Exzellente Oberschicht: Die Ultra-Elite stammt aus bestem Hause
In der Wissenschaft soll es angeblich nur nach Leistung gehen. Dabei ist es die soziale Herkunft, die bei der Karriere hilft, auf eine Spitzenposition zu gelangen.
Nach Leistung geht es in der Wissenschaft, und nochmals nach Leistung! Wer hier vorankommt, gehört zu den Besten. – So stellt sich die deutsche Wissenschaft selbst gerne dar. Spätestens seitdem die Studie der Paderborner Soziologin Christina Möller bekannt geworden ist, muss allerdings angezweifelt werden, dass Universitäten ihre Professoren ausschließlich nach meritokratischen Prinzipien rekrutieren. Denn wer aus der gehobenen sozialen Schicht kommt, hat demnach erheblich höhere Chancen auf eine Professur als potenzielle Mitbewerber aus anderen Schichten (der Tagesspiegel berichtete). So haben unter den Jura-Professoren 80 Prozent Eltern, die zur gehobenen oder hohen Schicht gehören, unter den Medizinprofessoren 72 Prozent. Und noch nie in 40 Jahren war der Anteil von Professoren aus der höchsten Schicht so hoch wie heute.
Seit siebzig Jahren stammt die Ultra-Elite zu zwei Dritteln aus den höheren Schichten
Wie sieht es nun in der Gruppe derjenigen Professoren aus, die von ihren peers in eine Führungsposition gewählt wurden – als Wissenschaftsmanager, Nobelpreisträger oder Preisträger des in Deutschland hoch angesehenen Leibniz-Preises? Mit diesen „Besten der Besten“, also der wissenschaftlichen Ultra-Elite, hat sich die Darmstädter Soziologin Angela Graf in ihrer Dissertation befasst. Betreuer war wie bei Möller der Darmstädter Elitenforscher Michael Hartmann. Grafs Ergebnis: Seit siebzig Jahren stammt die Wissenschaftselite zu fast zwei Dritteln aus den höheren Schichten.
Manager, Professoren, Offiziere
Graf wertete für ihre Studie die Werdegänge von 407 Mitgliedern der Wissenschaftselite im Zeitraum zwischen 1945 und 2013 aus. Gemäß der statistischen Tradition orientierte sie sich am Beruf des Vaters. Zum gehobenen Bürgertum gehören etwa Juristen, Ärzte, Amtsräte, Diplomingenieure oder Geschäftsführer von Firmen mit bis zu 100 Beschäftigten. Zum Großbürgertum gehören Großunternehmer mit mindestens 100 Beschäftigten, hohe Manager, hohe Beamte wie etwa Professoren, Offiziere und sehr wohlhabende akademische Freiberufler. Die übrigen Berufsgruppen bilden die „Normalbevölkerung“, die sich aus der Arbeiter- sowie der Mittelschicht zusammensetzt. Die Arbeiterschaft wird als eigene Kategorie geführt. Zur Mittelschicht werden Bauern sowie untere, mittlere und gehobene Angestellte und kleinere Selbstständige sowie Beamte gezählt, etwa Bahnangestellte, Bankkaufmänner, Schriftsetzer, Kriminalbeamte, Volksschullehrer, Handwerksmeister oder kleinere Selbstständige.
Zwei Drittel der Ultra-Elite kommen aus 3,5 Prozent der Bevölkerung
Auch die Bildungsexpansion, die seit den siebziger Jahren für eine gemischtere Studierendenschaft gesorgt hat, hat an der sozialen Exklusivität nichts geändert: Von 1985 bis heute werden 65 Prozent der Ultra-Elite aus einer hauchdünnen Bevölkerungsschicht rekrutiert: aus dem gehobenen Bürgertum und dem Großbürgertum, denen nur 3,5 Prozent der Bevölkerung angehören (siehe Grafik).
Graf stellt „eine enorme soziale Exklusivität der Wissenschaftselite“ fest. Als typische Beispiele nennt Graf den früheren Vorsitzenden des Wissenschaftsrats, Karl Max Einhäupl (2001 bis 2006), dessen Vater ein großes Architektenbüro leitete, oder den früheren DFG-Präsidenten Ernst-Ludwig Winnacker (1998 bis 2006), dessen Vater an der Spitze der Hoechst AG stand.
Leistung ist wichtig - das richtige Auftreten aber auch
Auch Frau zu sein mindert die Chancen, zu Deutschlands Ultra-Elite zu gehören, erheblich. Nur zwei Mal haben Frauen seit 1945 eine wissenschaftspolitische Organisation geleitet: Dagmar Schipanski war Vorsitzende des Wissenschaftsrats (von 1996 bis 1998), Margret Wintermantel, heute Präsidentin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, leitete die Hochschulrektorenkonferenz (von 2006 bis 2012). Seit 1945 hat sich der Anteil von Frauen an der Wissenschaftsspitze nur von acht auf zehn Prozent erhöht. Bis heute war noch keine Frau Präsidentin einer außeruniversitären Forschungsorganisation.
Graf will keineswegs in Abrede stellen, dass die Voraussetzung für den Aufstieg auf eine Spitzenposition in der deutschen Wissenschaft Leistung ist. Doch wissenschaftliche Leistung sei ein soziales Konstrukt. Was als Leistung gilt, bestimmen andere Personen, insbesondere solche, die für ihre Leistung in der Wissenschaft anerkannt sind („legitime Feldmitglieder“). Ob jemandem eine hohe Leistungsfähigkeit zugeschrieben wird, hänge dabei nicht zuletzt von seinem sozialen Habitus ab – von der Art, wie er seine „wissenschaftlichen Produkte“, etwa Schriftstücke oder Vorträge, „vermarktet“, in dem er etwa die „richtige“ Sprache und das „richtige“ Publikationsorgan wählt und „souverän“ auftritt.
Es öffnet sich ein Einfallstor für nichtmeritokratische Faktoren
Erst die Kombination von „faktischer Leistung“ und „persönlichem Vermarkten“ stellt demnach die Qualifikation dar, die der Selektion durch die etablierten Wissenschaftler zugrunde liegt. Und so öffnet sich laut Graf „ein Einfallstor für nichtmeritokratische Faktoren“, also für den Einfluss der sozialen Herkunft: „Wissenschaftliche Leistung alleine ist nicht ausreichend, um es an die Spitze des Wissenschaftsfeldes zu schaffen“, folgert Graf.
Die Nachkommen aus dem Großbürgertum, besonders die Kinder von Professoren, würden davon profitieren, dass sie die Regeln in der Wissenschaft besser kennen. Und weil sie meist durch ihre Herkunftsfamilie finanziell gut abgesichert seien, könnten sie beruflich auch „risikoreichere Strategien gefahrlos wählen“. So würden sie über „deutlich größere Handlungsspielräume“ verfügen als Abkommen aus anderen Schichten.
Entsprechend vermittelten die Werdegänge von Großbürgerkindern „den Eindruck von Ungezwungenheit und Selbstverwirklichung“. Auffällig häufig würden sie zwischen Uni und Wirtschaft hin und her wechseln. Auch wiesen sie insgesamt eine größere Anzahl von Karrierestationen auf, sie seien also weniger abhängig von der Bindung an Personen oder Institutionen.
Karriereverläufe von Angehörigen der Normalbevölkerung sind oft "schmalspuriger"
Wissenschaftler, die sich aus den breiteren Bevölkerungsschichten in die Ultra-Elite hinaufgearbeitet haben, zeigten hingegen Karriereverläufe, die sich besonders durch Konformität zu den Regeln der Hochschule auszeichnen. Sie agierten „schmalspuriger“, Wechsel in die Wirtschaft sind ungewöhnlich. Typisch seien hingegen Elemente, die sich als Kompensationsmomente für eine weniger hohe soziale Herkunft interpretieren ließen: Häufig haben diese Wissenschaftler in ihrer Studienzeit ein Begabtenstipendium bekommen und kurze Gastaufenthalte an Hochschulen im Ausland absolviert.
Großbürgerkinder haben kurze Auslandsaufenthalte nicht nötig
Großbürgerkinder gehen im Laufe ihrer Karriere dagegen eher für längere Zeit ins Ausland. Sie hätten es nicht nötig, mit kurzfristigen Gastaufenthalten ihren Lebenslauf aufzupolieren, folgert Graf. Allerdings sei die Gruppe der Preisträger weit internationaler als die Gruppe der Wissenschaftsmanager. Während etwa der Medizin-Nobelpreisträger Thomas Südhof, Sohn eines Chefarztes, fast seine ganze Karriere in den USA absolviert hat, hat etwa der Altgermanist Peter Strohschneider, Präsident der DFG und früherer Vorsitzender des Wissenschaftsrats, keine nennenswerte Auslandserfahrung gemacht und ist auch im Inland wenig herumgekommen, wie Graf feststellt. Auch der Erziehungswissenschaftler Manfred Prenzel, Vorsitzender des Wissenschaftsrats, und die Psychologin Margret Wintermantel waren kaum im Ausland. Offenbar sei für den Weg auf eine Position im Wissenschaftsmanagement die nationale Vernetzung wichtiger als Auslandserfahrung, folgert Graf.
Unterschiede zwischen den Preisträgern („Prestigeelite“) und den Wissenschaftsmanagern („Positionselite“) gibt es auch bei der Herkunft. Viele Wissenschaftsmanager stammen aus dem Wirtschaftsbürgertum. Aber nur jeder zehnte hat einen Vater, der Professor war. Hingegen kommt jeder vierte deutsche Nobelpreisträger – wie Thomas Südhof – aus einer Professorenfamilie. Für besonderen wissenschaftlichen Erfolg sei die familiäre Nähe zur Wissenschaft bedeutsam, erklärt Graf. Für den besonderen Erfolg im Wissenschaftsmanagement, die mit mehr Entscheidungsmacht einhergeht, sei eine familiäre Verbindung zum Feld der Wirtschaft bedeutsamer. Sozial etwas offener als der Zugang zum Wissenschaftsmanagement oder zum Nobelpreis ist der zum Leibnizpreis, stellt Graf fest: Gut ein Drittel der Leibnizpreisträger stammt aus der Normalbevölkerung – bei den Nobelpreisträgern ist es nur jeder Vierte.
"Eliteunis" sieht Graf entsprechend skeptisch
Grafs Studie zeigt, dass die soziale Herkunft und das Geschlecht sich deutlich darauf auswirken, wer in der Wissenschaft eine Spitzenposition erreichen kann. Graf hält dies für problematisch, nicht nur mit Blick auf die sehr ungleich verteilten Chancen auf Teilhabe an der Wissenschaft. Die Selektion aus nur einem kleinen Pool von Menschen wirke sich auch auf die Leistungskraft des Wissenschaftssystems aus. Potenzielle Spitzenkräfte gingen verloren – darunter auch jene, die sich die zunehmend prekären Arbeitsbedingungen auf dem Weg zur Professur wegen ihrer sozialen Herkunft nicht leisten könnten.
Angesichts der Dominanz der hohen Schicht in der Ultra-Elite sieht Graf auch die Debatte über „Eliteunis“ in Deutschland skeptisch. Es werde unterstellt, dass es bislang an den deutschen Hochschulen zu egalitär zugehe. Dabei habe man sich erstaunlicherweise nie darüber verständigt, wie sich die „Elite“ bislang zusammensetzt. Zu befürchten sei, dass eine hohe soziale Herkunft – vermittelt über den Habitus – für die Aufnahme an einer „Eliteuni“ und für den Zugang zur Wissenschaftsspitze noch bedeutsamer, das System noch exklusiver wird.
Graf hofft, dass ihre Studie die Wissenschaft für den Einfluss der sozialen Herkunft auf Karrieren sensibilisiert und dazu anregt, die Besetzung von Machtpositionen transparenter zu gestalten.
- Angela Graf: Die Wissenschaftselite Deutschlands. Sozialprofil und Werdegänge zwischen 1945 und 2013. Campus 2015, 326 Seiten. 34,90 Euro
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