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Die Biontech-Gründer haben gute Nachrichten für Kinder und Eltern.
© imago/Sämmer
Update

„Es kann jetzt sehr schnell gehen“: Biontech kündigt Impfstoff für ältere Kinder ab Juni an

Zwölfjährige könnten schon Anfang Juni geimpft werden, hofft Biontech-Gründer Sahin, kleinere Kinder dann ab September. Auch Minister Spahn ist optimistisch.

Je weiter die Impfkampagne in Deutschland voranschreitet, desto mehr stellt sich die Frage, ob, wann und mit welchen Präparaten auch Kinder vakziniert werden sollen. Hintergrund der Frage ist, dass zwar nach derzeitigem Stand tatsächlich eine Mehrheit der Erwachsenen bis zum Sommer geschützt sein könnte. Kinder aber könnten weiterhin den Folgen einer Corona-Infektion ausgesetzt sein.

Die Gründer der Mainzer Firma Biontech, Ugur Sahin und seine Frau Özlem Türeci, haben deshalb eigenen Aussagen zufolge in den vergangenen Monaten mit Hochdruck an einem Impfstoff für Kinder gearbeitet. Für alle Altersklassen ist eine Zulassung bei der Europäischen Arzneimittelbehörde Ema bis September geplant.

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Jetzt hat Sahin erfreuliche Nachrichten für alle Eltern. „Wir sind auf gutem Weg, diese Ziele zu erreichen“, sagte der Biontech-Chef dem „Spiegel“. Und: Die „ermutigenden Ergebnisse“ der Studien deuten Sahin zufolge darauf hin, „dass Kinder durch die Impfung besonders gut geschützt sind“.

Ein Impfstoff für Kinder könnte also viel schneller zur Verfügung stehen als erwartet. Bereits im Juni könnte ein Biontech-Vakzin für Schülerinnen und Schüler ab zwölf Jahren zugelassen werden, im Herbst dann auch für alle jüngeren Kinder ab sechs Monaten.

„Wir glauben, dass es jetzt sehr schnell gehen kann“, sagte Sahin. „Die bisherigen Beobachtungen zur Verträglichkeit wie auch zur Wirksamkeit sind ermutigend.“ Schon am nächsten Mittwoch soll bei der Ema die Zulassung des Vakzins für die Gruppe der ab Zwölfjährigen beantragt werden.

Nach der Ankündigung von Biontech stellte auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn Corona-Impfungen für über Zwölfjährige im Sommer in Aussicht. „Stand heute, wenn nichts Ungewöhnliches passiert: Spätestens in den Sommerferien werden wir die über Zwölfjährigen dann impfen können, wenn die Zulassung da ist“, sagte der CDU-Politiker in Berlin.

Im Spätsommer Antrag auf Zulassung für Jüngere

Da Kinder eine etwas andere Physiologie als Erwachsene haben, müssen Arzneimittel für sie gesondert erforscht und zugelassen werden. Sahin sagte weiter: „Wir haben schon die Studiendaten für die Zwölf- bis 15-Jährigen in den USA für die bedingte Zulassung eingereicht“, in Europa sei man „in den letzten Zügen“.

Für unter Zwölfjährige laufe derzeit eine zweite klinische Studie, die weit fortgeschritten sei. „Im Juli könnten könnten erste Ergebnisse für die Fünf- bis Zwölfjährigen, im September für jüngere Kinder vorliegen, die Auswertung dauert etwa vier bis sechs Wochen“, sagte Sahin. „Wenn alles gut geht, können wir, sobald die Daten ausgewertet sind, in verschiedenen Ländern den Antrag auf Zulassung des Impfstoffs für alle Kinder der jeweiligen Altersgruppe einreichen.“

Sahin ist zuversichtlich, weil nach den bereits vorliegenden Studiendaten der Impfstoff bei älteren Kindern ab zwölf Jahren zu 100 Prozent wirksam und gut verträglich war. Ab Anfang Juni könnten demnach die ersten Schulkinder geimpft werden. „Es ist sehr wichtig, Kindern eine Rückkehr zum Schulalltag sowie Treffen mit Familie und Freunden zu ermöglichen“, so Sahin.

In der Pandemie hatten auch Kinder- und Jugendmediziner wiederholt vor den Folgen der Schließungen von Kitas und Schulen gewarnt. Diese Einrichtungen seien für Kinder „systemrelevant“ betonten die Wissenschaftler. Zwar liegen noch keine wissenschaftlich abgesicherten Daten vor, aber Studien legen die Vermutung nahe, dass Kinder deutlich mehr unter seelischen Langzeitfolgen leiden als Erwachsene, da ihnen die sozialen Kontakte deutlich stärker fehlen.

Kinder aus sozial schwachen Haushalten schwer getroffen

In einer repräsentativen Onlinebefragung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf gaben 40 Prozent der Elf- bis 17-Jährigen an, dass sich ihre Lebensqualität in der Pandemie verschlechtert habe, 44 Prozent klagten über Schlafstörungen, ein Drittel über Niedergeschlagenheit.

Besonders betroffen sind Kinder aus armen und bildungsschwachen Haushalten. Während der Corona-Pandemie hat zudem die Gewalt in Familien anscheinend zugenommen - vor allem dort, wo es schon vorher Probleme gab. „Die Luft wird dünner, und die Menschen explodieren schneller“, sagte der Gründer des Kinderprojekts Arche, Bernd Siggelkow, am Donnerstag der Nachrichtenagentur dpa.

„Der Stresspegel ist hoch und die psychische Belastung für Kinder immens“, so der Leiter der Arche, die an 27 Standorten in ganz Deutschland Angebote für Kinder aus benachteiligten Familien schafft. Die Kinder seien aggressiver untereinander und gegenüber ihren Eltern.

Bekommen Eltern Priorisierung beim Impfen?

Repräsentative Daten, die eine Zunahme der Gewalt in Familien während der Pandemie belegen, liegen dem Ulmer Experten Jörg Fegert zufolge bislang nicht vor. Doch nach dem Ende des ersten Lockdowns habe die Medizinische Kinderschutzhotline einen deutlichen Anstieg der Anrufe verzeichnet, so Fegert, der die Hotline leitet. Dort können sich etwa Ärzte, Psychotherapeuten und Mitarbeiter der Jugendhilfe melden, wenn sie kollegiale Beratung bei Verdacht auf Kindesmisshandlung wünschen.

Auch das bundesweite Sorgentelefon „Nummer gegen Kummer“ verzeichnet eine deutliche Zunahme von Anrufen von überlasteten Eltern und Kindern mit Problemen. Gewalterfahrungen seien im Pandemiejahr 2020 von Kindern und Jugendlichen häufiger thematisiert worden als 2019, berichtet Sprecherin Anna Zacharias.

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Der Präsident des Berufsverbands der Kinder und Jugendärzte (BVKJ), Thomas Fischbach, nannte es mit Blick auf die Frage der Impfpriorisierung „sehr sinnvoll, Eltern vor kinderlosen Erwachsenen im selben Alter zu impfen“. Aber auch Kinder müssten geschützt werden, damit sie wieder am gesellschaftlichen Leben teilhaben könnten, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Es geht dabei nicht nur um Schule und Kita, sondern auch um alles andere, was zum Leben eines Kindes oder Jugendlichen dazu gehört.“

Würden Kinder und Eltern bevorzugt geimpft, würde dies Stand heute vermutlich bedeuten, dass viele 40- bis 50-Jährige erst später ein Vakzin erhalten können. Der Impfstoff für die Jüngeren müsste zunächst wohl aus den bestehenden Kontingenten kommen.

Um 80 bis 85 Prozent der Menschen in Deutschland zu impfen, was viele Experten für die dringend nötig halten, dürfte es ohne Impfungen von Kindern nicht funktionieren.

„Nur wenn auch Kinder und Jugendliche mit einer für die Altersgruppe zugelassenen Vakzine geimpft werden, kann man die Pandemie zum Stillstand bringen“, sagte Jörg Dötsch, Direktor der Klinik für Kinder und Jugendmedizin am Uniklinikum Köln und Präsident der Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, dem „Spiegel“.

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