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Prost Mahlzeit. In der Gastronomie gibt es viele Minijobber. Die Branche war von Corona am heftigsten betroffen, viele verloren ihren Job oder orientierten sich anders..
© imago/Seeliger

Billig und schnell gekündigt: Zukunft der Minijobs ist umstritten

In der Corona-Pandemie haben 2020 mehr als 800.000 Minijobber ihre Arbeit verloren. Nun werden Rufe nach einer Reform laut.

Auch auf dem Berliner Arbeitsmarkt hat die Coronakrise die Schwachen besonders getroffen. Ende vergangenen Jahres gab es noch 193.000 Minijobber in der Stadt, das waren 23.500 weniger als ein Jahr zuvor.

Im Vergleich zu anderen Bundesländern fällt der Rückgang stärker aus, weil es hier besonders viele geringfügig Beschäftigte gibt. Im Land Brandenburg sank die Zahl der Minijobber um 6600 auf 120.000. „Tausende Menschen in Berlin und Brandenburg haben in der Corona-Pandemie ihre Jobs verloren und landeten zum Teil in Hartz IV“, konstatiert der Bezirk Berlin des Deutschen Gewerkschaft-Bundes (DGB) und fordert eine Minijob-Reform.

Kein Kurzarbeitergeld

Corona liefert dazu die Vorlage, denn die arbeitslosen Minijobber fallen durch das soziale Netz. Weil für geringfügig Beschäftigte nicht in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt wird, bekommen diese auch kein Kurzarbeitergeld.

Im vergangenen März gab es 5,57 Millionen Minijobber im gewerblichen Bereich, das waren 811.000 weniger als vor einem Jahr. Die 450-Euro-Jobs sind in den Branchen verbreitet, die der Lockdown am heftigsten traf – Handel und Gastronomie. Der Rückgang der Jobber in der Wirtschaft um 12,7 Prozent liegt erheblich über den 3,8 Prozent, die in den privaten Haushalten ihre Stelle verloren; dort arbeiten 284.000 Minijobber.

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Viel mehr Minijobber im Westen

„Dass in der Pandemie vor allem geringfügig entlohnte Beschäftigung gestrichen wurde, ist nicht überraschend, sondern Teil des Konzepts Minijob: Stabilität und soziale Sicherheit sind darin nicht angelegt“, sagt Eric Seils vom wissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung des DGB. Von den ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten sind mehr als 60 Prozent Frauen. Und die meisten arbeiten im Westen. Eine 450-Euro- Stelle als Haupterwerbstätigkeit ist in Westdeutschland mit zwölf Prozent aller Erwerbstätigen (Stand Mitte 2020) viel verbreiteter als in Ostdeutschland mit acht Prozent. „Die Differenz hängt eng mit der deutlich höheren Vollzeit-Erwerbstätigkeit von Frauen im Osten zusammen“, erläutert die Hans-Böckler-Stiftung.

DGB will eine Reform

„Die aktuelle Krise ist ein Alarmsignal. Minijobberinnen und Minijobber wurden in der Pandemie als erste vor die Tür gesetzt, als Restaurants und Läden dicht machen mussten“, sagt Christian Hoßbach, Vorsitzender des DGB Berlin-Brandenburg. Vielen seien auf Grundsicherung angewiesen. „Gerade in Krisenzeiten müssen sich Beschäftigte aber auf ein soziales Sicherungsnetz verlassen können. Minijobs lösen dieses Versprechen nicht ein“, sagt der Gewerkschafter. Christian Hoßbach fordert eine Reform der Minijobs, die für ihn ein „Relikt anderer Zeiten“ sind.

Mit dieser Einschätzung steht Hoßbach nicht allein. Manche Parteien haben gravierende Veränderungsvorschläge in ihr Programm für die Bundestagswahl im September geschrieben. Und der Rat der Arbeitswelt, zusammengesetzt aus Wissenschaftlern sowie Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter, plädiert für sogar eine stufenweise Abschaffung.

Keine Brücke zum "normalen" Arbeitsmarkt

Die Minijobs waren im Rahmen der nach Peter Hartz benannten Arbeitsmarktreformen 2003 eingeführt worden. Ziel war es, nichterwerbstätigen beziehungsweise arbeitslosen Menschen „eine Brücke für den Einstieg in Arbeit zu bauen, die idealerweise am Ende auch in einen Wechsel in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis mündet“, wie es im kürzlich vorgelegten Bericht des Rats der Arbeitswelt heißt. Aber über diese Brücke geht kaum jemand. Viele wollen zwar länger arbeiten, scheuen aber die Sozialabgaben.

Nur noch für Schüler, Rentner und Studenten?

Denn die 450 Euro werden in der  Regel „brutto für netto“ gezahlt, wenn sich die Betroffenen von der Rentenversicherung befreien lassen. Diese Möglichkeit nutzen mehr als vier Fünftel der Minijobber. Eine weitere Besonderheit dieser Beschäftigungsverhältnisse: 45 Prozent üben Helfertätigkeiten aus, für die es keiner besonderen Qualifikation bedarf. „Die derzeitigen Regelungen zur geringfügigen Beschäftigung bergen angesichts des demografischen Wandels und drohender Fachkräfteengpässe das große Risiko, dass das Arbeitskräftepotenzial nicht adäquat ausgeschöpft wird“, schreibt der Rat der Arbeitswelt und plädiert für eine gravierende Einschränkung: Künftig sollten die abgabenfreien Arbeitsverhältnisse nur noch erlaubt sein für Schüler, Studenten, Rentner und Übungsleiter in Sportvereinen.

Grüne gegen Union

Das möchten auch die Grünen, die grundsätzlich „für guten Löhne sorgen“ und dazu den „Niedriglohnsektor mittelfristig austrocknen wollen“. Ein Ansatzpunkt sind die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse. „Minijobs, mit Ausnahmen für Studierende, Schüler*innen und Rentner*innen, wollen wir in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung überführen und Regelungen für haushaltsnahe Dienstleistungen schaffen“, haben sich die Grünen in ihr Wahlprogramm geschrieben.

Von 450 auf 550 Euro

Damit ist der Konflikt mit dem potenziellen Koalitionspartner buchstäblich programmiert, denn die Union möchte nur marginale Änderungen und verteidigt die von der rot-grünen Regierung vor fast 20 Jahren eingeführte Regelung. „Minijobs bedeuten Flexibilität für Arbeitgeber und Arbeitnehmer vieler mittelständischer Betriebe“, heißt es bei CDU/CSU. Man möchte jedoch die abgabenfreie Grenze von 450 auf 550 Euro erhöhen, um auf die Entwicklung des gesetzlichen Mindestlohns zu reagieren. Das deckt sich mit den Vorstellungen der FDP. „Wir Freie Demokraten wollen die Minijob- und Midijob-Grenze erhöhen und dynamisch an den gesetzlichen Mindestlohn koppeln.“

Mindestlohn könnte deutlich steigen

Der Mindestlohn steigt von derzeit 9,60 Euro auf 10,45 Euro im Juli nächsten Jahres. SPD und Grüne möchten so bald als möglich auf zwölf Euro erhöhen, die Linke hat sogar 13 Euro in ihr Programm geschrieben. „Mini- und Midijobs wollen wir in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse überführen. Ab dem ersten Euro muss für Unternehmen eine volle Pflicht zur Sozialversicherung gelten“, heißt es bei der Linken, während die Formulierung bei der SPD vorsichtiger ausfällt. „Unser Ziel ist, alle Beschäftigungsverhältnisse in die soziale Sicherung einzubeziehen.“

AfD hält sich raus

Ähnlich wie der Rat der Arbeitswelt schweben den Sozialdemokraten „Übergänge für bestehende Arbeitsverhältnisse und Ausnahmen für bestimmte Gruppen wie zum Beispiel Rentner*innen“ vor. Die AfD hält sich aus dem Thema raus. Über die Zukunft der Minijobs steht nichts im Wahlprogramm der Partei.

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