E-Learning, digitale Verwaltung: Berlin fehlt ein Plan für die Digitalisierung der Hochschulen
Online-Vorlesungen und virtuelle Realität nur im Pilotprojekt: Die Berliner Hochschulen liegen zurück bei der Digitalisierung - und fühlen sich als Getriebene.
"Wenn Austauschstudierende aus Japan zurückkommen, sagen sie: Wir gehen 100 Jahre zurück." Mit dieser Anekdote zu digitalen Lehrangeboten brachte Andrea Bör, die Kanzlerin der Freien Universität, die Lage in Berlin am Montag im Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses auf den Punkt. Gelacht hat niemand darüber.
Neben zwei großen E-Examination Centern gebe es an der FU zwar E-Learning-Angebote und auch Lehrveranstaltungen, in denen Virtual Reality eingesetzt wird. "Aber alles in Pilotprojekten und nicht durchgehend", gab Bör bei einer Anhörung über "Digitalisierungsstrategien der Berliner Hochschulen" zu.
Eine umfassende Digitalisierungsstrategie, die neben Lernplattformen und sonstigen digitalen Lehrangeboten auch die Digitalisierung der Forschung und der Verwaltung umfasst, haben oder entwickeln bundesweit 55 Prozent aller Hochschulen, wie eine Studie des HIS-Institut für Hochschulentwicklung (HIS-HE) 2019 ergab. Acht Bundesländer haben entsprechende Leitlinien für die Hochschulbildung verabschiedet und 14 Länder verfügen über ressortübergreifende Digitalisierungsstrategien.
Open Access-Strategie als einsamer Leuchtturm
Berlin ist in keiner der drei Kategorien dabei, kritisierte Olga Burkova, seit 2017 Vizepräsidentin der HAW Hamburg für Digitalisierung*. "Berliner Hochschulen kündigen seit einiger Zeit an, an einer gemeinsamen Strategie zu arbeiten, bislang ist sie aber nicht öffentlich verfügbar", sagte Burkova, die vom Wissenschaftsausschuss als Gast der Anhörung auf Initiative der CDU-Fraktion eingeladen war.
[*Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Fassung vom 17. Februar hieß es, in Berlin habe keine Hochschule einen Vizepräsidenten oder Vizepräsidentin für Digitalisierung. Das stimmt nicht, an der TU Berlin gibt es ein solches Amt. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.]
Die Hamburger Expertin lobte zwar die 2015 beschlossene Berliner Open Access-Strategie, derzufolge Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeiten etwa in Form von Aufsätzen für Lehrende, Studierende und für die Öffentlichkeit frei verfügbar sein sollen. Bei der Digitalisierung der Hochschulen seien aber dynamische und ganzheitliche Ansätze gefragt "und nicht nur Leuchttürme", sagte Burkova.
Eine Erfolgsbilanz konnten dann auch nur Jürgen Christof, Direktor der Universitätsbibliothek der Technischen Universität, und Maxi Kindling, Leiterin des Open Access Büro Berlin, ziehen. Der Verbund der Berliner Unibibliotheken sei "nah an den Vorgaben der Politik", in diesem Jahr 60 Prozent der wissenschaftlichen Aufsätze öffentlich zugänglich zu machen, sagte Christof. Berlin habe dabei bundesweit eine Vorreiterrolle. Das gelte etwa auch für das Berliner Forschungsdatenmanagement, das die Unibibliotheken gemeinsam betreiben.
Beim Open Access kooperiert Berlin mit Brandenburg, das seit dem vergangenen Jahr ebenfalls eine Strategie dafür hat, sowie mit Hamburg und Baden-Württemberg - jeweils beraten vom Berliner Büro, wie Maxi Kindling erklärte. Jetzt empfiehlt das Open Access Büro der Hauptstadt, sich in Richtung einer Open Science Strategie weiterzuentwickeln, die mehr als bisher die Partizipation der Gesellschaft sowie die Qualität der Forschung und die Nachnutzung der Forschungsdaten in den Blick nimmt.
FU-Kanzlerin wünscht sich gemeinsames Rechenzentrum
Michael Müller (SPD), Regierender Bürgermeister und Wissenschaftssenator, hörte die Kritik der Hamburger Expertin sichtlich ungern. Und fragte FU-Kanzlerin Bör als Vertreterin der Hochschulen: "Warum stimmen Sie sich nicht miteinander ab?" Dazu brauche es doch nicht die Politik, zumal in den Hochschulverträgen durchaus Anreize für die Digitalisierung enthalten seien.
Jede Institution habe dabei "ihre eigene Philosphie", erklärte Bör, und digitale Konzepte in jede der 2000 Studienordnungen zu bringen, wäre ein Kraftakt. Da wünsche sie sich schon Vorgaben der Politik, die zu einer Vereinheitlichung führen würden. Ein gemeinsames Rechenzentrum aller Hochschulen, wie es München mit dem an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften haben, sei nach dem Berliner Hochschulgesetz bislang nicht möglich.
Das Leibniz-Rechenzentrum bietet weit über 100.000 Studierenden, Professoren und Professorinnen und Mitarbeitenden alle IT-Dienste. Es ermöglicht den Hochschulen beispielsweise, gemeinsam Softwarelizenzen zu bestellen - und "einen guten Deal auszuhandeln", wie Bör sagte. In Berlin dagegen müsse man "an jeder Uni das Rad neu erfinden".
Aber wozu überhaupt eine Digitalisierungs-Strategie? Die FU habe ihre gerade aus dem Netz genommen, weil sie nach vier Jahren veraltet gewesen sei. "Papier ist geduldig", meinte Bör. Olga Burkova verteidigte solche Vorgaben: Sie würden die Veränderungsbereitschaft an der Hochschule fördern. Schließlich gehe es darum, die Absolventen für den digitalen Arbeitsmarkt vorzubereiten.
Adrian Grasse, der wissenschaftspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, forderte nach der Anhörung einen "Digitalisierungsverbund unter Beteiligung aller Berliner Hochschulen", zusätzlich finanziert vom Land Berlin. "Anstatt Treiber des digitalen Wandels zu sein und diesen mitzugestalten, fühlen sich die Unis nach eigener Aussage in erster Linie als Getriebene", kritisierte Grasse. Andere Bundesländer gingen mit gutem Beispiel voran, doch die seit 2018 angekündigten Gesamtstrategien der Berliner Hochschulen ließen mehrheitlich noch immer auf sich warten.