Frauenbewegungen in der Türkei: Aufschrei der Türkinnen
Trotz staatlicher Schikanen demonstrieren türkische Frauen nicht nur am Weltfrauentag für ihre Rechte. Eine neue Studie zeigt die Vielfalt türkischer Frauenbewegungen.
Frauenbewegungen in der Türkei geraten immer weiter in Bedrängnis. Erst am vergangenen Sonntag lösten Sicherheitskräfte in Ankara eine Kundgebung von Aktivistinnen gewaltsam auf. Polizisten gingen mit Tränengas und Gummigeschossen gegen die Demonstrantinnen vor, mehrere Teilnehmerinnen wurden vorübergehend festgenommen. Solcher staatlichen Schikanen zum Trotz wollen am heutigen Internationalen Frauentag, wie auch in den letzten Jahren, wieder zehntausende Türkinnen und Türken in Istanbul, Ankara und anderen Orten für Frauenrechte demonstrieren.
Dass die türkischen Frauenbewegungen so vielfältig sind wie das Land selbst, zeigt eine neue Studie der Universität Bremen. Unter der Leitung von Yasemin Karakaşoğlu, Professorin für Interkulturelle Bildung, haben Wissenschaftlerinnen von 2014 bis 2016 Feldforschung betrieben, um einen Überblick über die Gemeinsamkeiten und Differenzen der verschiedenen geschlechterpolitischen Bewegungen des Landes zu gewinnen. Unter anderem führten sie 65 qualitative Interviews mit Aktivistinnen und Wissenschaftlerinnen aus verschiedenen Regionen der Türkei. Von religiös-konservativen Frauenvereinen über kurdische und kemalistische Frauenbewegungen bis hin zu queer-feministischen Gruppierungen zeigt die Studie das ganze Spektrum der türkischen Frauenbewegungen. Der Ergebnisbericht des Projekts „Frauenbewegungen im innertürkischen Vergleich“ ist jetzt auf Deutsch, Englisch, Türkisch und Kurdisch online erschienen.
Die Autorinnen der von der Stiftung Mercator geförderten Studie machen darauf aufmerksam, dass sich die Situation für oppositionelle Aktivistinnen und Aktivisten in der Zeit seit dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 und dem Machtausbau Präsident Erdoğans dramatisch verschlechtert hat. Vereine, Frauen- und Geschlechterforschungszentren wurden verboten, Forschungsgelder eingefroren und Aktivistinnen kriminalisiert.
Konflikte zwischen kurdischen und türkischen Frauenbewegungen
„Der 8. März ist für uns auch ein Anlass, auf dieses Unrecht aufmerksam zu machen“, erklärt Karakaşoğlu. Wer sich in der Türkei für Frauenrechte einsetze, müsse aktuell mit Unterdrückung oder Verhaftung rechnen. Daher sei es wichtig, „die Arbeit von Aktiven im Bereich der Frauenarbeit und Geschlechterforschung bekannt zu machen und den Austausch mit ihnen auch unter schwierigen Bedingungen aufrechtzuhalten“.
Mit dem Forschungsprojekt wollen die Wissenschaftlerinnen aber auch einem in den deutschen Medien verbreiteten Diskurs entgegenwirken, muslimische türkischstämmige Migrantinnen pauschalisierend als Opfer darzustellen. Trotz großer politischer und ideologischer Unterschiede funktionieren die Frauenbewegungen in der Türkei als starkes Bündnis, insbesondere wenn es um den Kampf gegen Gewalt an Frauen geht. Auch die gesellschaftliche Partizipation, Bildung und Beschäftigung für Frauen sind zentrale Themen der Bewegungen, für die sie unter anderem am 8. März gemeinsam demonstrieren.
Als ein trennendes Thema identifizieren die Forscherinnen Ethnizität. Insbesondere zwischen kurdischen und türkischen Frauenorganisationen kommt es zu Konflikten. Seit einigen Jahren wachse aber das Verständnis innerhalb der türkischen Frauenbewegungen für die besondere Unterdrückung kurdischer Frauen. Auch Unterschiede des Einkommens- und Bildungsniveaus der unterschiedlichen Regionen der Türkei wirken sich auf die Themensetzung der jeweiligen Frauenorganisationen aus, heißt es.
Rebellisch sein und für die Freiheit kämpfen
Eine weitere Trennlinie innerhalb der Frauenbewegungen ist die Frage der Religion und der politischen Einstellung. Dass islamische Frauenbewegungen mit der konservativen Regierungspartei AKP zusammenarbeiten, sehen viele Aktivistinnen kritisch. Streitthemen wie das Recht auf Abtreibung, die Kopftuch-Debatte und der Umgang mit Sexualität hängen eng mit der Religionszugehörigkeit zusammen.
Insbesondere Aktivistinnen aus LGBTI-Gruppierungen kritisieren ein biologistisches Verständnis von Weiblichkeit der konservativen Frauenbewegungen, das homosexuelle oder Trans- Frauen ausschließt. „Frausein“ als identitätsstiftende Kategorie ist dennoch für viele Aktivistinnen Ausgangspunkt für gemeinsames politisches Handeln. So beschreibt Nefise Yenigül von der Freiheits- und Solidaritätspartei ÖDP aus Hopa ihre Definition: „Für mich bedeutet Frausein rebellisch zu sein, sich gegen die Männerherrschaft aufzulehnen, für die Freiheit zu kämpfen.“ Das tun die Aktivistinnen in der Türkei – nicht nur am Weltfrauentag.
Filmscreening und Diskussion über Kurdischen Feminismus im Rahmen der Berlin Feminist Film Week, 11.3., 18 Uhr im CRCLR House.