Zoff im Rat der Arbeitwelt: Zu viel Arbeit
Zwei Ex-Managerinnen rechnen ab mit dem neuen Beratungsgremium zur Zukunft der Arbeit. Ein reines Ablenkungsmanöver, meinen die übrigen Ratsmitglieder.
anina Kugel und Bettina Volkens haben keine Lust mehr auf ehrenamtliche Arbeit. Die ehemaligen Personalchefinnen von Siemens (Kugel) und Lufthansa (Volkens) beklagen sich bei Bundesarbeitsminister Hubertus Heil über den Rat der Arbeitswelt, dem sie selbst angehören. Das Gremium habe sich in eine „falsche Richtung entwickelt“, schreiben die Ex-Managerinnen an den SPD-Minister. Anstatt sich um Antworten auf „die großen und langfristigen Fragen“ zu bemühen, um „Ideen und Handlungsempfehlungen zur Stärkung von Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung in Deutschland“, befasse man sich mit „kurzfristigen politische Forderungen und sehr konkreten Vorschlägen für gesetzliche Regelungen“. Das führe zur Polarisierung und vermutlich zum Scheitern der ganzen Veranstaltung.
"Wir bitten Sie um einen Neustart"
„Wir bitten Sie, einen Neustart des Rates zu ermöglichen", schreiben Kugel und Volkens in dem Brief an Heil, der auch von der Züricher Betriebswirtschaftsprofessorin Uschi Backes-Gellner unterschrieben ist. Die übrigen Ratsmitglieder bewerten das Schreiben als „offenen Affront“ und erzählen eine andere Geschichte: Den Rätinnen sei die Arbeit zu viel geworden.
Neben Kugel und Volkens berief Heil vor gut einem Jahr neun weitere Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Wissenschaft. Hauptauftrag des ehrenamtlichen Sachverständigenrates zur Zukunft der Arbeit: Einmal im Jahr einen „Handlungsempfehlungsbericht" geben - für die Politik, aber auch für Unternehmen, Beschäftigte und Sozialpartner. Heil betont den Unterschied zum klassischen Sachverständigenrat („Fünf Weise“) mit dessen rein ökonomischem Fokus. Der Rat der Arbeit solle „interdisziplinär und praxisbezogen arbeiten“. Und völlig unabhängig vom Bundesarbeitsministerium (BMAS), das nur als Auftrag- und Geldgeber (1,5 Millionen Euro pro Jahr) agiere.
Hubertus Heil hat elf Räte berufen
Die Mittel werden vor allem gebraucht zur Finanzierung einer Geschäftsstelle, die von drei Forschungsinstituten organisiert wird: das Beratungsunternehmen Prognos, das Institut für Arbeit und Qualifikation an der Uni Duisburg-Essen sowie das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW). Wie der Rat arbeitet und wie oft sich die elf Mitglieder treffen, entscheiden die selbst. Das habe nicht funktioniert, schreiben die Kritikerinnen und bitten nun den Minister um Hilfe. „Ein reines Ablenkungsmanöver“, kommentiert ein Ratsmitglied die Aktion. „Kugel sucht ein Ausstiegsszenario, und Volkens macht mit.“ Vor zwei Wochen habe Kugel ein erstes Schreiben an die Mitglieder gesendet und um Unterstützung gebeten: Das Gremium arbeite in vier Arbeitsgruppen zu kleinteilig, werde den „global challenges“ nicht gerecht und überhaupt vermisse sie den Lohn für die viele Arbeit. Die ehemaligen Spitzenmanagerinnen haben die Arbeitsbelastung unterschätzt.
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Ausstieg geplant
Zwar setzte sich Kugel erfolgreich für eine Honorierung bei Heils Staatssekretär Björn Böhning ein - nun gibt es 10 000 Euro im Jahr als Aufwandsentschädigung. Doch Kugel, die vor gut einem Jahr bei Siemens ausgeschieden war, habe schon vor Monaten gemurrt über den Aufwand und angemerkt, sie sei als Beraterin (Kugel & Associates) hohe Honorare gewohnt. „Kugel sucht einen Weg, um aus dem Gremium auszusteigen“, heißt es im Rat. Und weiter: „Die versuchen, das jetzt bei Heil abzuladen.“
Frank Bsirske zufolge schreiben die Kritikerinnen dem Minister eine Rolle zu, die er nie hatte und auch nicht beanspruchte. „Handelt es sich hier um ein bloßes Missverständnis, waren die Unterzeichnerinnen in den letzten zwölf Monaten Mitglieder in einem anderen Rat?“, fragt der ehemalige Verdi-Vorsitzende.
"Bitte lasst uns den Bericht fertigstellen"
In diversen internen Mails, die dem Tagesspiegel vorliegen, nehmen Ratsmitglieder Stellung zu dem Vorgehen von Kugel, Volkens und Backes-Gellner. Sie sei „verwundert“, schreibt Sabine Pfeiffer. Auch weil es nach einem ersten Briefentwurf, „ein breites Votum aus dem Rat“ gegeben habe, „diesen Brief nicht zu schreiben“, ärgert sich die Arbeitssoziologin. Seine „Verwunderung“ äußert Iwer Jensen, ehemals Vorstandsvorsitzender eines Bauunternehmens. „Bitte lassen Sie uns den Bericht fertigstellen. Wir sind auf der Zielgeraden!“, appelliert Jensen an die Ratskollegen.
Und Stephan Schwarz, von 2003 bis 2019 Präsident der Berliner Handwerkskammer und Chef des Gebäudedienstleisters GRG, schreibt über das Manöver der Rätinnen: „Besonders bedauerlich finde ich, dass in dem Schreiben ein Scheitern des Rates heraufbeschworen wird.“ Angesichts des bisher geleisteten Arbeitsaufwandes, den auch die Geschäftsstelle geleistet habe, „kann man das zumindest als respektlos verstehen“. Der ganz überwiegende Teil der Mitglieder, schreibt Schwarz weiter, und hat dabei nicht Kugel und Volkens im Blick, „hat sich engagiert, konstruktiv und inhaltlich stark eingebracht“. Er sei sich sicher, so der Berliner Unternehmer, „dass bei gutem Willen der Bericht wie geplant fertiggestellt werden kann“.
Mitte Mai kommt der Bericht
Am 18. Mai wollen die Räte gemeinsam mit Arbeitsminister Heil den Bericht vorstellen, der die Ergebnisse von vier Arbeitsgruppen beinhaltet. 1. Welche Kompetenzen/Qualifikationen braucht die Arbeitswelt von morgen, welche Auswirkungen hat das auf das Bildungssystem, speziell auch die berufliche Weiterbildung. 2. Welche neue Arbeitsformen (Homeoffice, Cloudworking) bedürfen welcher Rahmenbedingungen, etwa des Arbeitsschutzes. 3. Wegen der Erfahrungen in der Pandemie ist Pflege ein Schwerpunktthema des ersten Berichts ; welche Folgen hat die Ökonomisierung des Gesundheitssystems. 4. Wie lassen sich prekäre Arbeitsverhältnisse (Minijobs, Soloselbstständige) zukunftsfest machen. Die Arbeitsgruppe 4 tagt kommenden Dienstag. Eigentlich mit Kugel und Volkens.
"Überbordende Arbeitsgruppenarbeit"
Die beklagen indes die „komplexe und überbordende Arbeitsgruppenarbeit“ und werden grundsätzlich. Die Besetzung des Rates sei „nicht ausreichend ausgewogen erfolgt“. Das werde spürbar „in Diskussionen und am Ende in Handlungsempfehlungen“ und führe eher zu „Abwehr als zum konstruktiven Miteinander“. Zum Thema Ausgewogenheit merkt Bsirske an, dass die frühere Lufthansa-Managerin Volkens sich nach eigener Aussage als Vertreterin der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände verstehe. „Da muss ich (die BDA) nochmal fragen, ob ich da zustimmen kann“, zitiert Bsirske Volkens. Die wiederum kritisiert schließlich im Brief an Heil die vermeintlich altbackenen Arbeitsmethoden. „Wir benötigen dringend Expert*innen, die sich wirklich mit Design Thinking/Scrum etc auskennen.“
Mathias Möreke, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender des VW-Werks in Braunschweig, versteht das alles nicht. „Ein Scheitern des Rates konnte ich in den Arbeitsforen in denen ich aktiv bin, nicht erkennen. Im Gegenteil, wir kommen doch gerade erst auf Betriebstemperatur“, schreibt Möreke. „Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit.“ Vermutlich ohne Kugel, Volkens und Backes-Gellner.