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Ein neuer Schnelltest verkürzt die Wartezeit auf das Ergebnis erheblich.
© Matthias Rietschel/Reuters
Update

Positivrate, Alter und Verbreitung: Auf diese Corona-Zahlen sollten Sie jetzt achten

Im europäischen Vergleich ist das Infektionsgeschehen in Deutschland vergleichsweise entspannt. Wichtige Kennwerte müssen aber alarmieren.

Die Infektionszahlen in Deutschland steigen weiter, am Donnerstagmorgen wurden erstmals mehr als 10.000 neue Fälle binnen 24 Stunden gemeldet – noch aber ist das Gesundheitssystem von einer Belastung wie im Frühjahr weit entfernt, noch ist die Zahl der Covid-19-Toten vergleichsweise niedrig. Am Donnerstag waren es 30 mehr als am Vortag.

Ein genauer Blick auf wichtige Kennzahlen verheißt für die nächsten Wochen allerdings nichts Gutes.

So ist die Sieben-Tage-Inzidenz – die Zahl der Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen – am Mittwoch im Bundesschnitt auf mehr als 50 gestiegen. Das Robert Koch-Institut (RKI) gab den Wert mit 51,3 an. Am Vortag hatte er noch bei 48,6 gelegen.

Auch die Quote der positiven Tests, inzwischen wichtiger Gradmesser für das Infektionsgeschehen in einem Land, ist deutlich gestiegen, wie dem RKI-Lagebericht vom Mittwoch zu entnehmen ist.

Spahn sieht keinen zweiten Lockdown für Deutschland

Zu einem großflächigen Stillstand in Deutschland wie im Frühjahr wird es nach Ansicht von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in der jetzigen Corona-Situation dennoch nicht kommen. „Einen zweiten Lockdown, so wie er immer gemeint wird, den sehe ich nicht“, sagte Spahn der Nachrichtenagentur dpa zufolge am Mittwoch auf die entsprechende Frage eines Nutzers der Social-Media-App Jodel.

Spahn sagte, man wisse heute, dass es beispielsweise im Einzelhandel, bei Friseuren und in anderen Bereichen momentan keine Ausbrüche gebe, wenn auf die sogenannte AHA-Regel – Abstand, Hygiene, Alltagsmaske – geachtet werde. Diese Bereiche würde man auch nicht wieder schließen müssen.

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Daten des Tagespiegel zufolge lagen Stand Mittwoch 148 Städte und Landkreise über dem Grenzwert von 50 Neuinfektionen in den vergangenen sieben Tagen. Von diesen Landkreisen haben 27 sogar eine Inzidenz von mehr als 100 pro 100.000 Einwohnern. Die Spitze bilden der Landkreis Delmenhorst mit 226.8, der Landkreis Berchtesgadener Land (226.1) und der Landkreis Cloppenburg (194.3). Berlin findet sich auf Platz 26mit 101,3.

Es gibt derzeit keinen einzigen Landkreis der im betreffenden Zeitraum keine neuen Fälle von Sars-CoV-2 gemeldet hat. In absoluten Zahlen liegt die Hauptstadt bei den Neuinfektionen in den vergangenen sieben Tagen mit 3693 an der Spitze gefolgt von München (1125), Köln (1097), Hamburg (1053) und Frankfurt am Main (949).

Die am Mittwoch gemeldeten 7595 Neuinfektionen liegen knapp hinter dem bisherigen Höchstwert vom vergangenen Samstag (7830). Eine Woche zuvor lag der Wert mit 5132 aber noch deutlich niedriger. Die neu gemeldeten Infektionen gelten wegen der Zeit zwischen Ansteckung, Test, Ergebnis und Meldung als Hinweis darauf, wie stark das Virus vor etwa einer Woche in der Gesellschaft unterwegs war. Deshalb dauert es auch, bis sich von der Politik beschlossene Maßnahmen eventuell in den Statistiken niederschlagen.

Die Werte sind also deutlich gestiegen, sind aber mit dem Rekordwert im Frühjahr von 6294 am 28. März nur bedingt vergleichbar. Mittlerweile wird jeden Tag deutlich mehr getestet, so dass auch mehr Infektionen nachgewiesen werden. Immer wichtiger bei der Beurteilung der Teststatistiken wird deshalb auch die sogenannte Positivrate, die das RKI jeweils mittwochs in seinem aktuellen Lagebericht veröffentlicht.

Höchste Positivrate Anfang April mit 9,03 Prozent

Die Zahl der Coronavirus-Tests schwankt seit Mitte August zwischen rund 1,1 Millionen und 1,2 Millionen pro Woche. In der Kalenderwoche 11 (ab 9. März) hatte es dem RKI zufolge knapp 125.000 Tests gegeben, positiv war das Ergebnis in 7,58 Prozent der Fälle. Die Rate stieg dann bis zur Kalenderwoche 14 (ab 30. März) auf 9,03 Prozent bei gut 408.000 Tests.

Danach nahmen die Zahlen stetig ab, die niedrigste Positivrate gab es dann in der Woche ab dem 6. Juli mit rund 0,59 Prozent bei 510.500 Tests. Seitdem ist die Zahl der Tests weiter kontinuierlich gestiegen, aber auch die Positivrate. Von 0,74 Prozent Ende August auf jetzt 3,62 Prozent in der Woche vom 12. bis 18. Oktober. Eine Woche zuvor lag der Wert noch bei 2,49 Prozent, davor bei 1,66.

85 Prozent der Covid-19-Toten über 70 Jahre alt

Wie aus dem Lagebericht des RKI vom Dienstagabend hervorgeht, liegt der Anteil der Patienten, die in Verbindung mit einer Covid-19-Erkrankung verstorben sind, seit der Kalenderwoche 34 (17.8. bis 23.8.) bei deutlich unter einem Prozent.

Der überwiegende Teil (85 Prozent) der mehr als 9800 Covid-19-Toten seit Beginn der Pandemie ist nach Angaben des RKI 70 Jahre oder älter. Unter 50 Jahre alt waren 130 Betroffene. Dies entspricht 1,3 Prozent aller Toten. Die Zahl der verstorbenen Patienten pro Woche hatte Anfang April mit mehr als 1600 ihren Höchststand erreicht und war dann deutlich gesunken. Seit Anfang September stieg sie wieder leicht an und lag zuletzt bei etwa 200 Fällen binnen sieben Tagen.

Zahl der Älteren unter Infizierten steigt wieder

Aber: In den vergangenen zwei Wochen nehmen die Zahlen in der vom Virus am stärksten bedrohten Altersgruppe stark zu, nämlich Bei den Menschen, die 70 Jahre oder älter sind. Vier von fünf Patienten, die bisher in Deutschland in Folge einer Covid-19-Erkrankung verstorben sind, waren dem RKI zufolge mindestens 70 Jahre alt. So meldete das RKI in der Woche vom 12. bis 18. Oktober 3521 Neuinfizierte in dieser Gruppe. Eine Woche zuvor waren es noch 2032 – ein Anstieg um rund 75 Prozent. Ähnlich stark stiegen die Zahlen in der Woche davor.

Setzt sich der Anstieg mit dieser Geschwindigkeit fort, dann sind schon Anfang November mehr Alte unter den Neuinfizierten als zu Hochzeiten der ersten Coronavirus-Welle im Frühjahr. Mehr als 13 Millionen Bundesbürger sind älter als 70 Jahre, bundesweit werden allein mehr als 700.000 Menschen, die älter als 70 Jahre sind, in Heimen versorgt.

Von 943 Intensivpatienten werden 424 beatmet

Da Ältere als besonders gefährdete Gruppe für schwere Krankheitsverläufe gelten, wird dabei auch die Frage der Krankenhauskapazitäten wichtiger. Derzeit befinden sich in Deutschlands Krankenhäusern dem Register der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) zufolge 943 Covid-19-Patienten in intensivmedizinischer Versorgung, 424 davon müssen beatmet werden. Insgesamt stehen bundesweit rund 30.000 Intensivbetten für alle Kranken zur Verfügung.

Das heißt: Bislang liegt die Auslastung bei etwas mehr als drei Prozent – Tendenz steigend. Auf dem bisherigen Höhepunkt der Epidemie Anfang April waren zeitweise zehn Prozent der Intensivbetten mit Covid-19 Patienten belegt. Der Anteil der Covid-19-Patienten an den Intensivpatienten beträgt aktuell etwas mehr als vier Prozent.

Es gibt dabei aber noch einen Faktor: „Wir haben genug Material und Beamtungsgeräte bereitgestellt“, sagte Gernot Marx, Sprecher des Arbeitskreises Intensivmedizin der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin“ der Nachrichtenagentur Reuters. „Aber das größere Problem liegt beim Personal. Jeden Herbst und Winter steigt die Zahl der Erkrankten beim Klinikpersonal ohnehin. Jetzt kommen aber die Positiv-Infizierten und die strenge Corona-Quarantäne bei den Mitarbeitern hinzu.“

Personal „der absolute Knackpunkt“ für Intensivstationen

Marx, der Direktor für operative Intensivmedizin an der Uniklinik Aachen ist sagte weiter: „Wohlgemerkt: Das Personal steckt sich in der Regel nicht bei der Arbeit in den Krankenhäusern mit ihren hohen Hygienestandards an, sondern im Privatleben.“

Das Personal sei „der absolute Knackpunkt“ bei der Versorgung der Corona-Patienten, sagt auch der Vorstand Krankenversorgung der Berliner Charité, Ulrich Frei.

Mit Blick auf die gesamte Pandemie in Deutschland gab das RKI die Fallsterblichkeit am Dienstag mit 2,6 Prozent an. Dass diese Zahl wesentlich höher ist als die Sterblichkeit in den vergangenen Wochen, liegt vor allem an den höheren Werten im Frühjahr. Damals hatten sich vermehrt Ältere angesteckt, zudem wurden weniger Menschen ohne oder mit nur leichten Symptomen getestet.

Die RKI-Angaben zur Fallsterblichkeit beziehen sich auf die nachgewiesenen Infektionen. Da es eine Dunkelziffer bei den Neuinfektionen gibt, dürfte der Wert der Covid-19-Toten bezogen auf alle Infizierten – die sogenannte Infektionssterblichkeit – deutlich niedriger liegen.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden]

„Aktuell ist ein beschleunigter Anstieg der Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten“, schreibt das RKI in seinem Lagebericht vom Dienstag. „Daher wird dringend appelliert, dass sich die gesamte Bevölkerung für den Infektionsschutz engagiert.“ Dazu zählt das RKI unter anderem Abstands- und Hygieneregeln auch im Freien, Lüften von Innenräumen und, wo geboten, eine Mund-Nasen-Bedeckung.

Die Reproduktionszahl, kurz R-Wert, lag in Deutschland dem RKI-Lagebericht vom Dienstag zufolge bei 1,25 (Vortag: 1,35). Das bedeutet, dass zehn Infizierte im Mittel 12 bis 13 weitere Menschen anstecken. Der R-Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen etwa eineinhalb Wochen zuvor ab.

Zudem gibt das RKI in seinem Lagebericht ein sogenanntes Sieben-Tage-R an. Der Wert bezieht sich auf einen längeren Zeitraum und unterliegt daher weniger tagesaktuellen Schwankungen. Nach RKI-Schätzungen liegt dieser Wert nun bei 1,23 (Vortag: 1,25). Er zeigt das Infektionsgeschehen von vor acht bis 16 Tagen.

Seit Beginn der Corona-Krise haben sich nach RKI-Angaben mindestens 380.762 Menschen in Deutschland nachweislich mit dem Virus Sars-CoV-2 infiziert (Stand: 21.10., 0 Uhr). Die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung lag demnach bei 9875. Nach Schätzungen des RKI gibt es etwa 302.100 Genesene.

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