Reichsfinanzministerium und Nationalsozialismus: Frühzeitig braun
Die Historikerkommission zur Geschichte des Reichsfinanzministeriums beendet ihre Arbeit. Ein Ergebnis: Die NS-Zeit des Ressorts begann schon vor 1933.
An Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk erinnert im Bundesfinanzministerium nichts und niemand. Es wäre auch ein Unding: Der Jurist saß in Adolf Hitlers Reichsregierung. Der letzte Reichsfinanzminister wurde 1949 in Nürnberg als Kriegsverbrecher verurteilt. In das Ministeramt war er schon 1932 gekommen, als parteiloses Mitglied im Kabinett des Franz von Papen. 1937 wurde er in die NSDAP aufgenommen. Krosigk hat zweifach Geschichte geschrieben: als Täter im NS-Regime und als Publizist und Deuter jener Jahre nach seiner frühen Haftentlassung 1951. Mit „Persönlichen Erinnerungen“ und einer Geschichte der Finanzpolitik zwischen 1920 und 1945 unter dem Titel „Staatsbankrott“ prägte er ein Bild des Reichsfinanzministeriums, das auch im 1949 gegründeten Bundesfinanzministerium lange gepflegt wurde – als einer Behörde, die zwar Schuld auf sich lud, aber keineswegs eine treibende Kraft der NS-Politik und der Kriegswirtschaft war.
Wenn die 2009 vom damaligen Finanzminister Peer Steinbrück eingesetzte Historikerkommission nächste Woche ein Fazit des Aufarbeitungsprojekts „Das Reichsfinanzministerium im Nationalsozialismus“ zieht, wird damit endgültig Schluss sein. Gut möglich ist auch, dass das Traditionsbewusstsein der Beamten im Ministerium in der Wilhelmstraße einen Knacks bekommt. Es hat sich schließlich seit 1949 als selbstbewussten Apparat in der Nachfolge des Reichsfinanzministeriums verstanden, wie es zu Beginn der Weimarer Republik gegründet worden war. Nicht umsonst ist der größte Saal im Haus nach Matthias Erzberger benannt – eine Würdigung des 1921 von Rechtsextremisten ermordeten ersten Reichsfinanzministers, aber auch eine programmatisch zu verstehende Traditionsbildung. Die Gründung des Ressorts 1919 war ein gewaltiges Zentralisierungs- und damit Machtkonzentrationsprojekt. An Erzbergers Bild gibt es nichts zu korrigieren. Aber weil die Historikerkommission auch in die Weimarer Zeit zurückblickte, stellt sich die eine oder andere Frage an die institutionelle Tradition.
Alte Sichtweisen revidiert
Den Wissenschaftlern um den Kölner Historiker Hans-Peter Ullmann ging es jedoch vor allem um die Nazi-Zeit. Ullmanns Fazit der mehrjährigen Arbeit: „Insgesamt lässt sich nach unseren Forschungen die alte Sicht nicht mehr halten, das Reichsfinanzministerium sei im Wesentlichen nur eine unpolitische Fachverwaltung gewesen.“ Krosigks einflussreiche Legende, der viele Historiker folgten, wird gründlich revidiert. Stefanie Middendorf zeigt in ihrer Institutionengeschichte auf, dass das Ressort im Lauf der NS-Herrschaft keinen Machtverlust erlitt. Es verteidigte seine zum Ende der Republik hin errungene starke Position hartnäckig und versuchte, sie in dem immer chaotischer werdenden Instanzengeflecht in Hitlers Staat auszubauen. „Das Ministerium hat in vielfältiger Weise an der NS-Politik mitgewirkt, und zwar nicht nur nachgeordnet, sondern auch eigenständig“, lautet Ullmanns Fazit.
Und die NS-Zeit des Ministeriums begann auch nicht erst 1933. Schon davor war es eine Behörde, in welcher der nationalsozialistische Geist stärker wehte als in anderen Ressorts. „Das NS-Regime profitierte von der Zentralisierung der Steuerverwaltung mit der Gründung des Reichsfinanzministeriums im Jahr 1919“, sagt Ullmann. „Die Nazis bekamen so ein junges Ressort in ihre Hände, das sich leichter als andere Behörden formen ließ. Man kann eine sehr frühe Politisierung erkennen.“ Die Zollverwaltung war offenbar schon 1932 zu 90 Prozent nationalsozialistisch eingestellt. Es war nicht zuletzt das Reichsfinanzministerium, das die Politik des Ausnahmezustands mit der wachsenden Zahl von Notverordnungen in der Endphase der Republik unterstützte, um die eigene Macht zu erweitern. Hier fanden antiplurale und antiparlamentarische Einstellungen einen Nährboden, offenbar schon zu Zeiten des konservativen Staatssekretärs Johannes Popitz, der von 1926 bis 1929 amtierte. So war das Ministerium am Unterminieren der Weimarer Republik und beim Übergang zum völkischen Führerstaat beteiligt.
Regimenahe Beamtenschaft
Sobald die NSDAP allein das Sagen hatte, wurde das Ministerium zum Instrument des Regimes. Durch die Gründung von Reichsfinanzschulen sollte eine regimenahe, loyale Beamtenschaft herangezogen werden. 1939 waren laut Ullmann 79 Prozent der Beamten im Ministerium und immerhin 31 Prozent der Arbeiter in der NSDAP oder einem der NS-Verbände. So ist es nicht erstaunlich, dass das Ministerium bei der Verfolgung der Juden früh mitmischte. Deren steuerliche Diskriminierung war bald schon massiv. „Das Ressort hat hier gesetzliche Handlungsspielräume zulasten der Juden ausgenutzt“, sagt Ullmann. Detailliert aufgeschrieben hat das die Erfurter Historikerin Christine Kuller in dem schon 2013 erschienenen Buch „Bürokratie und Verbrechen“. Aber auch anderen „Reichsfeinden“, SPD und KPD, Ausgebürgerten und Emigranten, den Sinti und Roma, galt der Enteignungseifer der Finanzbeamten. Josephine Ulbricht beschreibt in ihrer Studie dazu den Apparat als „durchaus ambitioniert“.
Das Ministerium setzte seine Expertise auch zügig dafür ein, den Geldbedarf für Arbeitsbeschaffung und Rüstungsproduktion zu decken. „Unter den Nationalsozialisten wurde der moderne Steuerstaat stark vorangetrieben, mit Wirkung bis heute“, schlussfolgert Ullmann. So wurde nach 1933 die Kontrolle der Steuerpflichtigen intensiviert, die Steuerfahndung ausgebaut, Steuerhinterziehung stärker verfolgt. „In den Zusammenhang gehört auch, dass aus familienpolitischen Gründen 1934/35 die Besteuerung von Ledigen erhöht wurde. Ausführlich nachzulesen ist das im Teilband „Hitlers Steuerstaat“ von Ralf Banken.
An Raub und Ausbeutung beteiligt
Zu den Teilprojekten gehören Studien zum Verhalten des Ministeriums bei der Ausbeutung eroberter Gebiete nach 1939. Jürgen Kilians „Krieg auf Kosten anderer“ erschien 2017, Ramona Bräus Spezialstudie zum Verhalten der Finanzbeamten bei Auspressung und Raub im „Generalgouvernement“ Polen soll demnächst herauskommen. „Die materielle und monetäre Ausbeutung der eroberten Länder war massiv, aber es hat sich nicht bestätigt, dass sie deutlich größer war, als bisher geschätzt wurde“, resümiert Ullmann. Durch Kontributionen, Zwangsanleihen und andere Ressourcentransfers seien 126 Milliarden Reichsmark zusammengekommen, was einem Drittel der deutschen Kriegskosten entspreche.
Wenn Krosigk, Reinhardt und ihre Leute an Bedeutung verloren, dann wohl im Kriegsverlauf. „Lange Zeit war es die Politik des Ministeriums, die Rüstungs- und Kriegsfinanzierung über immer mehr Steuern zu leisten. Die Spitzen des Regimes folgten ihm hier. Mit Kriegsbeginn kommt es aber zu einer Zäsur. Nicht zuletzt Hitler selbst blockierte das und zog das Schuldenmachen vor“, fasst Ullmann die Erkenntnisse zusammen. Am Ende des Krieges lag die deutsche Gesamtschuld bei 450 Milliarden Reichsmark. Ullmann betont jedoch, das Reichsfinanzministerium habe „bis zuletzt die Illusion geordneter Finanzen aufrechterhalten und damit zur Stabilisierung des Regimes beigetragen“.
Historiker: Auch Zeit nach 1945 erforschen
Mit einer Tagung im Ministerium in der kommenden Woche endet die Arbeit der Kommission. Ullmann hält es für „sinnvoll, in einem Nachfolgeprojekt zu erforschen, wie es um die Kontinuitäten nach 1945 steht“. Der Blick sollte sich dann bis ins Jahr 1990 richten und auch das Finanzministerium der DDR einbeziehen. „Eine solche Geschichte wäre dringend nötig, denn wir wissen eigentlich gar nicht so viel über die Finanz- und Schuldenpolitik in den beiden deutschen Staaten.“