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Eine Aktenladung "Unverständlich" - Die Leichte Sprache soll dem Bürger helfen
© dpa

Sprachwissenschaft: Behördisch - Deutsch, Deutsch - Behördisch

Amtsdeutsch ist für Menschen mit kognitiven Schwierigkeiten oft unüberwindbar. Oder einfacher: Manche Menschen können schlechter lesen. Dann ist die Frage: Wie können sie schwere Texte leicht verstehen?

„Haben Sie schon einmal bedacht, was mit Ihrem Vermögen geschieht, wenn Sie nicht mehr sind?“ So beginnt die Informationsbroschüre zum Erbrecht in Niedersachsen, von der es ab diesem Sommer eine Version in leichter Sprache geben wird. Darin heißt derselbe Satz: „Jeder Mensch kann plötzlich sterben. Dann ist die Frage: Wer bekommt das Haus?“

Kurze Sätze, vertraute Wörter, eine Aussage pro Satz. Leichte Sprache soll Informationen so einfach wie möglich ausdrücken, damit auch Menschen mit einer Leseschwäche oder Lernbehinderung sie verstehen. Barrierefreie Kommunikation nennt sich das Prinzip, und mit ihm soll die letzte Hürde des gesellschaftlichen Ausschlusses fallen: die Sprache selbst.

Vor allem Behördendeutsch ist für Menschen mit kognitiven Schwierigkeiten oft unüberwindbar. Das Justizministerium in Hannover hat deshalb in den vergangenen Monaten Amtstexte, die Bürger häufig lesen, in leichter Sprache anfertigen lassen. In überschaubaren Sätzen wird ihnen nun zum Beispiel erklärt, wie man eine Betreuung einrichtet oder wie Erben funktioniert.

Beim Übersetzen der Texte in leichte Sprache halfen Studenten

Unterstützung hat sich das Justizministerium von Studierenden und Wissenschaftlerinnen der Universität Hildesheim geholt. Dort gibt es am Institut für Übersetzungswissenschaften und Fachkommunikation die deutschlandweit einzige Forschungsstelle für Leichte Sprache. Bevor Texte so leserfreundlich daherkommen, müssen sie nämlich aufwendig „übersetzt“ werden. Seit 2011 lernen Masterstudierende im zweijährigen Studiengang „Medientext und Medienübersetzung“ unter anderem, komplexe Inhalte mit dem reduzierten Wortschatz der Leichten Sprache zu beschreiben.

Dazu müssen sie im Grunde das System der Leichten Sprache erst mal erfinden. „Das Schwierige ist, dass es kaum Bezugspunkte gibt“, sagt Meike Knoop, die Medienübersetzung im dritten Semester studiert und einige Onlinetexte für das Justizministerium übersetzte. Es gibt kein Wörterbuch für Leichte Sprache und nur wenige Musterlösungen, die Übersetzer konsultieren könnten. Während das Italienische für fast jedes deutsche Wort ein Pendant hat, müssen Leichte-Sprache-Übersetzer, bewaffnet mit Duden und Synonymwörterbuch, oft von Neuem überlegen, wie man einen abstrakten Begriff umschifft. Manche Texte werden völlig umgebaut, damit Wichtiges am Anfang steht.

Gerade bei Behördentexten ist der Aufwand immens. „Viele Begriffe musste ich selbst nachschlagen, bevor ich sie übersetzen konnte“, sagt Meike Knoop. Mit ganz verzwickten Verständnisfragen konnte sie sich an die Mitarbeiter des Justizministeriums wenden. An jedem Text werkeln mindestens vier Leute: die Autorin, zwei Übersetzer und am Ende ein Korrekturleser aus der Zielgruppe. Die Forschungsstelle baut nun eine Terminologiedatenbank auf, in der die mühsam erarbeiteten Texte gespeichert werden.

Leichte Sprache ist Neuland für Sprachwissenschaftler

Die Sprachwissenschaft hat sich bislang wenig mit Leichter Sprache beschäftigt – etwa mit der Frage, welche Informationen bei der sprachlichen Vereinfachung verloren gehen. In Berlin ist Anatol Stefanowitsch von der Freien Universität der einzige Linguist, der zu Leichter Sprache forscht. Er selbst bezeichnet das Thema als „sehr neu für mich“. Entsprechend wenig ist über die Adressaten bekannt. Leichte Sprache ist keine Gruppensprache, sondern eine Art Kunstprodukt. „Wir senken die Barrieren in der Sprache radikal ab, damit besonders viele darübersteigen können“, sagt die Medienlinguistin Christiane Maaß, die die Hildesheimer Forschungsstelle leitet. Um das zu prüfen, lässt sie alle übersetzten Texte von Gehörlosen lesen, die erst spät die Gebärdensprache lernten und einen eingeschränkten Wortschatz haben. „Wir gehen davon aus, dass, wenn sie die Texte verstehen, auch andere sie verstehen“, sagt Maaß.

Genau weiß man das aber nicht, denn die Gruppe ist sehr heterogen. Der Bremer Sprachdidaktiker Sven Nickel schätzt, dass über sieben Millionen Menschen in Deutschland funktionale Analphabeten sind, also einzelne Wörter, aber keine langen Sätze lesen können. Dazu zählen neben Menschen mit Hör- oder Lernbehinderung auch Demenzkranke und Zugewanderte mit geringen Deutschkenntnissen. Die Forschung hinkt dem gesellschaftlichen Interesse damit deutlich hinterher. Zur politisch gewollten Inklusion gehört, dass sich möglichst alle Menschen selbstständig informieren können. Es gibt Romane in Leichter Sprache und Predigten auf dem Kirchentag. Das Onlineportal „Nachrichtenleicht“ und Zeitschriften wie „Klar & Deutlich“ informieren mit Bildern und kurzen Sätzen über Tagespolitik. Auch die Bundesregierung hat sich barrierefreie Internetkommunikation verordnet. Seit kurzem müssen alle Bundesbehörden Informationen in Leichter Sprache anbieten.

Teil Zwei: Welche Regeln Leichte Sprache beachten muss

Wörterbücher für Leichte Sprache existieren bisher nicht - Die Uni Hildesheim baut jetzt eine Datenbank auf
Wörterbücher für Leichte Sprache existieren bisher nicht - Die Uni Hildesheim baut jetzt eine Datenbank auf
© picture alliance / dpa

Die Übersetzer kommen fast immer aus der Praxis, also in der Regel aus Selbsthilfeverbänden. Ihren Ursprung hat Leichte Sprache in der amerikanischen Organisation „People First“, die seit 1974 für die Rechte von Menschen mit Lernbehinderung eintritt und 1996 die Idee des „Easy Read“ entwickelte. In Deutschland gibt es mit dem „Netzwerk Leichte Sprache“ seit 2006 einen Verein, der Regeln zu Leichter Sprache entwickelt. Auch die Hildesheimer nutzen diese Richtlinien.

Doch je umfassender Leichte Sprache zum Einsatz kommt, desto wichtiger wird die Forschung dazu. Denn während einige Regeln leicht umzusetzen sind, etwa der breite Zeilenabstand und die große Schrift, sind andere sprachwissenschaftlich fraglich. Das Netzwerk empfiehlt zum Beispiel, Negationen zu vermeiden. Die Sprachwissenschaftlerin Maaß wendet jedoch ein, dass Negation in jeder Sprache vorkomme und man sie nicht einfach abschaffen könne. Ihre Forschungsstelle untersucht stattdessen, wie Negation in Leichter Sprache aussehen könnte. Wichtig ist zum Beispiel, dass man wenig implizit lässt. „Viele Texte setzen Informationen voraus, die wir durch unser Vorwissen ergänzen müssen“, sagt sie. Juristische Texte stehen oft im Passiv: „es ist zu vermeiden“. Leichte Sprache verlangt dagegen ein konkretes Subjekt. Die studentischen Übersetzer in Hildesheim fragten die Richter im Zweifel jedes Mal: „Wer verbietet was?“

Die Übersetzung fördert auch unter Juristen und Beamten ein Umdenken

Manchem Juristen wurde dabei erst klar, wie sehr seine Sprache von Fachbegriffen geprägt ist. „Die kamen uns am Anfang ständig mit Paragrafen“, erzählt Isabel Rink, die bereits fertige Medienübersetzerin ist und die Broschüre zum Erbrecht bearbeitet hat. „Aber wir haben nicht lockergelassen, bis wir uns auf eine verständliche Lösung einigen konnten.“ Stefan Hesse, Direktor des Amtsgerichts Hildesheim, spricht von einer „Gratwanderung“: „Wir Juristen wollen ja möglichst genau formulieren.“ Rechtlich unterscheidet man zum Beispiel zwischen „Besitzer“ und „Eigentümer“. In der Broschüre wurden daraus „der, der eine Zeit lang in dem Haus wohnt“ und „der, dem das Haus gehört“, auch wenn das juristisch nicht ganz sauber ist. Die Formulare weisen jetzt darauf hin, dass der verbindliche Text nach wie vor der in „schwerer“ Sprache ist. Die leichte Version ist ein Zusatzangebot und nicht justiziabel.

Das Verbindlichkeitsproblem hatten offenbar auch die Bundesministerien. Bislang finden sich nirgendwo Gesetzestexte oder Formulare in Leichter Sprache. Die Behörden beschränken sich auf allgemeine Beschreibungen, beim Arbeitsministerium heißt es etwa: „Wir wollen, dass es wenige Menschen ohne Arbeit gibt.“ Christiane Maaß hält das Angebot denn auch für „optimierbar“. Bislang werde man zu häufig aus den Seiten mit Leichter Sprache „herausgelenkt“. Dabei biete die Hypertext-Struktur des Internets die Möglichkeit, überall Leichte Sprache anzubieten. Für die Hildesheimer Übersetzer gäbe es also reichlich Arbeit.

Aus verquer mach neu: Ein Praxisbeispiel in Leichter Sprache

Das Textbeispiel handelt vom Ausschlagen einer Erbschaft. Zuerst der Originaltext aus der Broschüre „Vererben – Erben“ des Justizministeriums Niedersachsen:

„Wenn alle Verpflichtungen zusammen genommen höher sind als die den Erben zufallenden Vermögenswerte oder wenn man dies jedenfalls für möglich halten muss, werden die Erben zu überlegen haben, ob die Erbschaft nicht besser ausgeschlagen werden soll. Falls die Erben das tun, erhalten sie zwar die Vermögenswerte des Nachlasses nicht, werden aber auch nicht mit Schulden belastet.“

Und so haben es Sprachwissenschaftlerinnen in Leichte Sprache übersetzt.

„Sie möchten das Erbe nicht? Die Erben können das Erbe nehmen. Oder die Erben können das Erbe nicht nehmen. Die verstorbene Person hatte Sachen. Und die verstorbene Person hatte Geld. Aber die verstorbene Person hatte vielleicht auch Schulden. Und die Schulden von der verstorbenen Person sind höher als der Rest vom Erbe. Dann sollten die Erben das Erbe nicht nehmen. Dann haben die Erben nicht die Schulden von der verstorbenen Person. Aber die Erben bekommen auch nicht die Sachen von der verstorbenen Person. Und die Erben bekommen auch nicht das Geld von der verstorbenen Person.“

Sarah Schaschek

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