zum Hauptinhalt

Analyse zum Abkommen: Worum es in den Verhandlungen zum Freihandel genau geht

Das geplante Freihandelsabkommen mit den USA ist in Europa längst zum kontroversen Thema geworden. Bislang gingen die Gespräche in der Öffentlichkeit weitgehend unter - doch nun schalten sich die Chefs ein. Um welche Themen geht es?

Die Bürokraten in Washington und Brüssel haben ein putzig und leicht klingendes Kürzel für ihr Projekt gefunden, das den Handel erleichtern soll: TTIP, gesprochen „Tietip“, steht für Transatlantic Trade and Investment Partnership, also transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft. Seit Beginn der Gespräche mutierte das Kürzel allerdings zum politischen Kampfbegriff. Und leicht sind die Verhandlungen schon gar nicht: Am heutigen Mittwoch schalten sich US-Präsident Brack Obama, EU-Kommissionschef José Manuel Barroso und EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy persönlich ein. Es geht um die größte Freihandelszone der Welt.

Der Beginn der Verhandlungen ging in der Öffentlichkeit weitgehend unter. Nachdem die EU-Staaten im vergangenen Sommer aber die Brüsseler Kommission offiziell beauftragten, mit der US-Regierung über eine Freihandelszone zu verhandeln, hat sich das geändert. Allein bei Google Deutschland gibt es fast eine Million Treffer dazu, etwa 442 000 Menschen haben auch den Aufruf „Stopp TTIP“ online unterzeichnet. Hier die wichtigsten Verhandlungspunkte.

TRANSPARENZ

Von Anfang an stand die Kritik an der mangelnden Transparenz der Gespräche im Mittelpunkt. Zwar veröffentlicht das Team um Handelskommissar Karel De Gucht mehr Positionspapiere als je zuvor bei Freihandelsgesprächen der EU, aber es ging auch noch nie um die größte Freihandelszone der Welt, in der auch dieselben Industrie- und Produktstandards gelten sollen. Deshalb wollen alle wissen, was wirklich besprochen und verhandelt wird. Doch die US-Seite will nicht, dass ihre Angebote und Forderungen öffentlich werden – selbst die europäischen Regierungen, die am Ende zusammen mit dem Europaparlament dem Abkommen zustimmen müssen, blieben bisher außen vor und sollen nun erst in einem geschützten „Leseraum“ Zugang zu den Verhandlungsdokumenten erhalten.

In der Öffentlichkeit stehen nur Karel de Gucht und sein Mantra: „Kein Standard in Europa wird wegen dieses Abkommens gesenkt, nicht bei Nahrungsmitteln, nicht beim Umweltschutz, nicht bei der sozialen Sicherheit und nicht beim Datenschutz.“

WACHSTUM

Die EU-Kommission rührt seit Beginn der Gespräche mit einigen Zahlen die Werbetrommel für das Abkommen. So hat das Centre for Economic Policy Research in London in ihrem Auftrag errechnet, dass dadurch „die EU-Wirtschaft um 119 Milliarden Euro wachsen könnte – was zusätzlichen 545 Euro im Jahr für eine vierköpfige Familie entspricht“. Wer etwas genauer hinschaut, stellt fest: Diese Zahlen basierten auf einer Hochrechnung für das ferne Jahr 2027. Und die Vorteile sind auch nur zu bekommen, wenn alle Zölle abgeschafft und alle Standards angeglichen werden – abgesehen davon, dass volkswirtschaftliche Gewinne selten gleichmäßig verteilt werden. Aus dem knappen Prozentpunkt an zusätzlichem Wachstum könnte also schnell weniger werden.

GUTE LEBENSMITTEL

Wer mit der Kommission redet, hört von den Chancen eines Deals zum Beispiel für die französische Agrarindustrie: Brie, Camembert und Roquefort, die auf dem US-Markt noch selten zu finden sind, könnten auch dort zum Exportschlager werden. Doch die Sorgen im Lebensmittelbereich überwiegen. Denn es geht nicht wie sonst vor allem um die Höhe der Zölle, sondern vorrangig um die sogenannten „nicht-tarifären Handelshemmnisse“. Dahinter verbirgt sich etwa das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von Produkten ohne weitere Prüfung oder Zulassung. Motto: Was für den einen gut genug ist, kann für den anderen nicht schlecht sein. Der Verbraucherschutz-Dachverband TACD, dem auch die Verbraucherzentrale Bundesverband angehört, hält eine Harmonisierung nicht für akzeptabel, „da mindestens eine Seite dann Lebensmittel akzeptieren muss, das die Anforderungen an heimische Produkte nicht erfüllt“.

Zwei Anliegen verfolgen die Europäer besonders intensiv

NACHWEISPFLICHT

Die vorsichtigere Herangehensweise der Europäer, was neue Substanzen oder Gesundheitsrisiken neuer Produkte oder Produktionsverfahren angeht, ist in den EU-Verträgen festgeschrieben und nennt sich Vorsorgeprinzip. Es sind also die Unternehmen, die nachweisen müssen, dass ihre Produkte unschädlich sind. In den USA ist das umgekehrt, müssen Behörden also belegen, dass ein Produkt schädlich ist. Könnte das Freihandelsabkommen auch daran etwas ändern oder Ausnahmen gestatten? Ohne Änderung der EU-Verträge, der alle Mitgliedstaaten zustimmen, geht das nicht.

ARBEITS- UND SOZIALSTANDARDS

„Das Abkommen sollte anerkennen, dass die Vertragsparteien Handel und Investitionen nicht dadurch erleichtern wollen, dass grundsätzliche Arbeits- und Sozialstandards aufgeweicht werden“, heißt es im durchgesickerten Verhandlungsmandat, das die EU-Staaten dem Kommissar De Gucht mit auf den Weg gegeben haben. Das sollte die Betroffenen beruhigen, tut es aber nicht: „Nichtsdestotrotz besteht die Gefahr, dass es im Rahmen einer transatlantischen Freihandelszone zu einer Abwärtsspirale bei den Standards kommt, und Konzerne die unterschiedlich hohen Standards so ausnutzen, dass für sie nur die niedrigsten angewandt werden“, heißt es etwa bei Verdi.

ÖFFENTLICH ODER PRIVAT

Zwei Anliegen verfolgen die Europäer in den Gesprächen mit den USA besonders intensiv. Da sind einerseits die Interessen der Autoindustrie, die künftig ihre Wagen jenseits des Atlantiks verkaufen könnte, ohne vorher die erneute Zulassung zu beantragen oder nur in den USA vorgeschriebene Fahrzeugteile verwenden zu müssen. Andererseits wollen europäische Firmen auch mitbieten dürfen, wenn US-Behörden, vor allem auch jene der Bundesstaaten, öffentliche Aufträge ausschreiben. Diese Möglichkeit gibt es bisher kaum. Doch dafür könnte die EU auch ihren Markt für öffentliche Ausschreibungen öffnen müssen.

RECHTSSCHUTZ

Auf den massivsten Kritikpunkt hat die Kommission bereits reagieren müssen. Erst Anfang Februar teilte De Gucht auf großen Druck von den verschiedensten Seiten hin mit, dass über das sogenannte Investor-Staat-Schiedsverfahren vorerst nicht weiter verhandelt wird. Stattdessen findet nun eine Anhörung darüber statt, wie amerikanische Investitionen in der EU oder europäische in den USA geschützt werden sollen. Bei Schiedsgerichten können Unternehmen ihr jeweiliges Gastland verklagen, wenn sich die Investitionsbedingungen ändern. Ein Konzern kann dann Schadenersatz verlangen – wie es etwa Vattenfall derzeit in Washington tut, weil Deutschland den Atomausstieg beschlossen hat.

Solche Schiedsgerichte gibt es schon in vielen internationalen Abkommen. Während die alte Bundesregierung auch nichts gegen ein transatlantisches Gericht hatte, tut sich die neue mit SPD-Beteiligung damit schwer. Ein Argument: Wegen zahlreicher US-Beteiligungen an deutschen Unternehmen müsste man mit mehr Schiedsverfahren rechnen – etwa Klagen gegen die Nichtanwendung der Fracking-Technologie oder die Anwendung der Mietpreisbremse.

Christopher Ziedler

Zur Startseite