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Die Berliner haben in einer nicht repräsentativen Umfrage die hauptstädtischen Behörden auf den letzten Rang unter den bewerteten deutschen Kommunen gesetzt.
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Berliner Verwaltung: Die Mauer der Bürokratie

Berlins Ämter kommen in einer aktuellen Umfrage schlecht weg. Zu Recht - doch die Beamten an der Basis sind die falschen Adressaten für die Kritik. Denn eine die Bürger ärgernde Verwaltung ist vor allem ein Produkt der Politik.

Das Berliner Vorschriftenwesen ist ein kunstvoll erdachter, historisch aufgeladener Kosmos. Die Vergabe von Hausnummern zum Beispiel. Diese Zeitung residiert am Askanischen Platz Nummer 3. Die 3 ist, auf Amtsdeutsch gesagt, nicht die Haus-, sondern die „Grundstücksnummer“. In Berlin, so steht es auf einer behördlichen Internetseite, heißen die Hausnummern Grundstücksnummern, „weil nicht nur bebaute, sondern auch unbebaute Grundstücke Nummern erhalten“. Deren Vergabe beruht auf drei unterschiedlichen gesetzlichen Grundlagen. Von der „Beschaffenheit“ der Grundstücksnummern bis zu möglichen Ordnungswidrigkeiten im Umgang mit denselben ist alles geregelt.

Die Berliner sehen das mit dem kunstvoll geregelten Kosmos anders. Sie haben in einer nicht repräsentativen Umfrage die hauptstädtischen Behörden auf den letzten Rang unter den bewerteten deutschen Kommunen gesetzt. Niemand, der mehr als dreimal mit einer Berliner Behörde zu tun hatte, wird bezweifeln, dass dieses Urteil vollkommen berechtigt ist. Allen verlängerten Öffnungszeiten und vereinheitlichten Telefoneinwahlen zum Trotz sind hiesige Behörden am besten zu ertragen, wenn man nichts mit ihnen zu tun hat.

Dieses Urteil ist unfair, da klischeehaft. Es trifft die manchmal um Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft bemühten Frauen und Männer in den Bürgerämtern – als seien die für alle Vorschriften verantwortlich. Es trifft nicht die Einsatzleiter der Mitarbeiter des Ordnungsamts von, sagen wir: Mitte, die ihre Angestellten auffordern, Knöllchen zu schreiben, sobald ein Auto zwei Minuten ohne Parkzettel irgendwo steht. Auch das ist Behörde.

Vor allem ist das Urteil unfair, weil eine die Bürger ärgernde Verwaltung Produkt weniger der Beamten an der Basis als der Politik ist. In Berlin kommen zwei Faktoren verschärfend hinzu: die Tradition und die Mauer. Durch diese Stadt mit ihren Verordnungen, Vorschriften und Verhaltensregeln weht ein Rest von preußischem Obrigkeitsstaat – auch wenn auf den letzten öffentlichen Brunnen in den Parks Schilder auf Türkisch feststellen: „Kein Trinkwasser!“

Der preußische Wille, den Bürger vor seiner Dummheit zu schützen und von oben her anzuordnen, was den Leuten guttut, hat sich in Mauerzeiten halten können, als das Behördenwesen hüben wie drüben eine Art öffentlicher Beschäftigungssektor war. Seit dem Mauerfall wirkt die merkwürdige Konstruktion dieser Stadt geradezu bürokratophil. Sie ist nicht Kommune, sondern Land und „Einheitsgemeinde“ aus Bezirken. Das sind Gebilde vom Kaliber großer Städte, doch ohne die politische Selbständigkeit, über die jede kleine Kommune in Deutschland verfügt.

Undenkbar, dass hier ein Wirtschaftsstadtrat sich die seit Ewigkeiten zu vernehmende Kritik an den investitionshemmenden Vorschriftenkatalogen zu Herzen nimmt, in Konkurrenz zum Nachbarbezirk herzhaft dereguliert und auf diese Weise wirtschaftsfördernd handelt. Selbst wenn er das wollte, er würde es nicht können – da wäre der Senat vor, der darüber wacht, dass der Vorschriften- und Regelungsdruck auf die Bezirke und, ganz unten, die Berliner gleichmäßig hoch bleibt.

Der Beweis? Niemand in der rot- schwarzen Koalition ist ernsthaft und entschieden gegen Bürokratie, für Deregulierung und für Vorschriften mit begrenzter Gültigkeitsdauer. Die Letzten, die das wollten, waren die Liberalen. Die haben die Berliner 2011 abgewählt.

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