Tierische Emotionen: Affige Freudentaumel und Wutausbrüche
Dass Tiere Trauer, Freude, Ärger und Frustration erleben, ist für viele Menschen offensichtlich. Der wissenschaftliche Beweis jedoch ist kompliziert.
Der kleine Schimpanse ist gar nicht begeistert, als ihm die Mutter seine Milch verweigert. Er versucht es immer wieder, wimmert, beginnt zu jammern. Die Mutter bleibt hart, der Affe wirft sich auf den Boden und trommelt mit beiden Fäusten. Ist ein Menschenkind in einer ähnlichen Situation, wird abgestillt oder muss auf sein Lieblingsessen verzichten, reagiert es manchmal genauso. Eltern und Wissenschaftler sind sich dann rasch einig: Der Nachwuchs ist enttäuscht und sauer. Wenn all sein Bitten und Drängen nicht fruchtet, steigert sich seine Frustration, bis ein Wutausbruch folgt.
Solche Ausbrüche hat Catherine Crockford vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (EVA) in Leipzig bei Schimpansenkindern in Schutzgebieten in Uganda und an der Elfenbeinküste mehr als einmal beobachtet. Trotzdem ist sie nicht sicher, ob die Tiere dabei ähnliche Gefühle wie Menschen haben. „Wir wissen nicht, was der kleine Schimpanse empfindet“, sagt die Verhaltensbiologin.
Es fehlt der letzte Beweis. Hinweise auf Gefühle bei Tieren haben Forscher dagegen zuhauf gesammelt. Häufig stammen sie von Schimpansen, unseren engsten Verwandten. Als die britische Verhaltensforscherin Jane Goodall 1960 begann, das Verhalten dieser Menschenaffen im Gombe-Stream-Nationalpark in Tansania zu beobachten, fielen ihr rasch Parallelen zur Gefühlswelt der Menschen auf – zumindest zu Wut, Ärger oder Freude. Stießen die Schimpansen zum Beispiel auf einen Haufen Bananen, gerieten sie in eine Art Freudentaumel. Die Tiere fielen sich in die Arme, küssten sich und klopften sich gegenseitig auf den Rücken. Ähnlich wie Fußballfans, wenn ihre Mannschaft gewonnen hat.
Die Schimpansin ließ ihr totes Kind nicht allein
Der Verdacht liegt nahe, dass jeweils dieselben Gefühle im Spiel sind: unbändige Freude beim Fund vieler Leckerbissen. Oder Frust und Wut, wenn sie vorenthalten werden. Manchmal können Forscher wie Catherine Crockford diese Gefühlswelt sogar messen. Weibliche Paviane leben zum Beispiel in den Savannen Afrikas in Gruppen mit engen, oft verwandtschaftlichen Beziehungen. Stirbt eines dieser Tiere, können die Forscher mehr als einen Monat deutlich höhere Werte des Stresshormons Kortisol im Organismus des Clan-Oberhauptes messen, auch die Gefährtinnen wirken gestresst. Trauern sie also?
Der Verhaltensforscher Frans de Waal von der Emory-Universität in Atlanta hat Schimpansen beobachtet, die ihr totes Kind tagelang mit sich herumschleppten. Eine Erklärung für dieses Verhalten wäre, dass die Affen nur nicht begriffen hätten, dass ihr Kind tot ist. Gegen diese Annahme spricht eine Beobachtung von Jane Goodall. Als seine Mutter gestorben war, saß ihr achtjähriger Sohn stundenlang bei ihr und zog an ihrer Hand. Tage später saß er in einem Baum und betrachtete lange den Platz, an dem er mit seiner Mutter übernachtet hatte. Anscheinend hat er ihren Tod nicht überwunden, der Schimpanse wirkte apathisch. Keinen Monat später starb auch er.
Futter zu teilen, stärkt die Bindung
Auch eine Elefantengruppe in Kenia scheint Trauer zu kennen. Als eine Kuh überraschend starb, trotteten die Tiere zwar nach einiger Zeit zu einem acht Kilometer entfernt liegenden Gelände mit saftigem Futter, um dort zu fressen. Aber schon am nächsten Tag kamen sie zu der toten Elefantenkuh zurück, standen lange neben ihr. Anschließend ging es erneut zum nächsten Futterplatz. Das wiederholten sie einige Tage, berichtet der britische Forscher Ian Redmond. Vieles deutet darauf hin, dass die Elefanten um ihre tote Gefährtin trauerten.
Tiere wie diese Dickhäuter und besonders die nächsten Verwandten des Menschen wie Schimpansen oder Gorillas haben offensichtlich starke Gefühle. Nur lassen sie sich kaum beweisen. Immerhin können Wissenschaftler die Hormone messen, die hinter den vermuteten Gefühlen stecken. So spielt Oxytocin eine wichtige Rolle bei der Liebe einer Menschenmutter zu ihrem Kind oder zwischen zwei Liebenden. Dieses Hormon beeinflusst anscheinend das Vertrauen zu anderen Menschen positiv. Schimpansen wiederum verbessern das Vertrauensverhältnis zu Artgenossen, wenn sie sich gegenseitig das Fell pflegen. Auch dabei steigt die Konzentration von Oxytocin im Urin der Tiere an, maßen die EVA-Forscher Catherine Crockford, Tobias Deschner und Roman Wittig. Noch höher klettert dieser Wert, wenn sich die Schimpansen Fleisch, Honig oder Früchte teilen. Vielleicht feiern Menschen aus einem ähnlichen Grund besondere Gelegenheiten mit einem Essen und steigern so ihr Gemeinschaftsgefühl.
Roland Knauer