Niedrigzinspolitik: Zeit des kostenlosen Girokonten könnte bald vorbei sein
Die Postbank nimmt das kostenlose Girokonto unter die Lupe und denkt über dessen Ende nach - die niedrigen Zinsen haben zunehmend Folgen für Verbraucher.
Die niedrigen Zinsen machen Sparern, Banken und Versicherungen zunehmend zu schaffen. Nun stellte auch die Postbank mit Millionen von Kunden angesichts der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) das kostenlose Girokonto für Privatkunden in Frage. Die Kritik am Kurs von EZB-Präsident Mario Draghi reißt nicht ab.
Postbank-Chef Frank Strauß sagte der „Welt am Sonntag“, die Bank arbeite derzeit intensiv an einem neuen Preismodell, das noch dieses oder spätestens nächstes Jahr starten solle. Ob dabei das Girokonto kostenlos bleibe, könne er noch nicht abschließend sagen. Möglicherweise werde es nur noch bestimmte Konto-Dienstleistungen kostenlos geben. „Es gibt keinen Anspruch auf ein kostenloses Girokonto. Sie zahlen auch für Strom, ein Teil der Bankdienstleistung ist wie Strom eine Versorgung“, sagte Strauß.
Gebühren für Geldabhebung bleiben vorerst tabu
„Die Veränderungen im Umfeld drängen zu raschem Handeln.“ Die gesamte Branche werde andere Kontomodelle anbieten. „Das ist logische Folge des Niedrigzinsniveaus.“ Gebühren für Bargeldabhebungen von Postbank-Kunden an den eigenen Automaten könne er sich allerdings nicht vorstellen, sagte Strauß. Die Postbank mit 14,3 Millionen Kunden kassiert bereits seit einem Jahr 99 Cent für Überweisungen, die nicht online ausgeführt werden.
Wegen der niedrigen Zinsen steht die gesamte Branche unter Druck. Ein Sprecher des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV) sagte am Wochenende, Sparkassen hätten schon bisher in aller Regel keine kostenlosen Girokonten angeboten. Die Zeiten hätten sich geändert.
Harsche Kritik an der EZB
DSGV-Präsident Georg Fahrenschon hatte erst Mitte März gesagt: „Die Zeit von weiten Angeboten kostenloser Kontoführung ist aus meiner Sicht vorbei.“ Alle Marktteilnehmer müssten angesichts der „falschen Zinspolitik“ der Europäischen Zentralbank (EZB) neue Ertragsquellen erschließen.
Die EZB hatte den Leitzins im Euroraum im Kampf gegen Mini-Inflation und Konjunkturschwäche auf Null gesenkt. Die Zentralbank und ihr Präsident Draghi stehen deswegen seit Wochen vor allem in Deutschland massiv in der Kritik. Geschäftsbanken müssen Gebühren zahlen, wenn sie ihr Geld auf Konten der EZB parken. Sparer gehen leer aus. Andererseits profitieren unter anderem Hausbauer sowie die öffentlichen Haushalte von der EZB-Politik.
Den Sparer sind Zinseinnahmen in Milliardenhöhe entgangen
Die „Bild“-Zeitung (Samstag) berichtete unter Berufung auf Berechnungen der Postbank, die deutschen Sparer hätten wegen des Zinstiefs in den vergangenen fünf Jahren mehr als 100 Milliarden Euro an Zinseinnahmen verloren. Im Gegenzug sparten Immobilienbesitzer, die einen Kredit aufnahmen, seit 2011 rund 85 Milliarden Euro Zinskosten ein.
Der Präsident des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Alexander Erdland, warnte angesichts der niedrigen Zinsen in der „Bild“-Zeitung vor massiven Folgen für die Altersvorsorge und forderte die EZB zu einer Umkehr in der Zinspolitik auf.
Politik fordert Entlastung der Sparer
Aus der Politik kamen Forderungen nach einer Entlastung der Sparer. Der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) forderte in der „Bild am Sonntag“ eine Verdopplung des Sparerfreibetrags auf Zinsen aus Sparguthaben. Der Freibetrag müsse für Zinsen aus Sparguthaben von 801 Euro beziehungsweise 1602 Euro für Verheiratete verdoppelt werden. „Das wäre ein deutliches Signal, dass sich Sparen in Deutschland noch lohnt.“
Die umstrittene Niedrigzinspolitik der EZB war am Wochenende auch Thema am Rande der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington. Dabei sagten Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, sie hielten die öffentliche Debatte über die Nullzinspolitik für gerechtfertigt. Man sollte schon noch auf die schwierigen Auswirkungen für Deutschland hinweisen, die ja unbestreitbar seien, sagte Schäuble. Dies dürfe aber nicht verwechselt werden mit einer Kritik an der EZB oder gar mit Angriffen auf ihre Unabhängigkeit. (dpa)