zum Hauptinhalt
Fokussiert. Eine Krankenschwester bereitet Blutplasma vor. Die moderne Medizin macht den Beruf immer anspruchsvoller.
© M. Schutt/picture alliance / dpa

"Bachelor of Nursing": Als Krankenschwester an die Uni

Es gibt immer mehr Studiengänge für angehende Pflegekräfte. Was bringt die Akademisierung?

Weil Ida Lenze sehr wissensdurstig war, und weil sie das Ziel hatte, in verantwortlicher Position daran mitzuwirken, Menschen von schweren Krankheiten zu heilen, blieb ihr nur eines: Sie musste ein Medizinstudium beginnen. Und zwar in der Schweiz. Die Heldin der ARD-Serie „Charité“, die als Hilfswärterin von der Diakonissen-Oberin Martha drangsaliert wird, hätte in der Pflege allenfalls eine halbjährige Ausbildung machen und zur „Krankenwärterin“ aufsteigen können. Keine Chance auf eine akademische Karriere in der Pflege im Jahr 1888.

Erst im Jahr 1904 sprach dann Agnes Karll, die Präsidentin des International Council of Nurses, die Empfehlung aus, Schwestern und Pfleger drei Jahre lang auszubilden. In den meisten deutschen Ländern dauerte es trotzdem noch eine Weile, bis es zur heutigen Form der Ausbildung kam. Mehr als ein Jahrhundert später gab der Wissenschaftsrat im Jahr 2012 eine klare Empfehlung: Zehn bis zwanzig Prozent der jungen Leute, die sich für eine Ausbildung in der Pflege entscheiden, sollten sie in Form eines Hochschulstudiums absolvieren. Schon 2007 hatte der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen gefordert, dass die Berufsgruppen im Gesundheitswesen ihre Aufgaben und Verantwortlichkeiten neu verteilen. Vorbild sind Länder wie die Niederlande, die Schweiz, Dänemark oder Schweden, wo nicht nur Ärzte und Ärztinnen, sondern auch Pflegekräfte ihr Fach studieren.

Aufbaustudiengänge in Pflegemanagement oder Pflegepädagogik für Pflegekräfte, die die übliche dreijährige Ausbildung bereits hinter sich und womöglich im Beruf praktische Erfahrung gesammelt haben, dann aber ins Krankenhausmanagement wechseln oder sich in der Ausbildung des Nachwuchses engagieren möchten, gibt es zwar schon länger. Deutsche Pionierin in Sachen grundständiger Studiengang war aber die Evangelische Hochschule Berlin, in der man heute gleich nach dem Abitur oder Fachabitur ein Studium zum „Bachelor of Nursing“ beginnen kann.

Die Studierenden sind zeitgleich Auszubildende

Der Modellstudiengang, der von der EHB und derzeit zehn Kooperationspartnern durchgeführt wird, integriert die Lehre, die an der Hochschule stattfindet, mit der pflegepraktischen Ausbildung in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen. Die Studierenden sind also in den ersten drei Jahren gleichzeitig Auszubildende der Gesundheits- und Krankenpflege, haben in dieser Zeit Anspruch auf eine Ausbildungsvergütung und die Aussicht, nach vier Jahren zwei Abschlüsse zu erhalten.

Nun ist auch an der Charité ein Bachelorstudiengang Pflege geplant, der im Wintersemester 2019/20 starten soll. Mit dem Abschluss werden die Absolventen gleichzeitig die Berufszulassung als „Pflegefachmann oder Pflegefachfrau“ erwerben, die Gesamtverantwortung soll bei der Medizinischen Fakultät der Charité liegen. „Mit diesem Muster wird an die international übliche Qualifizierung für Pflegefachpersonen angeschlossen“, sagt Yvonne Lehmann, die am Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaften maßgeblich an der Entwicklung des neuen Studiengangs beteiligt ist.

Auch die Alice Salomon Hochschule Berlin (ASH) feilt an einem grundständigen Bachelor-Studiengang. Er soll ebenfalls zum Wintersemester 2019/20 starten und in jedem Semester 40 neue Studierende aufnehmen. Auch die ASH wolle das Studium in alleiniger Verantwortung übernehmen, sagt Gudrun Piechotta-Henze, Professorin im schon bestehenden Studiengang Gesundheits- und Pflegemanagement. Praktisch hat das zur Folge, dass die Studierenden keine Ausbildungsvergütung bekommen, aber Bafög beantragen können.

Zusammen mit ihrem Kollegen Lutz Schumacher hat die ausgebildete Pflegekraft und promovierte Soziologin das Konzept für den neuen Bachelorstudiengang Pflege entwickelt. Im Curriculum sollen Theorie und Praxis eng miteinander verzahnt sein. Wer Pflege mit dem Ziel des Bachelor of Science studiert, wird mit den Methoden des wissenschaftlichen Arbeitens konfrontiert. „Unser Ziel ist die evidenzbasierte, also auf Forschungsergebnissen beruhende Pflege“, sagt Piechotta-Henze. „Unsere Absolventen sollen in der Lage sein, Forschungsergebnisse zu verstehen und eigene wissenschaftliche Untersuchungen zu machen, sie sollen das eigene Handeln hinterfragen und auswerten können.“

"Das kommt allmählich in Schwung"

Geht es nach Piechotta-Henze, sollten langfristig alle Pflegekräfte an Hochschulen ausgebildet werden. „Das kommt allmählich in Schwung, noch herrscht in Deutschland bei der Pflege-Ausbildung aber ziemlicher Wildwuchs.“ Zur Tradition des Berufes gehört es, dass das Berufsbild von Ordensschwestern und Diakonissinnen geprägt, die Pflege als Akt christlicher Nächstenliebe verstanden wurde. Untergeordnete Funktion, ungeklärte Kompetenzen und schlechte Bezahlung waren lange Zeit in diesem klassischen „Frauenberuf“ nicht das Thema. Mit der generalisierten Ausbildung, bei der in den ersten beiden Jahren alle gemeinsam lernen und erst im dritten Jahr angehende Pflegekräfte für Erwachsene, Kinderkrankenpflege und Altenpflege getrennte Ausbildungswege gehen, soll nun eine neue feste Struktur für die Ausbildung entstehen. Das entsprechende Pflegeberufegesetz wird 2020 in Kraft treten.

Piechotta-Henze plädiert trotzdem dafür, auch die Akademisierung des Berufsstandes voranzutreiben. Die Sorge, das könnte Interessenten für den Beruf abschrecken, teilt sie nicht. „Immer mehr junge Leute schließen die Schule mit dem Abitur ab, unter bestimmten Umständen besteht zudem die Möglichkeit, ohne das Zeugnis der Hochschulreife zu studieren.“ Der Bachelor macht das Berufsfeld ihrer Ansicht nach sogar attraktiver. „Es muss klar definierte eigenverantwortliche Arbeitsfelder geben – und damit verbunden auch eine höhere Bezahlung.“

Uwe Bettig, Rektor der ASH, findet das auch deshalb wichtig, weil im Gesundheitssystem durch den demografischen Wandel und den ökonomischen Druck große Veränderungen im Gang sind. Die besondere Expertise der Pflegekräfte werde dafür dringend gebraucht. Zudem führe der wissenschaftliche Fortschritt zu völlig neuen Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten. „Das macht es nötig, dass Expertinnen und Experten evidenzbasiert, interdisziplinär und auch sektorenübergreifend zusammenarbeiten.“

Zur echten Akademisierung des Berufs fehlt Fachhochschulen das Promotionsrecht

Bettig sieht hier Parallelen zu anderen Berufen, auf die man sich schon heute an seiner Hochschule durch ein Studium vorbereiten kann. Etwa die Erziehung und Bildung von Kindern im Kita-Alter. „Auch im Bereich der frühkindlichen Erziehung und Bildung haben sich die Anforderungen und Erwartungen, die über eine Betreuung der Kinder hinausgehen, massiv verändert.“ So haben Ergebnisse von Schulstudien dazu geführt, dass der pädagogischen Arbeit in Kitas verbindliche Bildungsprogramme zugrunde liegen. Man sieht sie auch für Kinder unter drei Jahren längst nicht mehr als reine Betreuungsanstalten. Erzieherinnen sollen die Kinder sprachlich fördern, ihre Begeisterung für die Naturwissenschaften wecken und sie sozial, feinmotorisch wie kognitiv optimal auf die Schule vorbereiten. Die Einführung von Studiengängen, die etwa den (sprachlich etwas schrägen) Namen „Kindheitspädagogik“ tragen, war nur folgerichtig.

Zwischen Pflege und frühkindlicher Erziehung gebe es durchaus Berührungspunkte, sagt Bettig. „In beiden Fällen handelt es sich um klassische Frauenberufe, die ja anerkanntermaßen noch zu gering entlohnt werden. Auf der anderen Seite nehmen die Anforderungen stetig zu.“ In der Pflege steige etwa die Zahl multimorbider Patientinnen und Patienten.

Gemeinsam ist beiden klassischen Frauenberufen auch der immense Mangel an Fachkräften – und die verzweifelte Suche nach Menschen, die sich als Quereinsteiger für eine Tätigkeit in Altenheimen, Krankenhäusern oder Kitas begeistern können. „Wir benötigen aber eher mehr Professionalität und Qualität, um den Herausforderungen begegnen zu können“, gibt Bettig zu bedenken. Weil Studiengänge in den Bereichen Pflege und Erziehung überwiegend an Fachhochschulen angesiedelt sind, echte Akademisierung nicht ohne eigenständige Forschungsarbeit denkbar sei, fordert der Rektor der ASH zudem auch das Promotionsrecht für die Fachhochschulen.

Ob eine zielstrebige Person wie Ida Lenze unter diesen Umständen vom geplanten Medizin- auf ein Pflegestudium umschwenken würde, bleibt fraglich. In einem Bachelor- und anschließenden Masterstudium könnte sie den neuen Plänen zufolge aber auch dort viel lernen. Und danach „Frau Doktor“ werden.

Zur Startseite