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Arbeiten auch über das Alter von 67 Jahren hinaus?
© picture alliance / dpa

Verteilung von Arbeit und Rente: Zunehmendes Alter bei Rentendebatte einbeziehen

Mit der Lebenserwartung steigt auch die Zeit in der Rente. Eine höhere Altersgrenze wäre daher nicht unfair, sagt ein deutscher Psychologe. Ein Gastbeitrag.

1970 betrug die Lebenserwartung eines neugeborenen Mädchens in Deutschland 73,4 Jahre, die eines neugeborenen Jungen 67,2 Jahre. Fast 50 Jahre später gehen die entsprechenden Prognosen bei Frauen von 84,1 Jahren und bei Männern von 79,1 Jahren aus. So sehr wir uns individuell über die zusätzliche Lebenszeit freuen können, für die gesellschaftlichen Sicherungssysteme stellt sie ein Problem dar. Bereits seit 2012 wurde daher das Renteneintrittsalter sukzessive erhöht, so dass ab 2030 dann die „Rente mit 67“ für alle gilt. Über die genauen Zahlen lässt sich streiten, aber eines ist jetzt schon klar: Trotz dieser Anhebung kommen nach 2030 finanzielle Probleme auf die gesetzliche Rentenversicherung zu.

Die Finanzierung der Renten wird schwieriger

Aufgrund des Geburtenrückgangs sinkt die Zahl der Erwerbstätigen und damit die Einnahmen der Rentenkasse, während Rentner aus den geburtenstarken Jahrgängen länger leben, ein Trend der wahrscheinlich anhalten wird. Die Finanzierung der Renten wird so zunehmend schwieriger. Mit Blick auf die Zeit nach 2030 wird deswegen auch über eine weitere Erhöhung der Altersgrenze auf über 67 Jahre diskutiert. Dagegen gibt es heftigen Widerstand.

Dass jeglicher Vorstoß in diese Richtung vehement abgelehnt wird, liegt meiner Überzeugung nach auch daran, wie das Thema „geframt“ wird. Framing bezeichnet in der Psychologie einen gewählten Deutungsrahmen, der unsere Assoziationen, Erinnerungen, unser Verständnis und schlussendlich unsere Entscheidungen beeinflussen kann. Ein und derselbe Inhalt kann auf ganz unterschiedliche Arten formuliert (geframt) werden und entsprechend sehr unterschiedliche Reaktionen hervorrufen.

Ein Arzt kann mit Blick auf die Risiken einer Operation von einer Sterberate von 5 % oder einer Überlebenswahrscheinlichkeit von 95 % sprechen. Der Sachverhalt bleibt der gleiche, aber die Worte „sterben“ und „überleben“ können unseren Blick auf die Fakten völlig verändern und damit die Entscheidung für oder gegen eine Operation erheblich beeinflussen.

Framing findet auch bei der Diskussion um die Rente statt. Wenn von der „Rente mit 67“ oder der Erhöhung des Renteneintrittsalters geredet wird, suggeriert dieser Frame, dass die Zeit der Rente kürzer wird, wir also einen Verlust erleiden. Tatsächlich ist aber die Anzahl der Jahre, in der wir unseren Ruhestand genießen können, kontinuierlich gestiegen und wird auch weiterhin steigen. Betrug die durchschnittliche Dauer des Rentenbezugs 1970 noch 11,1 Jahre, hat sie sich im Jahre 2017 fast verdoppelt auf 19,9 Jahre.

Der Psychologieprofessor Ralph Hertwig ist Direktor am Max Planck Institut für Bildungsforschung.
Der Psychologieprofessor Ralph Hertwig ist Direktor am Max Planck Institut für Bildungsforschung.
© Arne Sattler

„Rente mit 67“ entspricht also de facto nicht weniger Lebenszeit in der Rente als früher, sondern im Schnitt deutlich mehr. Ein Frame, der unseren Blick nicht auf einen scheinbaren Verlust lenkt und uns umfassender informiert, würde nicht nur die Regelaltersgrenze nennen, sondern ebenso die erwartete Dauer des Rentenbezugs. Damit würden, um noch einmal Konzepte aus der Psychologie zu bemühen, die Staatsbürger nicht gestupst (nudging) sondern informierter gemacht (boosting).

Die Lebenserwartung bei Rentenantritt in den Fokus stellen

Auch nach 2030 wird die Lebenserwartung in Deutschland voraussichtlich weiter steigen. Damit stellt sich die Frage, wie wir die gewonnenen Lebensjahre auf Erwerbstätigkeit und Ruhestand verteilen wollen. Bis 2012, als die sukzessive Erhörung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre begann, schlug man die steigende Lebenserwartung ausschließlich dem Ruhestand zu. Das war eine radikale Entscheidung. Genauso rigoros hätte man die höhere Lebenserwartung vollständig für ein längeres Erwerbsleben einsetzen können. Angesichts der zunehmenden Probleme bei der Rentenfinanzierung sollten wir den künftigen Umgang mit der steigenden Lebenserwartung vor dem Hintergrund dieser beiden Extreme neu diskutieren.

Stellt man nicht die Regelaltersgrenze in den Fokus, sondern die Lebenserwartung bei Rentenantritt, dann erscheint es naheliegend und vor allem fair gegenüber gegenwärtigen und zukünftigen Generationen, die gewonnene Lebenszeit weder vollständig in eine längere Erwerbstätigkeit noch komplett in eine längere Ruhestandsphase umzumünzen. Stattdessen bietet sich eine Aufteilung an, die die durchschnittlich in Rente verbrachte Lebenszeit mit der gleichen Rate ansteigen lässt wie die Lebensarbeitszeit. Diese einfache Regel führt dazu, dass eine steigende Lebenserwartung zu etwa zwei Dritteln einer längeren Erwerbsphase und zu einem Drittel einem längeren Ruhestand zugeschlagen wird. Eine solche Aufteilung ermöglicht es, bei einer zunehmenden Alterung der Gesamtbevölkerung die Renten mit tragbaren Beiträgen zu finanzieren.

Dass die Lebenserwartung steigt, bedeutet nicht, dass sich auch die Fähigkeit, bis ins hohe Alter zu arbeiten, verlängert. Das zeigt schon die rapide Zunahme von Pflegefällen und Demenzerkrankungen.

schreibt NutzerIn Pat7

Eines ist allerdings klar: Wenn die Altersgrenze ansteigt, werden mehr Versicherte als bisher dieses Alter nicht gesund erreichen. Damit sind mehr Menschen auf eine Erwerbsminderungs-Rente angewiesen. Deren Zugangshürden dürfen wiederum nicht zu hoch sein, wenn das neue System auf Akzeptanz stoßen soll. Auch bei einer gestiegenen Lebenserwartung muss mit Krankheit und Erwerbsminderung im mittleren Lebensalter umgegangen werden. Ohne an dieser Stelle auf Details einzugehen, sei ein Aspekt genannt: Besonders lang Beschäftigten könnte man nach französischem Vorbild grundsätzlich den Eintritt in die Altersrente nach 45 Beschäftigungsjahren ermöglichen. Mit einer solchen Regelung wären weniger Erwerbsminderungs-Prüfungen notwendig und sie würde dazu beitragen, die Folgen der nach Sozialstatus unterschiedlichen Lebenserwartung abzumildern.

Der Psychologe Ralph Hertwig ist Direktor am Max Planck Institut für Bildungsforschung.

Ralph Hertwig

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