Gewalt gegen Frauen in der Türkei: „Hör’ auf zu heulen“
Der Mörder einer jungen Studentin, die sich gegen einen Vergewaltigungsversuch gewehrt hatte, fing im Gerichtssaal an zu heulen. Der Richter wies ihn zurecht. Der Mordfall aus der Türkei hat großes Aufsehen erregt.
Dem Mörder kamen die Tränen. Als der Minibusfahrer Ahmet Suphi Altindöken am Freitag in Tarsus, einer Stadt im Süden der Türkei, vor die Richter trat, schluchzte er immer wieder auf. Altindöken muss mit einer lebenslangen Haftstrafe rechnen, weil er im Februar die 20-jährige Studentin Özgecan Aslan tötete, nachdem sie sich gegen einen Vergewaltigungsversuch wehrte und ihm das Gesicht zerkratzte. Altindöken schnitt laut Anklage dem toten Opfer die Hände ab, um DNA-Spuren zu vernichten, und verbrannte die Leiche. Doch im Gericht überkam ihn das Selbstmitleid. Das ging dem Vorsitzenden Richter Ercan Kumubal dann doch zu weit. „Hör’ auf zu heulen“, wies er den Angeklagten an.
Der Fall Aslan hatte in der Türkei nicht nur wegen der Brutalität der Tat großes Aufsehen erregt, sondern auch wegen der Umstände: Millionen von Frauen im ganzen Land sind jeden Tag in den als Sammeltaxis dienenden Minibussen wie dem von Altindöken unterwegs – es kann also so gut wie jede Frau treffen, wenn sie an einen Fahrer gerät wie den 26-jährigen Angeklagten.
Der Mörder und Vergewaltiger stellt sich als unbescholten dar
Als sich Özgecan am Abend des 11. Februar als einzige Insassin in Altindökens Bus gegen einen Vergewaltigungsversuch des Fahrers wehrte, rastete er aus und schlug mit einer Eisenstange auf die Studentin ein. Anschließend schnitt er ihr die Kehle durch. „Ehrlos“ und einen „Hund“ habe Özgecan ihn genannt, beklagte sich Altindöken nach Medienberichten am Freitag vor Gericht. „Recht hat sie gehabt“, antworteten Zuschauer im Gerichtssaal. Hohngelächter erntete Altindöken, als er sich in der Befragung durch den Staatsanwalt als „unbescholten“ bezeichnete.
Prozessbeobachter werteten die Reaktion von Richter Kumubal auf den Auftritt des Hauptangeklagten als Hinweis darauf, dass das Gericht zur Höchsstrafe für den Minibusfahrer tendiert: lebenslänglich ohne Aussicht auf vorzeitige Haftentlassung.
Altindökens Vater Necmettin sowie Fatih Gökce, ein Freund des Minibusfahrers, müssen ebenfalls mit lebenslangen Gefängnisstrafen rechnen, weil sie bei der Beseitigung der Leiche halfen. Die Angeklagten beschuldigten sich gegenseitig, Özgecan sexuell missbraucht zu haben; die Staatswanwaltschaft ging von einer versuchten Vergewaltigung aus.
Teilweise sei das Geschehen im Gerichtssaal nur schwer zu ertragen gewesen, sagten Prozessteilnehmer: Im Kreuzverhör zeigten Anwälte der Nebenklage Fotos von der verbrannten Leiche und fragten die Beschuldigten, warum sie insbesondere den Genitalbereich des Opfers mit Benzin übergossen und in Brand gesetzt hätten. Der Onkel von Özgecan, der als Angehöriger des Opfers an der Verhandlung teilnahm, sagte, die Familie lebe seit dem Mord „in der Hölle“. Die Angeklagten müssten auf Lebenszeit eingesperrt werden und dürften nie mehr auf die Straße gelassen werden.
In einem Jahr wurden 281 Frauen von ihren Partnern getötet
Rund tausend Anwälte aus allen Teilen der Türkei wollen sich in dem Verfahren als Nebenkläger eintragen lassen, um ein Zeichen gegen die grassierende Gewalt gegen Frauen zu setzen. Die türkische Öffentlichkeit nahm ebenfalls großen Anteil am Prozess: Auf Twitter war der Hashtag #ÖzgecanAslan einer der am meistbenutzten weltweit.
In Tarsus demonstrierten zudem Vertreter von Frauengruppen mit Bildern des Opfern und Spruchbändern vor dem Gerichtsgebäude. Sie forderten unter anderem die Abschaffung einer Regelung, die es Gerichten ermöglicht, bei der Ahndung von Gewalt gegen Frauen den Angeklagten großzügige Strafnachlässe wegen guter Führung oder wegen „Provokation“ durch das Opfer zu gewähren. Völlig friedlich verlief die Kundgebung nicht. So gerieten die Mitglieder konkurrierender Frauengruppen aneinander.
Die große Frage lautet, ob sich der Schock über die Mord an Özgecan und die große Anteilnahme am Prozess in konkreten Verbesserungen für die Frauen umsetzen wird. Ähnliche Gerichtsverfahren in der Vergangenheit brachten auf diesem Gebiet keine Fortschritte: Im vergangenen Jahr wurden 281 Frauen in der Türkei von Ehemännern, Ex-Gatten oder Lebensgefährten getötet. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres waren es bereits 120.