Verteidigungsbranche im Umbruch: Wohin die Rüstungsindustrie steuert
Die deutsche Rüstungsindustrie ist stark fragmentiert. Die Unternehmen der Branche sind durch Beteiligungen nicht nur miteinander verflochten, sondern auch in mancherlei Hinsicht voneinander abhängig. Doch das scheint sich nun zu ändern.
Ihre Produkte können Menschen töten und bringen den Herstellern Millionen: Deutschlands Rüstungsunternehmen stehen derzeit angesichts von Ausrüstungs- und Beschaffungsmängeln bei der Bundeswehr wieder besonders unter öffentlicher Beobachtung. Während Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) noch uneins sind, welche „Schlüsseltechnologien“ die Industrie künftig an Heer, Luftwaffe, Marine sowie die anderen Teilstreitkräfte liefern soll, befindet sich die Rüstungsbranche längst im Umbruch. Nur wenn sie als Schlüsselbranche und Wirtschaftskern eingestuft wird, kann sie mit staatlicher Hilfe rechnen.
Von der Leyen hatte deutlich gemacht, dass sie lediglich die Verschlüsselungs- und Sensortechnik in Deutschland aus Sicherheitsgründen für unverzichtbar hält. Dies stieß in der Rüstungsindustrie auf Kritik, die traditionell auch den U-Boot-Bau und die Produktion gepanzerter Fahrzeuge und Handfeuerwaffen als Schlüsseltechnologien betrachtet. Wirtschaftsminister Gabriel hatte dagegen in einer Grundsatzrede am Mittwoch klargestellt, dass die deutsche Rüstungsexportpolitik außen- und sicherheitspolitischen Interessen folge und nicht der Industrie verpflichtet sei.
Rund 100.000 bis 200.000 Beschäftigte arbeiten laut einer Studie des Berliner Wirtschaftsforschungsinstituts Wifor in der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsbranche. Wie viele Unternehmen hierzulande Geschäfte mit Wehrgütern machen, lässt sich dagegen offenbar schwer beziffern. Nicht einmal der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) verfügt diesbezüglich über Zahlen. Die maue Datenlage gründet sich darauf, dass die Branche stark fragmentiert ist und viele Unternehmen sowohl militärisch als auch zivil nutzbare Güter produzieren. Man kann aber davon ausgehen, dass weit mehr als die im BDSV vertretenen 43 Firmen in dem Bereich unterwegs sind. Wie Deutschlands große Rüstungskonzerne, aber auch kleine und mittelständische Unternehmen des Wirtschaftszweiges auf veränderte Rahmenbedingungen wie sinkende Verteidigungsetats, schwindende Absatzmärkte und neue Anforderungen der Politik reagieren – ein Überblick.
Rüstung für das Heer
Es sind vor allem zwei deutsche Großkonzerne, die das hiesige Heer mit Großgerät wie Schützenpanzern, Luftabwehrsystemen, Haubitzen und anderer Ausrüstung versorgen. Sowohl der Düsseldorfer Mischkonzern Rheinmetall als auch die in Süddeutschland ansässige Rüstungsschmiede Kraus-Maffei Wegmann (KMW) haben in den vergangenen Jahren mit dem Großkunden Bundeswehr Milliarden verdient. Ihr Aushängeschild, den Kampfpanzer "Leopard", produzieren Rheinmetall und KMW ebenso wie den Schützenpanzer „Puma“ gemeinsam und liefern diese auch ins zahlungskräftige Ausland.
Das börsennotierte Unternehmen Rheinmetall verdient dabei rund die Hälfte seines Gesamtumsatzes von rund 4,6 Milliarden Euro (2013) mit Rüstungsgütern. Die andere Hälfte stammt aus dem Geschäftsbereich Automotive, der die Automobilbranche mit Fahrzeugkomponenten wie Motoren und dergleichen versorgt. Rheinmetall-Vorstand Armin Papperger, der zugleich Chef der Rüstungssparte ist, hat angesichts aktueller Debatten bereits damit gedroht, seinen Bereich künftig ins Ausland abzuziehen, sollte der Staat als Großabnehmer ausfallen.
Ansonsten hält man sich in Düsseldorf mit Blick auf die Zukunft äußerst bedeckt. Kenner der Szene vermuten allerdings, dass dem Konzern schon in naher Zukunft eine grundlegende Umstrukturierung ins Haus steht – und sich das Unternehmen womöglich vom Stammgeschäft Panzerbau und Teilen des Autozuliefergeschäfts verabschieden könnte. Dafür könnte Rheinmetall milliardenschwere Zukäufe tätigen und auf bisher unbekanntes Terrain vorstoßen. Dem Vernehmen nach soll der Konzern an der U-Boot-Tochter des Essener Stahlbauers ThyssenKrupp und der Elektronik- und Drohnensparte interessiert sein.
Eine Fusion mit Krauss-Maffei Wegmann, über die seit Jahren immer wieder spekuliert wurde, ist dagegen vom Tisch. Das Münchner Unternehmen will sich in Zukunft mit dem französischen Rüstungskonzern Nexter zusammenschließen, um die Herstellung und Vermarktung von Panzern und Kanonen zu bündeln. Eine entsprechende Absichtserklärung haben beide Unternehmen bereits im Sommer unterzeichnet, ein verbindlicher Vertrag soll bis Jahresende zustande kommen. Es wäre der Zusammenschluss der letzten beiden Unternehmen in Europa, die allein vom Rüstungsgeschäft leben. KMW kämpft seit geraumer Zeit mit rückläufigen Bestellungen und verliert einen Großkunden nach dem anderen, darunter die EU-Mitglieder Spanien und Griechenland. Nexter hat neben dem Kampfpanzer Leclerc diverse Waffensysteme im Programm, die die Produktpalette von Krauss-Maffei Wegmann ergänzen.
Rüstung für die Luftwaffe
Auch bei den Unternehmen, die in Deutschland Großgerät für die fliegenden Streitkräfte produzieren, wird seit geraumer Zeit umstrukturiert. Im Fokus steht dabei die Rüstungssparte des Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus. Die Ingenieure des Geschäftsbereichs Space and Defence konzipieren unter anderem das neue Transportflugzeug der Bundeswehr, den A 400 M. Auch an der Entwicklung und Herstellung des Kampfhubschraubers NH90 und des Kampfjets Eurofighter ist Airbus im Rahmen von Konsortien beteiligt. Zudem entwickelt das Unternehmen auch Drohnen.
Daneben reichte das Rüstungsgeschäft des Konzerns über zahlreiche Beteiligungen bislang auch in Wirtschaftszweige hinein, die mit der Luft- und Raumfahrt gar nichts zu tun haben. So hält Airbus beispielsweise 49 Prozent am Bremer Marinetechnikunternehmen Atlas Elektronik, das unter anderem auf die Entwicklung und Herstellung von Sonarsystemen für U-Boote, Minenjäger und Kampfschiffe sowie die Produktion von Torpedos und Unterwasserrobotik spezialisiert ist. Auch beim Münchner Elektronikunternehmen ESG ist Airbus Gesellschafter: Dort hält das Luft- und Raumfahrtunternehmen derzeit 30 Prozent.
Obwohl diese und andere Beteiligungen profitabel sind, will sich Airbus nun davon trennen, wie Vorstandschef Tom Enders im September angekündigt hat. Auch den digitalen Behördenfunk und die kommerzielle Satellitenkommunikation will Enders veräußern. „Um dieses Geschäft langfristig abzusichern, müssten wir erhebliche Investitionen tätigen“, erklärte Bernhard Gerwert, Chef der Airbus-Rüstungssparte die Bestrebungen des Unternehmens.
Wachstumsmarkt: Grenzkontrollsysteme
Die Abteilung Space and Defence soll sich in Zukunft vollständig auf die Luftfahrt konzentrieren und nur noch fliegendes Gerät produzieren. Die rund 40.000 Beschäftigten der Airbus-Rüstungssparte sollen sich dann komplett der Entwicklung und Produktion von Militärflugzeugen, Lenkwaffen, Raketen und Satelliten widmen. Zudem erwägt das Unternehmen offenbar auch, ins Geschäft mit Grenzkontrollsystemen und Radartechnik einzusteigen. Der Bereich gilt in Sicherheits- und Verteidigungskreisen nicht zuletzt wegen der zunehmenden, weltweiten Flüchtlingsströme als Wachstumsmarkt.
Die Beteiligungsverkäufe sollen Airbus dem Vernehmen nach hunderte Millionen einbringen. Bereits Ende vergangenen Jahres hatte das Unternehmen angekündigt, den Geschäftsbereich Rüstung zu verschlanken und rentabler machen zu wollen. Zwischenzeitlich war von geplanten Stellenstreichungen im vierstelligen Bereich in den kommenden Jahren die Rede. Laut Rüstungsbereichschef Bernhard Gerwert sind der sinkende Verteidigungshaushalt in Deutschland und die wachsende Konkurrenz auf den Weltmärkten Grund für die Umstrukturierungen im eigenen Haus.
„Wir haben ein Ziel: Wir wollen in den Geschäften, in denen wir aktiv sind, eine globale Führungsposition haben“, sagte Gerwert, dessen Sparte im vergangenen Jahr 14 Milliarden Euro umsetzte. Nach einer eingehenden Analyse sei der Konzern zu dem Ergebnis gekommen, dass dieses Ziel im Raumfahrtgeschäft, bei den Militärflugzeugen einschließlich der Drohnen und bei den Lenkflugkörpern erreichbar sei. „Diese Bereiche werden in Zukunft unser Kerngeschäft sein – und natürlich die damit verbundenen Service-Geschäfte“, kündigte Gerwert an. Auch Zukäufe in den drei Sparten seien denkbar. „Das hängt von den Gelegenheiten ab, die sich bieten“, sagte Gerwert. „Wir werden hier alle Möglichkeiten eruieren und offenhalten.“
Rüstung für die Marine
Wie die beiden anderen Rüstungsbereiche ist auch Deutschlands maritimer Industriesektor stark fragmentiert. Die Lürssen-Werft in Bremen baut sowohl Yachten als auch kleinere Schiffe wie Patrouillenboote, die das Unternehmen unter anderem an Staaten wie das Sultanat Brunei und Saudi-Arabien liefert. Der zweite große Protagonist am Markt ist das in Kiel ansässige Unternehmen ThyssenKrupp Marine Systems, das Dickschiffe wie Fregatten, Korvetten oder Versorgungsschiffe wie die Einsatzgruppenversorger (EGV) der Bundeswehr produziert und nach eigenen Angaben auf dem Gebiet Marktführer in Europa ist.
Aushängeschild und Umsatzschlager des Unternehmens sind die konventionellen U-Boote des Hauses: Die Tauchboote gehören mit ihrer technisch hochwertigen Ausstattung laut Rüstungsexperten zu den besten der Welt und sind trotz hoher Stückpreise um die 500 Millionen Euro auf der ganzen Welt gefragt. Während sich die hiesigen U-Boot-Bauer zusammen mit den Panzerproduzenten als Kern der deutschen Rüstungsindustrie sehen, hat Verteidigungsministerin von der Leyen diese Fähigkeiten jüngst infrage gestellt. Aus ihrer Sicht muss die Marine ihr Material in Zukunft nicht mehr zwangsläufig hierzulande kaufen, sondern könnte das auch im Ausland tun.
Kenner der Branche rechnen damit, dass es auch im maritimen Rüstungsbereich womöglich noch in diesem Jahr einschneidende Veränderungen geben könnte. Ein mögliches Szenario ist die Verschmelzung von ThyssenKrupp Marine Systems mit Rheinmetall. Das Düsseldorfer Unternehmen würde damit nicht nur zum deutschen Systemhaus mit der breitesten Produktpalette, sondern würde seine Aktivitäten durch das U-Boot-Geschäft auch weiter internationalisieren. Ein solcher Schritt würde zur Ankündigung von Rheinmetall-Vorstand Papperger passen, 70 Prozent des Unternehmensumsatzes in den nächsten Jahren nicht in Deutschland, sondern im Ausland zu generieren.