zum Hauptinhalt
Einer der letzten. Der Bulle „Sudan“ im kenianischen Schutzgebiet Ol Pejeta. Die Männchen des Nördlichen Breitmaulnashorns werden bis zu dreieinhalb Tonnen schwer, die Weibchen wiegen nicht einmal halb so viel.
© AFP/Tony Karumba

Letzte Chance für Dickhäuter: Berliner Forscher wollen Nashorn vorm Aussterben bewahren

Nördliches Breitmaulnashorn: Drei Tiere leben noch, sie können keinen Nachwuchs bekommen. Mit ausgefeilten Techniken wollen Forscher diese Unterart retten.

Sudan, Najin und Fatu trotten gemütlich durch das Ol Pejeta Schutzgebiet im Herzen Kenias. Breitmaulnashörner sind eben normalerweise keine Hektiker und in ihrem geräumigen Gehege haben die drei Dickhäuter nicht den geringsten Grund, beunruhigt zu sein. Rund um die Uhr beschützen bewaffnete Ranger die Tiere vor Wilderern, die es auf ihr Horn abgesehen haben könnten. Zu fressen finden die drei genug und Konkurrenz müssen sie auch nicht fürchten. Der Bulle Sudan und die beiden Kühe Najin und Fatu sind die letzten Nördlichen Breitmaulnashörner, alle anderen Vertreter dieser Unterart sind tot. Und da keiner der drei Überlebenden sich noch aus eigener Kraft fortpflanzen könnte, ist die von Biologen Ceratotherium simum cottoni genannte Unterart faktisch bereits ausgestorben.

Durch Wilderei wurde der Bestand massiv dezimiert

Aber es gibt noch Hoffnung – das meinen zumindest Wissenschaftler wie Thomas Hildebrandt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin und der Genetiker Oliver Ryder vom San Diego Zoo Global in Kalifornien. Sie wollen der todgeweihten Unterart neue Nachkommen bescheren. In der Fachzeitschrift „Zoo Biology“ beschreiben sie, dass sie nur zwei Zutaten für dieses Wunder des Artenschutzes benötigen: Geld und die modernen Methoden der Fortpflanzungsbiologie einschließlich der Stammzellen-Technik.

Damit wollen die Forscher eine Entwicklung umkehren, deren letzter Akt vor einem halben Jahrhundert begann. Mehrere tausend Tiere lebten damals in den Grasländern Afrikas. Bis 1984 hatten Wilderer die Nördlichen Breitmaulnashörner auf 15 Tiere dezimiert, die im Garamba-Nationalpark im Kongo überlebt hatten. Zwar konnte sich der Bestand dort noch einmal erholen, im Bürgerkrieg nahm die Wilderei aber wieder zu. 2008 war das Nördliche Breitmaulnashorn in der Natur ausgestorben.

Der letzte Bulle produziert fast keine Spermien mehr

Nur ein paar Tiere hatten in Zoos überlebt, stellten ihre ohnehin sehr seltene Vermehrung aber 2010 ein. Im Dezember 2009 wurden vier dieser letzten Nördlichen Breitmaulnashörner vom tschechischen Zoo Dvur Králové in das Ol Pejeta Schutzgebiet in Kenia gebracht. Vermehrt haben sich die Tiere dort allerdings auch nicht. Einer der beiden Bullen dort starb im Oktober 2014 eines natürlichen Todes. Das letzte in Gefangenschaft gehaltene Nördliche Breitmaulnashorn verendete am 22. November 2015 im Zoo von San Diego in Kalifornien.

Damit schien das Schicksal besiegelt. „Der letzte lebende Bulle Sudan produziert fast keine Spermien mehr und seine 1989 geborene Tochter Najin hat so starke Probleme mit beiden Hinterbeinen, dass sie das Gewicht eines Embryos in ihrem Leib nicht mehr tragen könnte“, sagt der IZW-Fortpflanzungsbiologe Joseph Saragusty. „Im zweiten Weibchen Fatu sind die Geschlechtsorgane so stark verändert, dass sich dort keine Embryonen entwickeln könnten.“

Zur Eizellgewinnung nach Kenia

Da der natürliche Weg zu Nachkommen nicht zum Ziel führt, setzen die Forscher auf eine „Befruchtung im Reagenzglas“. Dazu benötigen sie zunächst nur zwei Dinge: Samenzellen und Eizellen des Nördlichen Breitmaulnashorns. „Die Samen von vier Männchen bewahren wir in flüssigen Stickstoff bei minus 196 Grad Celsius auf“, sagt Saragusty. Unter diesen Bedingungen bleiben die tiefgekühlten Zellen fit und der Forscher ist sehr zuversichtlich, dass sie nach dem Auftauen ihren Job tun werden. Bei Pferden klappt das jedenfalls hervorragend – und die gehören neben den Tapiren zur nächsten Verwandtschaft der Nashörner.

Schwieriger wird es mit den Eizellen, davon haben die Wissenschaftler keine tiefgekühlten Vorräte. In den kommenden Monaten wollen die IZW-Forscher daher nach Kenia reisen, um diese Zellen von den zwei Weibchen zu gewinnen. Mittels Blasrohr werden die Tiere zunächst betäubt. Das weitere Vorgehen haben die Wissenschaftler bereits acht Mal bei Südlichen Breitmaulnashörnern in Europäischen Zoos angewendet: Über eine Nadel durch die Darmwand dringen sie mit einer speziellen Apparatur, die am IZW entwickelt wurde, bis zum Eileiter der Nashornkühe vor und entnehmen dort Eizellen. Mit Ultraschallgeräten beobachten die Forscher dabei den gesamten Prozess. „Leider liegen die Geschlechtsorgane so weit im Körperinneren, dass wir nur mit dieser Methode eine Chance haben“, sagt Saragusty.

Artverwandte sollen die Kälber austragen

Klappt alles, sollen die Eizellen in einem Brutschrank reifen und werden dann mit aufgetautem Samen befruchtet. In einer Nährlösung wächst der Zellhaufen einige Tage, bis sich mit einer „Blastozyste“ eine sehr frühe Form eines Embryos gebildet hat. Die sollen Weibchen des Südlichen Breitmaulnashorns eingesetzt werden, die als nächste Verwandte hoffentlich gute Chancen haben, den Embryo erfolgreich auszutragen. Geht alles gut, trägt das Südliche Breitmaulnashorn ein Kalb seines nördlichen Verwandten aus – und verlängert das Überleben der todgeweihten Unterart. Aber wohl nicht lange: Bei zwei Weibchen, die Eizellen spenden können, und den eingefrorenen Samenzellen von vier Bullen, die teilweise miteinander verwandt sind, ist die genetische Vielfalt für ein langfristiges Überleben vermutlich zu klein.

„Zum Glück wurden in Berlin und San Diego vorausschauend Kulturen von Hautzellen von zwölf Nördlichen Breitmaulnashörnern eingefroren“, sagt der IZW-Forscher Thomas Hildebrandt. Aus solchen Zellen haben Experten in den USA bereits pluripotente Stammzellen des Nördlichen Breitmaulnashorns hergestellt, die sie dann mit Hilfe bestimmter Hormone zu Ei- oder Samenzellen weiter entwickeln wollen. Den Weg von solchen Stammzellen bis zu lebenden Tieren haben japanische Forscher schon beschritten, aber nur bei Mäusen. Nun hoffen die Nashorn-Retter, dass diese Methode auch bei den großen Dickhäutern erfolgreich ist und sie zudem eine gewisse genetische Vielfalt in ihre Zucht bringen können.

Naturschutzorganisationen sind skeptisch

„Ein Hindernis auf dem Weg dorthin ist das Geld“, klagt Saragusty. Noch haben die Forscher keine Sponsoren gefunden. Die Kosten werden auf mehrere Millionen Euro geschätzt. Vermutete Verbündete wie die großen Naturschutzorganisationen winken ab. „Wir verstehen natürlich den Versuch, eine Unterart vor dem Verschwinden zu retten“, sagt etwa Christof Schenck, Geschäftsführer der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF). „Wir investieren unser Geld aber eher in den Schutz noch vorhandener Ökosysteme, in denen Arten wie das Spitzmaulnashorn leben, die ebenfalls stark gefährdet sind, aber deutlich bessere Chancen haben.“

Tatsächlich hatte die ZGF vor Jahrzehnten viel Geld in den Garamba-Nationalpark gesteckt, um die letzten Nördlichen Breitmaulnashörner in der Natur zu retten. Geklappt hat das bekanntermaßen nicht. Viel besser laufen Projekte zum Schutz der Spitzmaulnashörner, die von der ZGF auch in Regionen wie Sambia zurück gebracht werden, in denen sie im 20. Jahrhundert ausgerottet wurden. Weil diese Art aber nie so stark wie das Nördliche Breitmaulnashorn dezimiert wurde, ist der Aufwand dafür geringer.

Viel Zeit haben die Forscher nicht mehr. Nashorn-Tochter Najin ist schon 26, Vater Sudan 42. Die Lebenserwartung beträgt 50 Jahre, mal etwas mehr, mal etwas weniger.

Zur Startseite