zum Hauptinhalt
Wie schädlich ist der Diesel? Angeblich sterben jedes Jahr mehr als 10 000 Menschen hierzulande vorzeitig wegen der Stickoxide.
© imago/Christian Ohde

Abgas-Skandal: Zehn Fakten zum Diesel-Gipfel

Deutsche Autos sind Weltklasse – aber nicht zuletzt wegen ihrer Größe auch schmutzig. Dabei sind relativ saubere Dieselmotoren möglich.

1. Der Gipfel bringt wenig

Software-Updates für Millionen Dieselfahrzeuge, ein von Bund und Industrie finanzierter Fonds für sauberen Stadtverkehr, Anreize der Hersteller zum Kauf von Euro-6-Dieseln – das sind die Bestandteile der Gipfel-Erklärung, die am Mittwoch verabschiedet werden soll. Die Industrie sagt „eine Verringerung der realen Stickoxid-Emissionen von durchschnittlich mindestens 25 Prozent“ zu.

2. Die Kunden schonen

Die Autobauer werden in den nächsten Monaten bei Euro-5-Dieseln kostenlos eine neue Motorsteuerungssoftware aufspielen. Ob auch Euro-6- Diesel einbezogen werden, ist offen. Die Prozedur in der Werkstatt dauert etwa eine halbe Stunde. Rund sieben von insgesamt 15 Millionen Diesel–Pkw könnten so nachgerüstet und Fahrverbote vermieden werden.

3. CO2 oder NOx

Dieselmotoren verbrauchen im Schnitt 15 Prozent weniger Sprit als Benziner und stoßen so weniger Kohlendioxid (CO2) aus. Gleichzeitig sind die Emissionen der gesundheitsschädlichen Stickoxide (NOx) höher. Seit dem VW-Dieselbetrug konzentriert sich alles auf die NOx-Emissionen. In Kürze dürfte die Debatte wieder drehen: Die EU will im Herbst neue CO2-Grenzen für den Zeitraum 2021 bis 2025 festlegen. Die Grenzwerte gelten für Auto-Flotten: Je weniger Diesel fahren, desto sauberer müssen die Benziner sein – oder der Anteil der CO2-neutralen Elektroautos steigt.

4. Geländewagen gefragt

Jeder achte in Deutschland zugelassene Neuwagen ist ein SUV (Sport Utility Vehicle), Tendenz steigend. Im vergangenen Jahr wurden 426.000 SUV neu zugelassen - 73 Prozent mehr als 2013. Die Geländewagen sind in der Regel mit reichlich PS ausgerüstete Diesel-Fahrzeuge, sie stoßen mehr Abgase aus als Kompakt- oder Mittelklassewagen. Wegen der großen SUV-Nachfrage hat sich der Kraftstoffverbrauch bei Diesel-Pkw mit mehr als 135 PS zwischen 2008 und 2015 fast verdoppelt. Obwohl die Motoren immer effizienter wurden, verhinderte die steigende Motorleistung eine Reduzierung von CO2 und Stickoxiden.

5. E-Autos tanken schmutzig

In Deutschland werden noch immer knapp 40 Prozent des Stroms aus der Verbrennung von Braun- und Steinkohle gewonnen, dazu kommt Gas mit einem Anteil von rund zehn Prozent. Der Strom der Elektroautos wird also zu großen Teilen „schmutzig“ gewonnen. Im ersten Halbjahr 2017 deckten die Erneuerbaren hierzulande 35 Prozent des Strombedarfs, der Anteil steigt kontinuierlich. Doch der Netzausbau hält nicht annähernd Schritt mit dem Zuwachs an Windrädern und Solaranlagen. Eine oder gar mehrere Millionen Elektroautos kann das deutsche Energiesystem in den nächsten Jahren kaum verkraften.

6. Diesel geht auch sauber

Dieselmotoren sind nicht per se schmutzig. Daimler beweist, dass Selbstzünder sogar deutlich sauberer sein können als die gesetzlichen Grenzwerte vorschreiben. Die jüngste Dieselmotoren-Generation mit der Seriennummer OM 654 hat selbst die Deutsche Umwelthilfe beeindruckt. Drei Milliarden Euro hat Daimler nach eigenen Angaben in die Entwicklung des OM654 investiert, der in der neuen E-Klasse eingesetzt wird. Der Motor stößt nicht nur deutlich weniger NOx aus, er verbraucht auch 13 Prozent weniger Sprit und ist bis zu 40 Kilogramm leichter als der Vorgänger. Gelungen ist dies unter anderem durch eine besondere Konstruktion, bei der der SCR-Katalysator mit AdBlue-Einspritzung gleich hinter dem Brennraum sitzt.

Dass sich auch ältere Dieselmotoren nachrüsten lassen, zeigt der Zulieferer Baumot/Twintec. Mit dem „BNOx-Katalysator“ empfiehlt sich Twintec für eine Hardware-Nachrüstung von Euro-5-Diesel. Der Bausatz soll nicht mehr als 1500 Euro plus Einbau kosten. Ende Juni bekam Baumot einen Großauftrag zur Nachrüstung von 5600 Diesel-Bussen in London.

7. Krise auch anderswo

Auch Frankreich und Italien haben Diesel-Affären. Paris ermittelt gegen Renault und PSA Peugeot Citroën wegen des Verdachts auf unkorrekte Abgaswerte und mutmaßliche Manipulation. Und das US-Justizministerium hat im Mai Fiat Chrysler verklagt. Den Ermittlungen zufolge setzte der italienisch-amerikanische Autobauer seit 2014 in mehr als 100.000 Geländewagen illegale Programme ein, um Schadstofftests zu umgehen beziehungsweise die Ergebnisse zu schönen.

8. Großer Weltmarkt

Die deutsche Automobilindustrie ist nicht nur für die hiesige Volkswirtschaft systemrelevant, sondern auch auf dem Weltmarkt dominierend - zumindest im „Premiumsegment“. In der Ober- und Luxusklasse kommen Mercedes und Audi, Porsche und BMW auf einen Marktanteil von 80 Prozent. Würde zum Beispiel die Neuzulassung von Verbrennungsmotoren 2030 hierzulande verboten, hätte dies auf die globalen Absatzzahlen der deutschen Spitzenmarken begrenzte Wirkung: 2016 lag die Exportquote bei mehr als 77 Prozent. Der VW- Konzern mit seinen zwölf Marken setzte zum Beispiel 8,7 Millionen seiner gut zehn Millionen verkauften Fahrzeuge im Ausland ab, knapp drei Millionen in China.

9. Die Schlüsselindustrie

Im Vergleich der Industrienationen geben Schätzungen zufolge nur die US-amerikanische Pharma- und IT-Industrie mehr Geld für Forschung und Entwicklung aus, als die europäische Autoindustrie mit den deutschen Unternehmen an der Spitze. Die meisten Innovationen und elektronischen Assistenzsysteme, die häufig zu mehr Sicherheit und Komfort führen, werden zuerst in deutschen Premiumautos eingesetzt. Die Verknüpfung von Zulieferern und Herstellern mit Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen, Ingenieurskunst und qualifizierter Facharbeiterschaft haben der deutschen Autoindustrie eine einzigartige Stellung verschafft. Übrigens auch mit hohen Löhnen und Steuereinnahmen.

10. Vor Gericht

Die Ermittlungen sind komplex, weil es zum Beispiel im Fall VW um einen Konzern mit 600.000 Mitarbeitern und weltweit mehr als 120 Werken geht. Anwälte schätzen, dass es allein im VW-Dieselbetrug rund 1000 Mitwisser gibt. Hunderte Klagen sind anhängig – von VW-Aktienbesitzern und VW- Fahrern. Auch das EU-Amt für Betrugsbekämpfung hat offensichtlich Hinweise auf Fehlverhalten und jetzt die deutschen Strafverfolgungsbehörden ersucht, Schritte gegen VW zu prüfen.

Derweil klagt die Deutsche Umwelthilfe in vielen Städten gegen die Überschreitung der von der EU vorgeschriebenen Luftqualitätsgrenzwerte. Nach dem jüngsten Urteil in Stuttgart sind Fahrverbote für Diesel bereits ab kommenden Jahr möglich. Der größte Druck auf Industrie und Politik kommt von der Justiz.

Der Tagesspiegel kooperiert mit dem Umfrageinstitut Civey. Wenn Sie sich registrieren, tragen Sie zu besseren Ergebnissen bei. Mehr Informationen hier.

Zur Startseite