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Ein Grünstreifen mit Bäumen alle 38 Meter soll die Wachstumsbedingungen der Kulturpflanzen verbessern und Bodenerosion verhindern.
© Ralf Nestler

Äcker zu Alleen: Agroforste könnten Biodiversität und Landwirtschaft bereichern

Bäume verbessern das Mikroklima auf Feldern und sichern so Erträge. Das ist besonders für dürregeplagte Landstriche wie Brandenburg interessant.

Es ist ein ungewohnter Anblick. Gerade noch führte die Straße durch die Landschaft Nordbrandenburgs mit hügeligen Weiden, Äckern und Wäldern. Nach einer engen Linkskurve ändert sich auf einmal das Bild: ein frisch gepflügtes Feld liegt vor dem Betrachter, durchbrochen von mehreren schmalen Wiesenstreifen, die jeweils mit jungen Bäumen bepflanzt sind. Was soll das sein, ein Acker, ein Wald?

Es ist eine Mischung aus beidem, verrät eine Infotafel. „Ackerbaum“ heißt das Projekt, ein sogenanntes Agroforstsystem, in dem Land- und Forstwirtschaft zusammengebracht werden. Vor vier Jahren wurde Ackerbaum von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) gemeinsam mit einem Landwirt aus dem nahen Dorf Großmutz im Löwenberger Land gestartet. Der ließ beim Pflügen etwa zwei Meter breite Streifen stehen, Studenten und Mitarbeiter der HNEE pflanzten Roteichen, Wildbirnen, Baumhasel und Elsbeeren, die in Dreiergrüppchen beisammenstehen.

„In zwanzig, dreißig Jahren wird es hier ganz anders aussehen“, sagt Ralf Bloch, Agrarökologe an der HNEE. „Die Bäume bilden weite Kronen aus und beeinflussen damit positiv das Mikroklima.“ Trockene Sommer sind schon jetzt ein großes Problem in der Region, es dürfte sich künftig noch verschärfen. Die Baumstreifen wirken zweifach dagegen.

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Ganzjährig grün

Zum einen mit ihrem Schatten, der vor direkter Sonneneinstrahlung schützt. „Zum anderen brechen sie den Wind, der hier oft über die Fläche weht und sie rasch austrocknet.“ Unterm Strich werde so mehr Wasser im Boden gehalten, das die Pflanzen nutzen können. Außerdem sollen die Streifen, die wie längliche Inseln im Acker liegen, Lebensraum für Insekten, Wirbeltiere und Bodenlebewesen bieten und so die Biodiversität erhöhen.

In der Theorie hört sich das gut an, doch geht das Konzept wirklich auf? Um das zu überprüfen, kommen regelmäßig Studierende und Mitarbeiter der HNEE hierher, werten Daten der Wetterstation und Bodenfeuchtemessungen aus, erfassen die Pflanzen- und Tierbestände. „Sobald die Baumstreifen angelegt sind und nicht mehr bearbeitet werden, siedeln sich viele Tiere an“, sagt Bloch. Zum Beispiel Mäuse, die wiederum die Population der Greifvögel anwachsen ließen. Die typischen Flecken unter den Sitzhilfen zeigen an, dass hier viele Vögel Futter finden und verdauen. „Auch die Zahl der Insekten nimmt zu“, sagt der Forscher. Wie bestellt hat sich unweit ein Falter auf einer blühenden Ackerdistel niedergelassen.

Gerade jetzt, unmittelbar nachdem der Acker umgebrochen wurde, wird deutlich wie wichtig die Streifen für die Biodiversität sind: Rechts und links davon liegt die gegrubberte, bloße Erde, allenfalls ein Ort für Würmer, Asseln und allerlei Bodenbewohner. Die Streifen hingegen sind das ganze Jahr über eine Heimat für Tiere und Pflanzen, verbinden die Lebensräume, die sich an den Rändern des Feldes anschließen.

Doch was Biologen freut, kann Landwirte verdrießen. Disteln und Kamille breiten sich ebenfalls aus, konkurrieren mit den angebauten Pflanzen im Feld und drücken die Erträge. Ein Dilemma. „Wir wollen nicht, dass die Streifen dazu führen, dass mehr Herbizide eingesetzt werden“, sagt Bloch. Stattdessen soll nun gemulcht werden, vielleicht auch Kleegras ausgesät werden, um die unerwünschten Kräuter klein zu halten. Ein Versuch, die lästigen Gewächse mit Sonnenblumen zu übertrumpfen schlug fehl.

Begründete Skepsis der Landwirte

Anders als Forschungsflächen, wo nahezu unter Idealbedingungen gearbeitet wird, ist das Feld bei Großmutz ein Reallabor. Wissenschaftler und Landwirt tasten sich gemeinsam an die neue Bewirtschaftungsform heran, suchen praxistaugliche Lösungen für Probleme, vom Unkraut bis zum Wilddruck durch Rehe. Das alles geschieht unter Beobachtung zahlreicher Bauern, die vielleicht selbst überlegen, ein Agroforstsystem anzulegen.

Es ist ein bedeutsamer Schritt. Die Baumstreifen fehlen in der Nutzfläche für Getreide, Mais oder Rüben. Sie müssen den Minderertrag also irgendwie ausgleichen. Das können sie – neben den positiven Effekten auf Mikroklima und Wasserhaushalt – vor allem durch eigene Biomasse leisten. Wilde Birnen, Eichen oder Ahornbäume erzielen Jahrzehnte später als Furnierholz gute Preise; manche Bauern setzen auch Obstbäume, um ihr Einkommen zu diversifizieren.

Trockenheit begünstigt Erosion von landwirtschaftlich genutzten Böden, hier in Brandenburg.
Trockenheit begünstigt Erosion von landwirtschaftlich genutzten Böden, hier in Brandenburg.
© picture alliance/dpa

Wie in der Forstwirtschaft gleicht auch bei Agroforstsystemen die Auswahl der Bäume zunehmend einer Lotterie. Welche Art mit den veränderten Bedingungen über viele Jahre am besten zurechtkommt, kann niemand sicher sagen. „Nach unseren Literarurrecherchen sollten Eichen hier die besten Chancen haben“, sagt der HNEE-Forscher Bloch. Nun steht er vor einem mickrigen Trieb, zupft die dürren Blätter ab. „Die sind am schlechtesten gekommen.“ Bloß gut, dass sie verschiedene Baumarten gesetzt haben, ausgerechnet die Birnen wachsen am besten.

Wenn Landwirte sich auf die neue Anbauform einlassen, brauchen sie neben den agrarwissenschaftlichen auch forstwissenschaftliche Kenntnisse. Und das ist nicht die einzige Hemmnis. „Viele sind skeptisch, weil es doch ein größerer Aufwand ist“, sagt Christopher Morhart, der an der Universität Freiburg dazu forscht. Die Baumstreifen müssen angelegt und gepflegt werden. Das geschieht zwar vorrangig im Winterhalbjahr, wenn etwas mehr Zeit ist, aber getan werden muss die Arbeit trotzdem. „Zudem sind viele Flächen in Deutschland gepachtet, Agroforstsysteme sind langfristig ausgerichtet.“ Die Umgestaltung müsse mit den Eigentümern vertraglich geregelt werden.

Hackschnitzel als lukratives Nebenprodukt

Aus seiner Sicht lohnt sich die Mühe dennoch. Zwar würden im Schatten der Bäume die Feldfrüchte weniger gut wachsen, doch „über die gesamte Fläche gerechnet einschließlich des Nutzholzes sind die Erträge sogar höher“, sagt Morhart und beruft sich auf Untersuchungen aus Frankreich, wo Agroforst schon länger und an vielen Standorten betrieben wird. Die Bäume mit ihren tiefreichenden Wurzeln würden zudem andere Bodenschichten erschließen als einjährige Feldpflanzen. „Damit ergibt sich eine zweite Chance, um Düngemittel, die aus dem Oberboden ausgewaschen wurden, doch noch zu nutzen.“ Sie blieben dann den ohnehin belasteten Gewässern erspart.

Die Erkenntnisse über die ökologischen Vorteile der Agroforstsysteme sind mittlerweile in den Behörden angekommen. Durch eine neue Förderstruktur in der Landwirtschaft wird es bald einfacher sein, solche Flächen einzurichten und es wird finanzielle Hilfen geben. Trotzdem haben Landwirte Scheu, berichtet Morhart. „Sie fürchten, dass mit zunehmendem Artenreichtum die Naturschutzbehörden aufmerksam werden und eine Bewirtschaftung untersagen.“ Dies wäre kontraproduktiv. „Wir möchten, dass Landwirte stärker mit einem ökologischen Anspruch arbeiten, und zwar nicht allein die Biobauern, sondern gerade auch die konventionell wirtschaftenden.“

Dafür kommen nicht allein Streifen mit Werthölzern im Feld infrage. Es gibt ebenso Agroforstsysteme, in denen Bäume mit Tierhaltung verknüpft werden. Beispiele sind eine Kombination aus Walnussproduktion und Schafzucht im brandenburgischen Herzberg oder Pappeln im Hühnerauslauf im fränkischen Uffenheim, wo die Bäume die Fläche strukturieren und Schutz vor Greifvögeln bieten.

Schnellwachsende Gehölze wie Pappeln oder Robinie werden häufig auch mit Ackerbau kombiniert und ebenso in Streifen angelegt wie auf dem Acker bei Großmutz. Fachleute nennen das Kurzumtrieb, denn die Bäumchen werden nach kurzer Zeit, etwa acht bis zehn Jahren, geerntet und zu Hackschnitzeln verarbeitet. Diese werden meist verbrannt, um Wärme und Energie zu gewinnen, was in puncto Klimaschutz aber wenig sinnvoll ist. „Sie können auch vor Ort aufs Feld gebracht werden und so den Boden verbessern“, sagt Christian Böhm von der BTU Cottbus Senftenberg, der etliche Agroforstvorhaben in der Lausitz wissenschaftlich begleitet.

Noch besser wäre eine stoffliche Verwertung der Hackschnitzel. „Denkbar wäre das in der Zellstoffproduktion, für Kartonagen oder in Holzverbundstoffen“, sagt Böhm. Diese Verwertungspfade seien aber noch nicht etabliert, auch weil Agroforstsysteme flächenmäßig klein sind gegenüber Wäldern. Die Maschinenlogistik ist dadurch aufwändiger. So komme das meiste Holz weiter aus den Wäldern. „In naher Zukunft wird es ein wertvoller Rohstoff sein, weil zum Beispiel Plastik ersetzt werden wird“, sagt der Forscher. „Agroforst kann dann ebenfalls eine Rolle spielen.“

Vom Streifen zur organischen Insel

Gut möglich, dass auch das Erscheinungsbild der Agroforste künftig ein anderes ist. Bei Großmutz sind die Baumstreifen schnurgerade und mit einem konstanten Abstand von 38 Metern angelegt – damit das Feld weiter effizient mit den vorhandenen Großgeräten bearbeitet werden kann. „Wenn die Robotertechnik weiter vorankommt, wird die Feldarbeit künftig von kleinen, autonomen Maschinen erledigt“, sagt der HNEE-Forscher Bloch.

Die benötigen keine großen Flächen mit geraden Begrenzungslinien. „Man könnte die Baumgruppen zu organisch geformten Inseln zusammenführen und noch stärker das Relief und die verschiedenen Bodenarten, die selbst innerhalb dieses Feldes variieren, berücksichtigen.“ Das spart Dünger, hält Wasser in der Landschaft, schützt vor Erosion kostbaren Bodens und bringt gute Erträge. Eine Landwirtschaft, die mit der Natur arbeitet. In Blochs Kopf gibt es sie schon.

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