3. November 1918: Aufstand der Matrosen war Geburtsstunde der Weimarer Republik
Vor 100 Jahren entzündete sich beim Kieler Matrosenaufstand der Widerstand gegen den Krieg und das Kaiserreich. Er führte zum Ende der Monarchie.
Kiel vor 100 Jahren – ein vergleichsweise milder Novembertag im Jahr 1918. Normalerweise flanieren zu dieser Zeit Kieler Bürger oder Offiziere der Garnison mit ihren Familien am Hafenufer, doch an diesem Tag ist alles anders. Die Kieler Straßen sind voll demonstrierender Matrosen, Arbeiter und Soldaten. Sie marschieren gemeinsam, rufen laut nach einem Ende des Krieges, nach der Abdankung des Kaisers und nach Reformen. Die Kieler Zeitungen berichten – ungeachtet der sonst doch allgegenwärtigen Zensur – von einer Meuterei, wie es sie nie zuvor in Deutschland gegeben habe. Durch eine Panne in der Oberzensurbehörde werden diese Nachrichten später im ganzen Land abgedruckt. Es ist eine Revolution, die sich ihren Weg bahnt und innerhalb von wenigen Tagen das gesamte Deutsche Reich fest in ihrem Griff haben wird.
Aus dem Kieler Matrosenaufstand – auf den ersten Blick eine auf Norddeutschland begrenzte Meuterei innerhalb der Marine – sollte die Novemberrevolution werden. Schon der Matrosenaufstand war eine Erhebung von zehntausenden, letztendlich hunderttausenden Militärangehörigen von Heer und Marine – nicht nur von gewöhnlichen Matrosen, sondern auch von Unteroffizieren und einzelnen Offizieren. Dieser Aufstand spielte sich nicht nur in Kiel und Norddeutschland ab, sondern breitete sich in weniger als einer Woche über ganz Deutschland aus. In jeder Stadt, von den deutsch besetzten dänischen Gebieten im Norden bis hin ins tiefste Bayern, erhoben sich die Militärgarnisonen und schlossen sich der Revolution an.
Das Leben von tausenden Seeleuten war gefährdet
Wie kam es dazu? Bereits Ende September 1918 war die Oberste Heeresleitung zu dem Schluss gekommen, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen sei. Im Verlauf des Oktobers scherten alle Verbündeten des Deutschen Reiches aus dem Bündnis aus, der deutsche Kanzler Georg von Hertling trat zurück. Die neue deutsche Regierung unter Prinz Max von Baden sah ihre wichtigste Aufgabe darin, sofortige Friedensverhandlungen einzuleiten und verbot zu diesem Zweck Offensivmaßnahmen wie den uneingeschränkten U-Boot-Krieg. Mit dieser Entscheidung wollten sich einzelne Admiräle der kaiserlichen Marine nicht abfinden. Ohne das Wissen der Regierung planten sie einen letzten Flottenvorstoß der in Wilhelmshaven versammelten Hochseeflotte gegen die britische Royal Navy. Dieser Vorstoß war weder eine Entscheidungsschlacht noch war er ein Himmelfahrtskommando. Im Grunde war er sorgfältig ausgearbeitet – jedoch kam er zu einem völlig falschen Zeitpunkt. Er hätte allenfalls zu einem Prestigeerfolg geführt, aber keine wirkliche Entscheidung gebracht. Vor allem hätte er eines: die Waffenstillstandsverhandlungen und das Leben von tausenden Seeleuten unmittelbar vor Kriegsende gefährdet.
Technik wurde sabotiert, Befehle verweigert
Die Matrosen an Bord der Schiffe wussten von den Verhandlungen ihrer Regierung und verhielten sich ihr gegenüber loyal. Als Details und Gerüchte zu dem bevorstehenden Unternehmen durchsickerten, leisteten die Mannschaften passiven Widerstand. Am 29. Oktober 1918 wurden auf den größten Schiffen die Kesselfeuer gelöscht, Maschinen und Technik an Bord sabotiert, Befehle verweigert.
Die Unruhen breiteten sich in Windseile aus. Schnell erkannten die Admiräle, dass ihnen die Kontrolle über die Flotte entglitt. Es gelang, einen Teil der Befehlsverweigerer im I. Geschwader festzusetzen, andere Geschwader und Flottillen der Flotte wurden umgehend auf andere Häfen verteilt. So gelangte das III. Geschwader in der Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November nach Kiel. Auch dort reagierte der Geschwaderführer mit Verhaftungen, die wiederum einen massiven Protest nach sich zogen. Matrosen des Geschwaders baten ihre Kameraden an Land um Hilfe und warben um Unterstützung bei der örtlichen Arbeiterschaft. Bereits am 3. November waren so über 5000 Demonstranten mobilisiert, die sich anschickten, die verhafteten Matrosen zu befreien.
Die militärische Führung wurde überrascht
Die militärische Führung in Kiel wurde von den Ereignissen überrascht. Man wusste von geheimen Netzwerken unter den Matrosen der kriegsmüden Kieler Garnison und erwartete zum Jubiläum der russischen Revolution Streiks unter der Kieler Arbeiterschaft – die Ankunft des III. Geschwaders veränderte jedoch alles. Auch wenn der Demonstrationszug nach einem heftigen Schlagabtausch beider Seiten unweit der Arrestanstalt zerstreut wurde, waren die Unruhen nicht mehr einzudämmen. Am 4. November übernahmen die Aufständischen in einzelnen unblutigen Vorstößen Kaserne um Kaserne. Am Mittag stieg die Zahl der Aufständischen auf 25.000 Mann, 24 Stunden später hatte sich ihr Zahl vervierfacht und der Aufstand mindestens fünf andere deutsche Städte erfasst.
Längst stand nicht mehr die Befreiung der verhafteten Kameraden im Vordergrund, inzwischen wurden Forderungen nach grundlegenden Veränderungen im Staat sowie einer umfassenden Militärreform laut. Der Kieler Gouverneur lenkte bereits am Mittag des 4. November ein, die Regierung in Berlin sandte Vertreter nach Kiel und bestätigte die Zugeständnisse, die den Matrosen gemacht wurden. Die Zeitungen berichteten in vielen Teilen des Reiches von der Meuterei und den Verhandlungserfolgen der Kieler Matrosen. Diese schickten Abordnungen zu den umliegenden Garnisonen, der Aufstand verbreitete sich über den Land-, Luft- und Seeweg innerhalb weniger Tage auf das gesamte Reichsgebiet. Bereits am 9. November war auch Berlin in der Hand aufständischer Soldaten und Matrosen, noch am gleichen Tag wurde dort die Republik ausgerufen.
Eine solche Meuterei hat es vor- und nachher nicht mehr gegeben
Was macht diesen Aufstand nun so einzigartig? Bereits die Meuterei an sich stellt in ihren Ausmaßen in der deutschen Geschichte eine Zäsur dar. Nie zuvor und nie danach hat es eine solche Meuterei im deutschen Militär gegeben. Vor allem die Forderungen der Aufständischen sind bemerkenswert. In der Nacht vom 4. auf den 5. November formulierten Matrosenabordnungen in Kiel die sogenannten „14 Kieler Punkte“, die später auch von vielen anderen Garnisonen übernommen wurden. Zentral waren die Abdankung des Kaisers, Presse- und Meinungsfreiheit und die Einführung des Frauenwahlrechts. Dass sich ausgerechnet deutsche Soldaten zu Tausenden für Frieden, Abrüstung und Demokratie stark machten, wäre wenige Jahre zuvor noch undenkbar gewesen. Auch die hartnäckig geforderten und zumindest zeitweise auch vielerorts umgesetzten Militärreformen schlagen einen Bogen zu den Inhalten der Inneren Führung und dem Wehrrecht der heutigen Bundeswehr.
Zum 100. Jahrestag gilt es zu würdigen, dass im Herbst 1918 hunderttausende junger Matrosen und Soldaten einen Aufstand wagten, der die Monarchie im Deutschen Reich stürzte und eine Bewegung einleitete, die zur Weimarer Republik führte – der ersten demokratisch gewählten Regierung Deutschlands.
Der Autor ist promovierter Militärhistoriker und Mitarbeiter des Schiffbau- und Schifffahrtmuseums Rostock.
Christian Lübcke