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Sozial selektiv. Wer aus nicht-akademischem Elternhaus stammt, hat es schwerer, sich an der Hochschule zu orientieren.
© picture alliance / dpa

Gastbeitrag: Beste Karrierechancen für Privilegierte

Nirgendwo spielt die soziale Herkunft eine größere Rolle als bei der Berufung auf eine Juniorprofessur. Das ist ein fatales Signal

Die Juniorprofessur wurde Anfang der 2000er Jahre eingeführt, um Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern nach der Promotion eine frühe Unabhängigkeit in Forschung und Lehre, eine schnellere Karriere zu einer Langzeitprofessur und damit eine sichere Perspektive in der Wissenschaft zu ermöglichen. Angesichts der unsicheren Stellensituation im wissenschaftlichen Mittelbau an deutschen Hochschulen ist dies tatsächlich als ein Fortschritt zu betrachten. Mit einer Zwischenevaluation nach drei Jahren ist immerhin für sechs Jahre eine sichere Stellung und ein relativ unabhängiges Lehren und Forschen gegeben – zumindest formal.

Denn bisherige Befragungen von Juniorprofessorinnen und -professoren deuten auf eine hohe berufliche Unzufriedenheit hin, da sie sich aufgrund fehlender Tenure-Track-Optionen häufig weiterhin in einer unsicheren Beschäftigung befinden und von den Etablierten im wissenschaftlichen Feld abhängig bleiben. Dieser Umstand gefährdet laut der Deutschen Gesellschaft Juniorprofessur auch die „Innovations- und Kritikfähigkeit der bundesdeutschen Forschung“.

Es gibt doch einen weiteren bildungs- wie hochschulpolitisch problematischen Aspekt der Juniorprofessur, der in der bisherigen Diskussion um den neuen Karrierepfad unberücksichtigt blieb: den der sozialen Selektivität.

Juniorprofessorinnen und -professoren, dies zeigt eine Befragung von Universitätsprofessorinnen und -professoren in Nordrhein-Westfalen, stammen zu 86 Prozent aus den gehobenen und hohen gesellschaftlichen Schichten. Nur 14 Prozent sind soziale Aufsteigerinnen und Aufsteiger aus Arbeiter- und Mittelschichtsfamilien. Auch bei Langzeitprofessuren sind soziale Aufstiege zur Professur in den letzten zwei Jahrzehnten seltener geworden als noch in den 1970er bis 1990er Jahren infolge der großen Bildungsexpansion. Die Juniorprofessur sticht mit ihrer extremen sozialen Geschlossenheit jedoch deutlich hervor und macht in verschärfter Form auf neue alte Ungleichheiten aufmerksam.

Soziale Aufsteigerinnen und Aufsteiger, dies zeigen Studien ebenso, benötigen oft mehr Zeit, um sich im fremden akademischen Feld zu orientieren, sich höhere Karriereziele zuzutrauen und diese zu verfolgen. Zudem zeigen sich auch in der Wissenschaft homosoziale Rekrutierungsmuster, das heißt eine Auswahl von „Ähnlichen“. Denn eine erfolgreiche wissenschaftliche Karriere lässt sich nicht ausschließlich an Leistungskriterien messen, sondern ist auch von einer gelingenden sozialen Integration in die wissenschaftliche Gemeinschaft abhängig. Das bedeutet, dass Karrieren in komplexen und häufig undurchsichtigen Anerkennungs- und Zuschreibungsprozessen vollzogen werden. Da die Juniorprofessur häufig direkt im Anschluss an die Promotion besetzt wird, profitieren privilegierte Schichten angesichts ihrer Nähe zum akademischen Feld von einer schnellen Akkumulation von Chancen, während Personen aus bildungsärmeren Schichten dabei eher benachteiligt sind.

Sollte sich die Juniorprofessur langfristig zum Königsweg zur Professur durchsetzen und weiterhin lediglich mit Personen oberer Schichten besetzt werden, so wird hinsichtlich der Chancen benachteiligter Schichten als auch hinsichtlich der Innovations- und Kritikfähigkeit des Wissenschaftssystems ein fatales Signal von den Hochschulen ausgesendet.

Neben der Forderung nach Tenure-Tracks sollten daher auch Personen mit „ungeraden“ Biografien, etwa mit zweitem Bildungsweg, ohne Stipendium der Studienstiftung, ohne Auslandsaufenthalt, berücksichtigt und gefördert werden. Denn Personen mit Potenzial, die keine stromlinienförmigen Bildungs- und Wissenschaftskarrieren aufweisen, gibt es in der Wissenschaft immer noch viel zu wenig.

Die Autorin ist Soziologin und Vertretungsprofessorin für Bildungssoziologie an der Universität Paderborn.

Christina Möller

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