benötigen rund 120 Embryonen
Die Wissenschaftler wollen zunächst drei bis vier Gene und deren Wirkung genauer untersuchen. Sie schätzen, dass sie dafür etwa 120 menschliche Embryonen benötigen. Es sollen solche verwendet werden, die nach einer Kinderwunschbehandlung von den Eltern nicht mehr benötigt und für die Forschung zur Verfügung gestellt werden.
Genetische Veränderungen an menschlichen Embryonen sind umstritten. Sie betreffen nicht nur das Kind selbst – sofern es ausgetragen wird. Da sie in den Keimzellen stattfinden, werden sie auch an Kinder und Kindeskinder weitergegeben. Experten fürchten, dass Genmanipulationen nicht nur jene Regionen des Erbguts treffen, auf die es die Wissenschaftler abgesehen haben. Möglicherweise werden auch weitere Erbgutabschnitte verändert. Das ist auch bei den Experimenten der chinesischen Forscher geschehen, die 2015 von ihren Versuchen berichtetet hatten. Sie wollten das Gen für Thalassämie, eine Blutkrankheit, verändern. Der Versuch war nicht sehr erfolgreich. Zudem zeigte sich, dass infolge der Prozedur noch weitere, unbeabsichtigte Genveränderungen aufgetreten waren.
In Deutschland wäre diese Forschung nicht möglich
Die aktuelle Entscheidung der HFEA wird zumindest von britischen Forschern zumeist positiv aufgenommen. „Sie ist ein Sieg einer ausgewogenen Regulierung gegenüber moralischer Panik“, sagte etwa Sarah Nocross vom Progress Educational Trust.
In Deutschland wäre diese Art von Forschung aufgrund des Embryonenschutzgesetzes nicht möglich, sagt Jörn Walter, Genetiker an der Universität Saarbrücken und Koautor einer Analyse zur Genomchirurgie beim Menschen, die von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften 2015 veröffentlicht wurde (hier geht es zum PDF). „Aus Sicht der Grundlagenforschung können uns solche Versuche helfen, weitere Erkenntnisse zu gewinnen, auch darüber, wie zielgenau die Genomchirurgie überhaupt arbeitet“, sagt er. „Aus moralischer Sicht würde ich solche Experimente aber nicht machen.“
Peter Dabrock, Theologe an der Universität Erlangen-Nürnberg und stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Ethikrates, sagt, dass die genannten Versuche klar durch das britische Recht gedeckt seien. Es erlaube Forschung an Embryonen bis zum 14. Tag, sofern sie nicht einer Frau eingesetzt werden. „Etwas anderes ist es, wenn genetisch veränderte Embryonen eingesetzt werden, um eine Schwangerschaft herbeizuführen. Als Gesellschaft müssen wir unbedingt darüber diskutieren, ob wir das grundsätzlich ermöglichen wollen oder nicht.“ Daher soll das Thema auch auf der Jahrestagung des Ethikrates im Juni diskutiert werden.
Jens Reich zu Eingriffen in die Keimbahn: "Keine entscheidenden moralischen Einwände"
Auch Jens Reich vom Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin betont, dass unbedingt über den möglichen Einsatz der Genomchirurgie in menschlichen Embryonen diskutiert werden muss - gerade für den Fall, dass Veränderungen nicht nur beim Embryo wirksam werden, sondern auch bei dessen Kindern und Kindeskindern. Als ehemaliges Mitglied des Ethikrates und Leitautor der BBAW-Stellungnahme zum Genome Editing kennt er die Vielzahl der Argumente in der Debatte und sagt: "Wenn es darum geht, eine schlimme Erkrankung wie Chorea Huntington zu verhindern, und zwar auch für die weiteren Nachkommen, sehe ich keine entscheidenden moralischen Einwände." Voraussetzung sei, dass die Forscher die Technik soweit im Griff haben, dass sie Gendefekte zielgerichtet beheben kann und es keine weiteren Nebenwirkungen gibt. Reich hebt hervor, dass es bei diesen Eingriffen in die Keimbahn nicht um Eugenik geht, bei der die Erbanlagen einer ganzen Population in eine bestimmte Richtung hin verändert werden soll. Stattdessen handele es sich um Einzelfälle, bei denen bestimmte Mutationen zurückgenommen würden.
Dem aktuell geplanten Tests in London steht er kritischer gegenüber. Niakans Team will Embryonen verwenden, die bei einer Kinderwunschbehandlung übrig bleiben und andernfalls vernichtet würden. "Die ursprüngliche Intention, diese Embryonen herzustellen, ist eindeutig, dass daraus ein lebender Mensch werden soll", erläutert er. Die geplanten Tests zielten aber auf eine deutlich andere Anwendung und ihre Zerstörung sei von vornherein eingeplant. "Wenn ich ein junger Forscher wäre, hätte ich erhebliche Skrupel damit zu arbeiten", sagt er. "Wahrscheinlich würde ich es nicht tun."