Keimbahneingriff mit Crispr: Berliner Erfinderin der Gen-Schere äußert sich zu Crispr-Babys
Wurden in China genveränderte Babys geboren? Emmanuelle Charpentier wollte sich dazu erst nicht äußern, jetzt spricht die Entwicklerin der Gen-Schere doch.
"Ich bin von den Nachrichten, dass in China CRISPR-editierte Babies geboren wurden, überrascht worden", hat Emmanuelle Charpentier, eine der Entwicklerinnen der Gen-Schere CRISPR/Cas9 in einem Statement erklärt. Die in Berlin am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie forschende Wissenschaftlerin hatte am Montag zunächst darauf verwiesen, erst die wissenschaftliche Begutachtung der Behauptungen des chinesischen Forschers He Jiankui abwarten zu wollen. Jetzt äußerte sich Charpentier doch, dass sie über diesen Bericht "sehr besorgt" sei.
He hatte den Zwillingen Nana und Lulu eigenen Angaben zufolge auf die Welt geholfen, nachdem er sie im Embryonalstadium gentechnisch so verändert hatte, um sie resistent gegen HIV-Infektionen zu machen. "Aufgrund der aktuellen Situation" seien die Versuche inzwischen gestoppt worden, sagte He am Mittwoch bei einem Medizinkongress in Hongkong.
Rote Linie überschritten
Zwar habe man noch keine wissenschaftlichen Nachweise gesehen, die Hes Behauptungen stützen könnten, etwa einen wissenschaftlichen, von anderen Forscher begutachteten Fachartikel. He habe "eine rote Linie überschritten, vor allem weil er für seine Forschungsarbeiten die Bedenken der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft bezüglich der Sicherheit von Keimbahneingriffen ignoriert hat."
Ein Bericht der US-amerikanischen Akademie der Wissenschaften sei 2017 zwar zu dem Schluss gekommen, dass Keimbahneingriffe im Zuge klinischer Studien zugelassen werden könnten, schreibt Charpentier, allerdings nur unter maximaler Transparenz und strikter Überwachung und nur, wenn zuvor präklinische Forschungen die potentiellen Risiken und Vorteile abgeklärt hätten, wenn es überzeugende medizinische Gründe und keine Alternativen gebe. Unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen und breiter öffentlicher Beteiligung sollten solche Versuche stattfinden.
Entscheidend wichtiges Werkzeug für die Forschung
"Als eine der Erfinderinnen der CRISPR/Cas9-Geneditier-Technology, werde ich regelmäßig über meine Meinung zum Einsatz der Technik in der menschlichen Keimbahn befragt", so Charpentier. "Ich glaube, dass das Editieren von Genen in menschlichen embryonalen Zellen entscheidend wichtig ist, um die Entwicklung frühen Lebens und von Mechanismen, die zur Entstehung bestimmter Krankheiten führen, erforschen und verstehen zu können."
Außerdem habe die Technologie großes Potential, um neue Behandlungsansätze gegen schwere Erbkrankheiten entwickeln zu können, die derzeit auch von vielen Forschern weltweit verfolgt werden. Erste klinische Tests solcher somatischen Gentherapien - also von Genveränderungen, die nicht an die Nachkommen weitergegeben werden - seien in diesem Jahr initiiert worden, auch in Deutschland. "Diese Behandlungen sind für Patienten, die bereits an einer Krankheit leiden."
Jede andere Form der Verwendung der Crispr-Gen-Schere in Menschen sei in Europa verboten, betont Charpentier in ihrem Statement. "Und das ist richtig so." Man befinde sich noch immer in einem sehr frühen Stadium des Erkenntnisprozesses und der Folgen der Genveränderungen in menschlichen Zellen und es wäre daher "unverantwortlich", diese Technologie in der menschlichen Keimbahn einzusetzen. "Die Veränderungen sind irreversibel und werden von einer Generation an die nächste weitergegeben."
Strikte Regulierung nötig
Um Missbrauch zu verhindern, plädiert Charpentier für eine "strikte Regulierung" der Erforschung menschlicher embryonaler Zellen. "Ich bin entschieden gegen die Verwendung von CCRISPR/Cas9-Gen-Editierung für menschliche Optimierung", schreibt die Mikrobiologin. Da die genetische Veränderung eines Gens im Erbgut von Nana und Lulu nicht durchgeführt wurde, um eine schwere Erbkrankheit zu beseitigen, sondern ansonsten gesunde Kinder gegen die theoretische Möglichkeit einer HIV-Infektion zu schützen, wird der Eingriff Hes von Kritikern als "Enhancement", also Optimierung, nicht als therapeutischer Eingriff gewertet.
"Ich bin mir sehr bewusst, dass eine Übereinkunft nur erreicht werden kann durch einen Dialog, der alle Stakeholder einschließt, von Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen über Politiker, Ärzte, Forscher und Entwickler - idealerweise auf internationaler Ebene", sagt die Wahl-Berlinerin. "Das mag kein einfaches Vorhaben sein, aber ich habe die Hoffnung, dass wir bald zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen können." Seit Dienstag tagt in Hongkong der "Genome Editing Summit", auf dem Forscher aus aller Welt über den Einsatz der Crispr-Gen-Schere in der menschlichen Keimbahn aber auch als Therapie bei bereits erkrankten Menschen diskutieren.