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Auch am Max-Delbrück-Centrum in Berlin-Buch wird mit der Gen-Schere CRISPR/Cas9 gearbeitet - allerdings nicht an menschlichen Embryonen.
© picture alliance / Gregor Fische

Keimbahntherapie Crispr/Cas9 in China: Wohl weltweit erste genmanipulierte Babys geboren

Ein chinesischer Forscher will Zwillinge genetisch verändert haben - und löst heftige Kritik aus. Was wurde gemacht und warum könnte das gefährlich sein?

Gene zu verändern und damit das Leben an sich: Was einst Science-Fiction war, ist mit der rasanten Entwicklung der Biotechnologie in den letzten Jahren immer realer geworden. Im besonderen Fokus der Forschung steht dabei die Genschere Crispr/Cas9, die das Erbgut von Tieren und Pflanzen gezielt verändern kann. Während Forscher aus aller Welt diese Woche auf dem "Second International Summit on Human Genome Editing" darüber diskutieren , ob und wie man die Technik beim Menschen anwenden sollte, hat am Montag ein chinesischer Forscher bekannt gegeben, dass als Resultat seiner Arbeit erstmals genmanipulierte Babys zur Welt gekommen sind. Mit dieser Verlautbarung schockierte er die Wissenschaftszene weltweit.

Was behauptet der Forscher?

Der chinesische Wissenschaftler He Jiankui von der Southern University of Science im südchinesischen Shenzhen behauptet, dass durch seine Forschung erstmals Kinder nach einer Genmanipulation geboren wurden. Das gab er sowohl gegenüber der Nachrichtenagentur AP als auch in einem Youtube-Video bekannt. Darin sagt er: "Zwei wunderschöne kleine chinesische Mädchen namens Lulu und Nana kamen vor einigen Wochen weinend und so gesund wie jedes andere Baby zur Welt."

Er gibt an, das Erbgut der Kinder bereits als frühe Embryos so mit der Genschere Crispr verändert zu haben, dass sie in Zukunft resistent gegen HIV sind. HI-Viren können die Immunschwächekrankheit Aids hervorrufen. Noch gibt es keine wissenschaftliche Veröffentlichung oder andere Quellen, die beweisen, dass Hes Experiment so stattgefunden hat und gelungen ist. Lediglich in einer chinesischen Datenbank, in der klinische Studien registriert sind, findet sich ein entsprechender Eintrag.

Wie ist das Experiment abgelaufen?

Dem Eintrag in dem chinesischen Register zufolge rekrutierte He für seinen Versuch kinderlose Paare aus HIV-positiven Männern und HIV-negativen Frauen. Durch künstliche Befruchtung entstanden zahlreiche Embryos, deren Erbgut er mit der Genschere Crispr veränderte, die erst seit 2012 in Labors eingesetzt wird. Ziel dieser Veränderung war das Gen CCR5. Es trägt den Bauplan für ein Eiweiß, das im menschlichen Körper als Eintrittspforte für HI-Viren fungiert. Menschen ohne funktionierendes CCR5-Gen, die es gehäuft in Nordeuropa gibt, sind so gut wie immun gegen das Virus.

Die modifizierten Embryos wurden in die Gebärmutter der Frauen eingesetzt, eine davon wurde schwanger und gebar nach einer laut He normal verlaufenden Schwangerschaft vor einigen Wochen zwei Mädchen. Das Besondere an solchen Eingriffen in die Keimbahn ist, dass die Veränderungen der DNA auf die nächste Generation vererbt werden können.

Was war die Motivation des Forschers?

In dem Youtube-Video behauptet He, den Kindern ein Leben ohne HIV ermöglichen zu wollen. Dafür hätte es jedoch einfachere und risikoärmere Methoden gegeben, die keinen Eingriff in die Keimbahn erfordern. So ist das Risiko einer Übertragung einer HIV-Infektion auf das Baby minimal, wenn das HI-Virus im Blut nicht nachweisbar ist, was man heutzutage durch Medikamente normalerweise problemlos erreichen kann. Das spricht dafür, dass He keinen medizinischen Grund für seinen Menschenversuch hatte.

Dafür spricht auch, dass es laut dem AP-Bericht schon vor der Einpflanzung der Embryos in die Gebärmutter Hinweise darauf gegeben habe, dass bei einem der beiden Zwillinge die Genschere nicht die gewünschte Veränderung am CCR5-Gen erreicht habe. Dass He diesen Embryo trotzdem eingesetzt habe, lege nahe, dass es ihm "eher darum ging, das Gen-Editing zu testen als die Krankheit zu vermeiden", sagte der Genetiker George Church von der Universität Harvard im Gespräch mit AP.

Welche Risiken bestehen für die Kinder?

Das Hauptrisiko der Crispr-Methode ist, dass die Genschere an der falschen Stelle im Erbgut schneidet und so Mutationen in Genen hervorruft, die eigentlich unverändert bleiben sollen. Die Folgen einer solchen Ungenauigkeit lassen sich nicht vorhersagen und variieren, je nachdem, wo der Fehler passiert. Das ist einer der Gründe, warum Wissenschaftler davor gewarnt hatten, die Technik im jetzigen Stadium schon am Menschen anzuwenden. "Es wurden offenbar gesunde, lebensfähige Embryonen manipuliert und die Folgen für die betroffenen Individuen werden möglicherweise erst in Jahrzehnten zutage treten", sagte Jörg Hacker, Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Deshalb waren bisherige Experimente mit Crispr, sofern überhaupt menschliche Embryonen involviert waren, lediglich aufs Labor beschränkt. Entsprechend veränderte Embryonen hat man bisher noch nie auf eine Frau übertragen.

Speziell bei der Veränderung des CCR5-Gens könnte zudem ein weiterer Faktor hinzukommen, gab der Forscher Feng Zhang zu Bedenken. So führe das Editieren des Gens zwar im Idealfall dazu, dass die Kinder nicht an HIV erkranken können, jedoch mache es sie anfälliger für andere Viren, etwa das West-Nil-Fieber oder die Grippe. Der chinesische Neurowissenschaftler Feng Zhang hatte als Erster gezeigt, dass Crispr benutzt werden kann, um menschliche DNA zu verändern.

Die Gen-Schere CRISPR/Cas9 (lila) ist ein Enzym, das Erbgut (blaue Doppelhelix) an einer bestimmten Stelle schneiden kann, abhängig von der Lotsen-RNA (orange), dessen Bausteinabfolge genau zu dem Abschnitt der DNA passt (ebenfalls orange), in dem geschnitten werden soll.
Die Gen-Schere CRISPR/Cas9 (lila) ist ein Enzym, das Erbgut (blaue Doppelhelix) an einer bestimmten Stelle schneiden kann, abhängig von der Lotsen-RNA (orange), dessen Bausteinabfolge genau zu dem Abschnitt der DNA passt (ebenfalls orange), in dem geschnitten werden soll.
© mauritius images

Wie reagiert die Forschungswelt?

Viele Wissenschaftler kritisierten die im Geheimen durchgeführten Experimente von He aufs Schärfste. "Wenn sich das bestätigt, stellt diese Arbeit einen Bruch mit dem zurückhaltenden und transparenten Vorgehen der globalen Wissenschaftsgemeinde bei der Anwendung von Crispr zum Editieren der menschlichen Keimbahn dar", sagte die US-Forscherin Jennifer Doudna, Mitentwicklerin von Crispr. Ihre Kollegin Emmanuelle Charpentier vom Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, die die Genscheren-Technik ebenfalls maßgeblich mitentwickelt hat, mochte die propagierten Crispr-Babies auf Anfrage des Tagesspiegel nicht kommentieren. Sie wolle warten, bis der betreffende Fachartikel in einem wissenschaftlichen Journal veröffentlicht und von Experten begutachtet wurde. Erst kürzlich hatte Sie im Gespräch mit dem Tagesspiegel gesagt, die Technik sei noch nicht reif, um sichere Veränderungen in der menschlichen Keimbahn durchzuführen.

Kritik kam auch von Leopoldina-Präsident Jörg Hacker. Er sprach von einem Weckruf für Politik und Gesellschaft, und Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrats, von einem Super-GAU für die Wissenschaft. Mehr als 100 chinesische Forscher reagierten mit einem Protestbrief auf die Nachricht von Hes Genmanipulation: "Direkte Versuche am Menschen können nur als verrückt beschrieben werden." Die Experimente seien ein "schwerer Schlag für die weltweite Reputation der chinesischen Wissenschaft". Aufsichtsbehörden sollten schnell handeln und die Vorfälle genau untersuchen. Auch Hes eigene Universität distanzierte sich am Nachmittag. Er habe mit seiner Forschung "akademische Verhaltenskodizes und ethische Richtlinien schwer verletzt". Die Universität habe nichts von den Versuchen gewusst und sie hätten nicht auf dem Campus stattgefunden.

War der Eingriff erlaubt?

Es gibt weltweit kein rechtlich einheitliches Verbot von Veränderungen der menschlichen Keimbahn. In Deutschland sind derartige Eingriffe aufgrund des Embryonenschutzgesetzes unter Androhung von bis zu drei Jahren Haft verboten. Weder Keimzellen noch Embryonen dürfen genetisch verändert werden. In vielen Ländern hingegen "gibt es gar keine expliziten gesetzlichen Regelungen, etwa in Russland und Singapur", sagte Jochen Taupitz, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht der Universitäten Heidelberg und Mannheim. In anderen Ländern gebe es zwar Verbote, deren Übertretung aber offenbar nicht sanktioniert werde – wie in Frankreich, Portugal, Taiwan und dem Vereinigten Königreich. Und in den USA beispielsweise "besteht die ‚schärfste’ Grenze darin, dass keine bundesstaatlichen Mittel dafür eingesetzt werden dürfen", so Taupitz.

In China ist das Klonen von Menschen verboten, nicht jedoch die Gen-Editierung menschlicher Embryonen. Hes Versuche wurden von der Etik-Kommission eines chinesischen Krankenhauses gebilligt. Die Embryos, die er benutzte, hätten jedoch vier andere Krankenhäuser geliefert. "Wir glauben, das ist ethisch vertretbar", sagte Lin Zhitong vom Ethikrat des Krankenhauses, das die Freigabe erteilte. (mit dpa)

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