Geschichte der Quarantäne: 40 lange Tage der Isolation – und viel länger?
Quarantäne war für Menschen immer schon hart. Im Gegensatz zur Coronakrise wusste man aber meist, wie lange sie dauert. Eine Kulturgeschichte.
Ein jahrhundertealtes Wort hat gute Chancen, das Wort des Jahres 2020 zu werden: Quarantäne. Der Begriff geht zurück auf die italienische Benennung der Zahl 40: „Quaranta“. Denn ein Zeitraum von 40 Tagen spielte ab dem späten Mittelalter immer öfter eine Hauptrolle in den Bemühungen von Städten oder Ländern, den Ausbruch von Seuchen zu verhindern oder bereits ausgebrochene Seuchen zu bekämpfen.
Die grundlegende Methode der Seuchenbekämpfung wurde dabei jedoch bereits seit Jahrtausenden angewendet. Sie wird schon im Alten Testament beschrieben. Danach mussten Priester krankhafte Hautveränderungen, wie sie etwa bei Lepra auftraten, in Augenschein nehmen.
Entschieden sie, der erkrankte Mensch sei „unrein“, war klar, was zu tun war: „Solange der Aussatz an ihm ist, soll er unrein sein, allein wohnen und seine Wohnung außerhalb des Lagers sein“ (3. Buch Mose, Kapitel 13). Der Kranke musste seine Isolation sogar selber sicherstellen, indem er „unrein, unrein“ zu rufen hatte, um die Gesunden fernzuhalten.
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Doch solange die Ursachen und der Verlauf infektiöser Krankheiten noch unbekannt waren, behinderte die Isolation bereits erkrankter Menschen nur beschränkt die Verbreitung einer Seuche. Dies zeigte sich besonders brutal nach dem Ausbruch der Pest in Europa im Jahr 1347 nach Christus.
Innerhalb weniger Jahre fielen ihr rund 25 Millionen Menschen zum Opfer, ein Drittel der europäischen Bevölkerung. Und dies trotz aller verzweifelter Maßnahmen, die von der Pest befallenen Menschen zu isolieren und so die gesunden Menschen vor ihnen zu schützen.
In Mailand etwa ging man so weit, Häuser, in denen Pestkranke wohnten, einfach zuzumauern. Doch selbst die radikalsten Isolationsmethoden konnten die Ausbreitung der Seuche bestenfalls verlangsamen.
Auch gesund aussehende Menschen ansteckend
Erst etwa 500 Jahre später erkannte man, warum es zu spät war, Menschen erst dann aus der Gemeinschaft auszuschließen, wenn sich bei ihnen die typischen Pestsymptome zeigten: Beulen etwa oder Bluthusten. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckten Forscher wie Louis Pasteur in Frankreich oder Robert Koch in Deutschland, was heute zum Allgemeinwissen gehört: Infektionskrankheiten wie die Pest werden von Mikroorganismen verursacht.
Und schon während sich die Krankheitserreger noch unbemerkt in dem von ihnen befallenen Körper vermehren, kann der infizierte Mensch sie bereits auf andere Menschen übertragen. Beim Sars-CoV-2-Virus zum Beispiel beträgt die sogenannte Inkubationszeit zwischen unbemerkter Ansteckung und bemerkter zugehöriger Erkrankung durchschnittlich fünf bis sechs Tage.
Schon lange vor diesen Erkenntnissen der modernen Mikrobiologie vermuteten wohl auch manche Mediziner des Mittelalters, dass man sich die Krankheit nicht, wie man damals annahm, durch das Einatmen giftiger Luft in den Leib holte, sondern dass die Pest von Mensch zu Mensch übertragen wird.
Dies konnte man zum Beispiel dadurch erkennen, dass die Pest nicht überall gleichzeitig ausbrach, sondern sich nach und nach vor allem entlang der Handelswege in Europa verbreitete. Und die Rasanz der Ausbreitung trotz sofortiger Isolation der Pestkranken weckte den Verdacht, dass auch gesund aussehende Menschen bereits ansteckend sein konnten.
Die Hafenstädte am Mittelmeer waren jedenfalls alarmiert. Jedes einlaufende Schiff konnte die Pest an Bord haben – und zwar selbst dann, wenn kein einziges Besatzungsmitglied tatsächlich erkrankt war. 1374 ordneten deshalb die Behörden der beiden italienischen Hafenstädte Genua und Venedig eine rigorose Maßnahme an: Schiffe, die aus Gegenden kamen, in denen die Pest wütete, durften grundsätzlich nicht anlegen.
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Da aber der Wohlstand der beiden Städte als Umschlagplätze für Waren aus aller Welt sich vor allem auf den Handel gründete, dürfte diese strikte Handelsbeschränkung ähnlich umstritten gewesen sein wie heute der „Shutdown“ unseres Landes.
Warum gerade 40 Tage?
Dieser Streit zwischen der Sorge um das Wohlergehen der Menschen und der Sorge um das Wohlergehen der Wirtschaft mag der Grund dafür gewesen sein, dass die Stadt Ragusa, das heutige Dubrovnik, 1377 wohl als erste Hafenstadt am Mittelmeer eine Vorschrift einführte, die den Handel nicht ganz so stark behinderte: Gleichgültig, woher sie kamen, mussten alle Schiffe zunächst 30 Tage außerhalb des Hafens ankern.
Erst nach dieser 30-tägigen Wartezeit, dem sogenannten „Trentino“, durften sie einlaufen – vorausgesetzt, dass in dieser Zeit an Bord keine Seuche ausgebrochen war.
Nach und nach schlossen sich viele weitere Hafenstädte rund um das Mittelmeer dieser Regel an, mit einer Änderung: Das „Trentino“ wurde um 10 Tage verlängert zu einem 40-tägigen „Quarantino“.
Noch heute müssen alle Schiffe vor dem Einklarieren in den Hafen eines anderen Landes eine gelbe Flagge hissen, die im Flaggenalphabet für den Buchstaben „Q“ steht, den Anfangsbuchstaben des alten Quarantino, und den Hafenbehörden verkündet: „An Bord ist alles gesund und ich bitte um freie Verkehrserlaubnis.“
Warum gerade 40 Tage? Beruhte dieser Zeitraum ganz einfach auf der Meinung mittelalterlicher Ärzte, dass jede in einem Menschen schwelende Erkrankung spätestens nach 40 Tagen zum Ausbruch kommen würde oder – modern ausgedrückt – dass ihre Inkubationszeit kürzer als 40 Tage war?
Zahlensymbolik mit magischer Bedeutung
Vermutlich wurde mit der Zahl 40 jedoch eher die magische Bedeutung wieder aufgegriffen, die ihr schon seit alters her zugesprochen worden war. Die Magie der Zahl 40 ging dabei vermutlich auf ein Himmelsereignis zurück, das schon den Babyloniern aufgefallen war: Jedes Jahr zur gleichen Zeit verschwindet die Sterngruppe der Plejaden im gleißenden Licht der Sonne, um 40 Tage später wieder auf der anderen Seite der Sonne aufzutauchen.
Diese himmlische Perspektive bietet sich immer dann, wenn die Erde auf ihrem Flug um die Sonne eine Position erreicht, von der aus gesehen die weit entfernten Plejaden hinter die Sonne geraten.
Ohne jede Kenntnis dieser Himmelsgeometrie deuteten die Babylonier den Zeitraum von 40 Tagen, in denen sie die Plejaden nicht mehr sehen konnten, als eine Zeit der Läuterung, der Erlösung, der Erwartung besserer Tage.
Sowohl die jüdische als auch die christliche Religion übernahmen diese Zahlensymbolik und baute sie ein in ihre Geschichten und Regeln: Der Regen der biblischen Sintflut währte 40 Tage lang; nach dem Auszug aus Ägypten irrte das Volk Israel 40 Jahre lang durch die Wüste; Jesus blieb 40 Tage fastend allein in der Wüste; auch heute dauert die Fastenzeit noch 40 Tage, und so weiter.
Und nicht zu vergessen: Ein Schwabe muss dem Volksmund nach 40 Jahre lang warten, ehe er „gescheit“ wird.
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Doch warum auch immer die Menschen im Mittelalter auf eine Quarantäne-Zeit für Schiffe von 40 Tagen verfallen sein mochten: Sie bewährte sich offenbar. Bald übernahmen auch viele Städte im Inland die maritime Vorsichtsmaßnahme der Quarantäne und übertrugen sie auf Reisende aus fremden Städten. Diese mussten daraufhin 40 Tage lang vor den Toren der Stadt ausharren, ehe sie eingelassen wurden – wenn sie gesund geblieben waren.
Jahrtausendealte Isolationsmethode als wirksamste Methode
Im Laufe der Zeit erweiterte sich „Quarantäne“ zum Oberbegriff für alle räumlichen Trennungsmaßnahmen, mit denen die Ansteckungsketten der verschiedensten Seuchen unterbrochen werden sollten: Durch Isolation von erkrankten Menschen und der Menschen, die mit ihnen in Kontakt gekommen waren, und schließlich sogar vorbeugend durch den angeordneten oder freiwilligen Rückzug auch der übrigen Menschen aus dem öffentlichen Leben in verseuchten Regionen.
Wer aber hätte sich bis vor Kurzem vorstellen können, dass man einmal die gesamte Menschheit in Quarantäne schicken müsste? Wer hätte jemals geglaubt, eine Pandemie zu erleben, die Milliarden von Menschen – am besten wäre: alle! – auf dem globalisierten Globus dazu bringen würde, sich auf unbestimmte Zeit in ihre jeweils eigene Quarantäne zurückzuziehen?
Und wer hätte gedacht, dass diese schon jahrtausendealte Isolationsmethode immer noch die bislang einzige wirksame Möglichkeit der Bekämpfung des Virus Sars-CoV-2 sein würde? Nur mit dem Unterschied, dass die an Covid-19 erkrankten Menschen nicht mehr selber „unrein, unrein“ rufen müssen. Das sollen jetzt bald Mobiltelefone mithilfe von „Corona-Apps“ erledigen.
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