Gefahr aus dem All: Asteroiden auf Crashkurs
Einschläge von Asteroiden können verheerende Folgen haben. Forscher wollen gefährliche Objekte frühzeitig erkennen - und arbeiten an Verfahren, diese abzulenken.
Es war ein Wunder: Am 15. Februar 2013 erreichte ein 20 Meter großes Objekt die Erde und explodierte über der russischen Millionenstadt Tscheljabinsk. 7000 Gebäude wurden beschädigt, viele Menschen verletzt, doch niemand getötet. Es hätte anders ausgehen können, wäre der Brocken nur etwas steiler herangeschossen und in geringerer Höhe zerfetzt worden – oder er hätte gar eingeschlagen.
Kosmische Treffer wurden lange als abstrakte Gefahr wahrgenommen. Man dachte an den Einschlag vor 66 Millionen Jahren, in dessen Folge die Dinosaurier ausstarben oder die Tunguska-Explosion in Sibirien im Jahr 1908. Tscheljabinsk hingegen machte die Gefahr spürbar. Asteroiden wurden zu einem ernsthaften Thema jenseits von Hollywood-Klamotten wie „Armageddon“.
Seriös über die Gefahren und Ideen zur Abwehr zu berichten, ist das Ziel des „Asteroid Day“, der am 30. Juni – dem Jahrestag des Tunguska-Ereignisses – begangen wird. Viele Institute und Prominente wie der „Queen“-Gitarrist und promovierte Astrophysiker Brian May unterstützen diesen Tag, der auch in diesem Jahr weltweit mit Veranstaltungen begangen wird.
Das Ereignis von Tscheljabinsk hat auch der Wissenschaft neuen Schwung gegeben, einschließlich entsprechender Fördermittel etwa für das EU-Projekt "Neoshield 2". Es werden Methoden entwickelt, um sich gegen einen Einschlag zu wappnen. Dafür müssen die gefährlichen Körper aber erst einmal bekannt sein.
551 Objekte gelten als potenziell gefährlich
Mehrere Millionen Asteroiden tummeln sich im Sonnensystem, die allermeisten kreisen aber auf Bahnen, die für die Erde ungefährlich sind. Lediglich 551 Objekte stehen derzeit in der Liste der potenziell gefährlichen. „Bei ihnen kann man nicht komplett ausschließen, dass sie in den nächsten 100 Jahren die Erde treffen“, sagt Gerhard Drolshagen von der europäischen Weltraumagentur Esa.
Allerdings kennen die Wissenschaftler längst nicht alle. Bei Asteroiden größer als einen Kilometer schätzen Experten, gut 90 Prozent der potenziell gefährlichen erfasst zu haben. Kleinere Objekte sind schlechter aufzuspüren. Daher dürfte in der Klasse der 150 bis 1000 Meter großen Asteroiden wohl nur ein Viertel der gefährlichen bekannt sein, schätzt der Esa-Experte. Bei den unter 30-Meter-Objekten würde es weniger als ein Prozent sein.
Die Einschlagsregion lässt bis auf 100 Kilometer genau abschätzen
Die Esa arbeitet an einem Programm, um routinemäßig nachts den ganzen Himmel abzusuchen. Damit hoffen die Forscher, weitere Crash-Kandidaten zu finden. Trotzdem bleibt Unsicherheit: Manche Objekte kommen aus Richtung Sonne angeflogen, sie sind mit Teleskopen nicht auszumachen. Der Tscheljabinsk-Brocken war so einer.
Etwa alle 50 bis 100 Jahre trifft ein Objekt dieser Größe die Erde. Mächtigere Asteroiden werden seltener erwartet, wobei alle Schätzungen mit Unsicherheiten behaftet sind. Dass es weitere Einschläge geben wird, ist klar. Im günstigen Fall, haben die Weltraumbeobachter das Geschoss bereits vorab identifiziert. „Je näher ein Objekt kommt, umso genauer kann seine Flugbahn und damit die Einschlagsregion berechnet werden“, sagt Drolshagen. Bestenfalls ist das eine 50 mal 100 Kilometer große Ellipse, genauer geht’s nicht.
Beschussversuche auf Gesteinsproben
Diese Information wird an nationale Behörden gegeben. In Deutschland wäre es das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), das weitere Schritte festlegt. Das können Evakuierungen sein oder der Rat, wegen Splittergefahr von Fenstern fernzubleiben. Panik angesichts eines nahenden Einschlags erwartet Drolshagen nicht. „Die BBK-Experten sagen, wenn man rechtzeitig informiert und viele Informationen bietet, bleibt das Chaos aus.“
Bei größeren Objekten, die mehrere Dutzend Meter messen, erwägen Experten Ablenkungsmanöver. Raumsonden sollen auf den Asteroiden einschlagen und sie damit auf einen anderen Kurs bringen. „Wie gut das gelingt, hängt vom Material ab, aus dem das Objekt besteht“, sagt Frank Schäfer vom Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik in Freiburg. In seinem Labor werden verschiedene Gesteinsproben mit Metallkugeln beschossen, um herauszufinden, welche Folgen ein Asteroidenbeschuss hätte. Dabei zeigte sich, dass sehr harte Proben wie Quarzit viel stärker auf einen Einschlag reagierten als ein poröser Beton.
Das liegt daran, dass beim Aufprall nicht nur der Impuls der Kugel übertragen wird. „Zusätzlich wird Material entgegen der Einschlagrichtung weggeschleudert, das wirkt wie ein Düsentriebwerk“, erläutert Schäfer. Beim harten Quarzit bildete die Auswurfwolke einen nahezu idealen Konus, was viel zusätzlichen Schub bedeutet. Beim Porenbeton ging die Wolke in alle Richtungen „wie wenn man mit der Hand in eine Schüssel voll Mehl schlägt“, sagt Schäfer. Heißt: weniger Schub, weniger Ablenkung, wenn man einen luftigen Asteroiden beschießt.
2022 soll eine Nasa-Sonde auf Didymoon einschlagen
„Das ist unser Problem, wir kennen von den Asteroiden nur die Oberfläche, wie sie im Inneren aufgebaut sind, wissen wir nicht“, erläutert er. Daher wollen die Esa und die Nasa einen Beschussversuch im Weltraum starten. In der Doppelmission „Aida“ (Asteroid Impact & Deflection Assessment) soll 2020 der Kleinplanet „Didymos“ mit seinem 170 Meter kleinen Begleiter „Didymoon“ angesteuert werden, um ihn genau zu vermessen. 2022 käme die Nasa-Sonde hinzu und soll mit sechs Kilometern pro Sekunde auf Didymoon einschlagen. Die Europäer sollen den Beschuss mit ihren Geräten beobachten und ermitteln, wie stark der Minimond von seiner Bahn abgelenkt wurde.
Bisher existiert die Mission nur auf dem Papier. Über den europäischen Teil namens AIM – Kosten rund 200 Millionen Euro – soll die Esa-Ministerratskonferenz im Dezember entscheiden. Die Nasa müsste etwa 150 Millionen Dollar für ihren Teil namens Dart aufbringen und sollte bis zum Frühjahr zusagen, damit der Zeitplan zu halten ist.
"Die Technologie zur Kursablenkung ist vorhanden"
Sollte das Geld nicht zusammenkommen, gibt es eine Alternative namens Neotwist. „Dabei würde ein länglicher Asteroid von der Seite beschossen, um seine Rotationsgeschwindigkeit zu ändern“, sagt Alan Harris vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Berlin. Indem man per Teleskop die Änderungen des reflektierten Lichts misst, ließe sich feststellen, wie stark die Drehung des Asteroiden durch den Beschuss beeinflusst wurde. „Das kann man von der Erde aus tun, was die Mission billiger macht“, sagt Harris. „Aber uns wäre es natürlich lieber, wenn Aida gestartet wird, denn das verspricht mehr Informationen darüber, wie Asteroiden auf einen Treffer reagieren.“ Aus seiner Sicht wären entsprechende Missionen durchaus machbar. „Man müsste vielleicht noch etwas für Steuerung und Navigation tun, damit die Sonde ihr Ziel sicher trifft, aber grundsätzlich ist die Technologie vorhanden“, sagt er.
Ob die Menschheit diese Option im Ernstfall wählen sollte, ist eine andere Frage. Das UN-Büro für Weltraumangelegenheiten hat dazu Arbeitsgruppen eingerichtet. Die Experten sollen Kriterien erarbeiten, wann eine Asteroidenabwehr sinnvoll ist, wer den Einsatz bezahlt – und wer im Fall einer missglückten Mission haftet.