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Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder.
© Kay Nietfeld/dpa

Corona-Hotspot Berchtesgadener Land: Warum niemand Markus Söders Zeigefinger braucht

In der Coronakrise zeigte CSU-Chef Markus Söder erst auf die Berliner, dann auf die Österreicher. Immer sind die anderen schuld an der Pandemie. Eine Glosse.

Eine Glosse von Paul Starzmann

In der politischen Debatte ist er ein beliebtes Instrument: der ausgestreckte Zeigefinger. Eingesetzt wird er meist in einer von zwei möglichen Positionen. Entweder streng nach oben gereckt, wie ein Fahnenmast in den Himmel, kombiniert mit einem moralischen Appell: Man darf doch nicht! Man muss doch mal! Oder er wird spitz wie ein Dolch nach vorne gerichtet, verbunden mit einer Anklage: Ihr seid schuld! Habt versagt!

Diesen Vorwurf musste sich zuletzt auch Berlin anhören. Als die Corona-Infektionszahlen Anfang des Monats in die Höhe schossen, zückte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder umgehend den Indexfinger – und zielte damit auf Berlin. Die Lage in der Hauptstadt sei am Rande der „Nicht-mehr-Kontrollierbarkeit“, warnte Söder. Typisch links-grünes Versagen eben, so war die Botschaft. Besonders schlimm: Das multikulturelle Neukölln, wo unersättliches Partyvolk und exzessive „Clan-Hochzeiten“ für die Ausbreitung des Virus verantwortlich gemacht wurden – während die braven Bürger Bayerns blutenden Herzens zwar, aber doch aus purer Vernunft auf Oktoberfest, Hüttengaudi und anderen urigen Genuss verzichteten. Man darf doch nicht!

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Dann kam der Corona-Ausbruch im Berchtesgadener Land. Das Postkartenidyll im Südosten des Freistaats – konservativ, erzkatholisch und quasi seit Menschengedenken von der CSU regiert – führt derzeit das deutschlandweite Corona-Ranking an. 813 Infizierte wurden zuletzt gemeldet. Der Landkreis ist im Lockdown. Schifffahrten auf dem smaragdgrünen Königsee sind verboten. Eine gemütliche Brotzeit im Watzmann-Haus ist bis auf weiteres unmöglich. Das Hum-Tata der Trachtenkapellen – abgeblasen.

Seither deuten die Zeigefinger zurück auf Söder. Wer ist schuld am Corona-Ausbruch im Voralpenland? Feierwütige Jugendbanden können es kaum sein. Man muss schon eine gute Portion Glück haben, um in Kurorten wie Berchtesgaden auf einen Vertreter der U50-Gruppe zu treffen. Aufgebrezelte Partygänger aus aller Welt wie in Berlin findet man hier nicht. Das Bild in den Fußgängerzonen und Wirtshäusern dominieren Rentner im deutschen Pensionisten-Chic, in Wollwesten und Multifunktionsjacken. In den meisten Ortschaften läutet spätestens zur Tagesschau das Rattern der Jalousien die Nachtruhe ein. Auch dürfte sich die Zahl der „Clan-Hochzeiten“ seit Jahrzehnten im niedrigen einstelligen Bereich bewegen.

Das oberbayerische Berchtesgaden mit dem Watzmann im Hintergrund, Deutschlands zweithöchstem Berg.
Das oberbayerische Berchtesgaden mit dem Watzmann im Hintergrund, Deutschlands zweithöchstem Berg.
© AFP/Christof Stache

Markus Söders Zeigefinger muss sich also ein anderes Ziel suchen. Gefunden hat er es wenige Kilometer von Berchtesgaden entfernt, im Schatten des Hohen Gölls, eines 2500 Meter hohen Kalksteinmassivs. Dort, auf der anderen Seite der Staatsgrenze, liegt das österreichische Örtchen Kuchl, mit mehr als 100 Infizierten ein Hotspot. In diesem Dorf sei die Ursache für den Corona-Ausbruch im benachbarten Bayern zu suchen, sagt Söder.

Das ist natürlich Unsinn. Um direkt von Kuchl nach Berchtesgaden zu gelangen, benötigt man einen Tagesmarsch durchs Hochgebirge. Auch dürften die meisten der 7000 Einwohner zum Shoppen, Biertrinken und anderen Vergnügungen eher ins nahe Salzburg fahren als nach Bayern. Doch mit dem Finger auf die Ösis zu zeigen, das zieht immer.

Die sind nun aufgefordert, mit ihren Autos die Straßen im „Deutschen Eck“ zu meiden – eine populäre Forderung, die seit Jahren zur Lokalpolitik im Berchtesgadener Land gehört. So verkaufte die CSU hier einst auch ihren Irrsinn von der „Ausländermaut“.

Gegen das Coronavirus hilft das alles freilich nichts. Das beste Mittel bleibt nach wie vor die Hygiene, also Maske tragen, Abstand halten und Händewaschen – inklusive Zeigefinger.

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