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Am 9. September 2019 flog ein Volocopter-Flugtaxi am Mercedes Museum in Stuttgart. Nach Angaben der Daimler AG handelte es sich um den ersten Velocopter-Flug über einer europäischen Großstadt.
© imago images/Arnulf Hettrich

Interview mit Tech-Visionär: Wo sollen Flugtaxis landen? "Na, direkt im Vorgarten"

Sebastian Thrun leitete die Entwicklung selbstfahrender Autos bei Google. Ein Gespräch darüber, wie wir uns in Zukunft fortbewegen werden.

Sebastian Thrun, 52, geboren in Solingen, sorgte 2005 erstmals für Aufsehen als sein Team die DARPA-Challenge, ein Wettbewerb für selbstfahrende Autos gewann. Der Informatik-Professor leitete dann die Entwicklung selbstfahrender Autos bei Google. Dort baute er auch das Forschungslabor Google X auf und war an der Entwicklung von Google Street View und der Datenbrille Google Glass beteiligt. 2012 gründete Thrun zudem die Online-Universität Udacity. Ein Gespräch über die Zukunft der Mobilität.

VW-Chef Diess hat gerade gewarnt, die deutsche Autobranche stünde vor einem Nokia-Moment, wie wahrscheinlich ist das Szenario?
Spannend dabei ist ja, dass Volkswagen damals 2005 sogar bei der Darpa-Challenge mitgemacht hat. Das war die Geburtsstunde des selbstfahrenden Autos. Doch die Technologie ist dann zu Google und Waymo rüber geflossen. Jetzt ist sie an einem Punkt, wo sie funktioniert. Waymo ist inzwischen über 20 Millionen Meilen gefahren, das sind mehr als 30 Millionen Kilometer. Und dabei gab es nur einen einzigen winzigen Unfall. Nun müssen aber noch die ganzen Geschäftsmodelle aufgebaut werden, das wird wahrscheinlich noch ein paar Jahre dauern. Aber es ist schon wichtig für die deutsche Industrie, da ganz nah dran zu sein.

Wie groß ist der Abstand?
Ich kann es nicht seriös begutachten, da sie ihre Forschung nicht publik machen. Ich habe aber schon das Gefühl, dass Waymo ganz vorne liegt.

Nach den euphorischen Prognosen, wann autonome Autos marktreif sind, gab es zuletzt etwas Ernüchterung. Braucht die Technologie insgesamt doch länger?
Die Euphorie kommt in Wellen aber der Fortschritt ist sehr konstant. Ich rechne damit, dass in den nächsten ein, zwei Jahren viel passiert. Es gibt inzwischen schon drei Firmen in den USA, die auch Fahrten für Normalpersonen anbieten. Voyage und Aptive zusammen mit Lyft und Googles Waymo. Und auch Cruise, Zoox, Aurora haben gute Systeme.

Sie arbeiten nun mit Kitty Hawk schon am nächsten Schritt, dem Flugtaxi. Wie ist da der Entwicklungsstand?
Wir haben 150 Prototypen gebaut und 26000 Testflüge gemacht. Aber an dem Punkt, wo Dritte die Technologie nutzen können, sind wir noch nicht, und ist, glaube ich, keiner. Das ist also noch ein sehr visionäres Projekt und in einem ähnlichen Stadium wie selbstfahrende Autos um 2012 oder 2013. Aber es gibt in dem Sektor inzwischen über 30 Firmen und darunter sind mit Lilium und Volocopter auch zwei sehr gute deutsche.

Sebastian Thrun erhielt am 2019 die Ehrendoktorwürde seiner früheren Universität Hildesheim.
Sebastian Thrun erhielt am 2019 die Ehrendoktorwürde seiner früheren Universität Hildesheim.
© dpa

Wie groß sind deren Chancen?
Ich bin begeistert, dass viele kreative Ingenieure versuchen, dieses Problem zu lösen. Wenn man sich Innovationen von Kleinflugzeugen anschaut, ist lange fast nichts passiert. Eine Cessna heute sieht genauso aus, wie vor 20 Jahren. Bisher wurde auch alles mit Benzin gemacht, das ist laut und nicht gut für die Umwelt. Doch das ändert sich gerade und geht einher mit dem Fortschritt in der Batterietechnologie. Ein Tesla braucht pro Meile ungefähr 300 Wattstunden, wir nur ein Drittel davon. Und die Batterien haben genug Kapazitäten, um fast 200 Kilometer weit zu fliegen.

Wirklich? Experten haben zuletzt massive Zweifel an den Reichweitenversprechen von Lilium geäußert.
Wir haben vor wenigen Wochen unser Modell Kitty Hawk Heaviside vorgestellt, das ist schon 102 Meilen geflogen, also fast 170 Kilometer. Wir hatten noch 30 Prozent Reserve, wenn wir die Batterie ganz leer gemacht hätten, wären es also über 200 Kilometer.

Inzwischen steigen auch die Flugzeugbauer und Autofirmen wie Hyundai und Toyota ein. Übernehmen die Großen mit ihren Produktionskapazitäten das Geschäft?
Das Feld ist noch ganz offen, jemand, der sich richtig engagiert, hat eine gute Chance mitzumischen. Es ist noch viel zu früh zu sagen, wer der Gewinner ist. Je mehr Unternehmen und Ingenieure mitspielen, desto besser also, denn wir können große gesellschaftliche Probleme lösen.

In Deutschland sorgen Flugtaxis bei vielen Menschen für Spott, welche Probleme lösen sie denn?
Wir werden weniger Staus haben und der Verkehr wird viel sicherer sein. Sie werden eine Menge Menschenleben retten. Es ist unglaublich, wie sicher kommerzielle Jets geworden sind. Daher werden sich solche Stadtfluggeräte für den normalen täglichen Verkehr durchsetzen.

Auch über Singapur flog Volocopter schon.
Auch über Singapur flog Volocopter schon.
© promo

Die Boing 737 Max zeigt gerade das Gegenteil, die scheinen durch mehr Technologie und Software sogar unsicherer zu sein.
Man muss das mit Abstand betrachten. Wenn wir die gleiche Absturzrate hätten wie in den achtziger Jahren, würde jede dritte Woche ein Jet abstürzen. Pro Flugkilometer sind kommerzielle Jets hundert Mal sicherer als Autos. Wenn man an selbstfahrenden Autos arbeitet, muss man Kollisionen vermeiden, sobald man aber ein paar Hundert Meter in der Luft ist, gibt es fast nichts mehr zum Kollidieren. Ich gehe davon aus, dass der Flugverkehr mindestens zehnmal so sicher sein wird, wie der Straßenverkehr.

Trotzdem ist die Angst vorm Fliegen psychologisch größer. Ist das ein Problem für den Durchbruch von Flugtaxis?
Das wird sich zeigen, es wird ja auch keiner gezwungen, damit zu fliegen. Aber historisch gesehen ist die Menschheit bereit gewesen, sich in immer höherer Geschwindigkeit zu bewegen. Als Aufzüge oder Autos neu waren, hatten auch viele Menschen Angst davor. Teilweise berechtigt, schließlich sind Autos jedes Jahr für über eine Million Tote weltweit verantwortlich.

Derzeit gibt es in der Luft weniger Kollisionsgefahr, mit Flugtaxis und vielleicht auch Lieferdrohnen würde sich das ändern. Wie sollte der Luftraum geregelt werden?
Wir brauchen auf jeden Fall Systeme zur Koordinierung von solchen Fahrzeugen und es ist ziemlich klar, dass sie autonom fliegen müssen und nicht vom Piloten gelenkt werden können. Doch der Luftraum ist sehr groß, man kann also leicht eine Autobahn mit hundert vertikalen Spuren bauen, weil jedes in eigener Höhe fliegen kann. So wird es heute auch bei Jets gemacht. Zweitens kann man verlangen, dass jedes Vehikel, ob Drohne oder Personenfluggerät mit einem Sender ausgestattet ist und seine Koordinaten bekannt gibt. Mathematisch ist das Problem der Koordination dann nicht so schwer. Aber natürlich brauchen wir Regeln, Systeme und Interoperabilität, da ist noch eine Menge Arbeit zu tun.

Eine weitere offene Frage ist die, wo sie dann landen?
Na, hoffentlich direkt im Vorgarten.

Sie glauben wirklich, ich kann mir so ein Fluggerät dann wie ein Taxi vor die Tür rufen?
Das ist zumindest unser Ziel. Die Geräte können vertikal starten und landen, sie müssen daher keine Helipads nutzen, sondern können von ganz vielen Stellen fliegen. Parkplätze reichen dafür aus, denn Heavyside braucht ungefähr so viel Platz wie drei Autos. Zudem arbeiten wir daran, dass sie superleise sind. Bei 500 Meter Flughöhe sind wir bei 35 Dezibel, das ist wesentlich leiser als das Zwitschern von Vögeln.

Werden Flugtaxis nicht trotzdem so etwas wie ein besserer Hubschrauber, mit dem sich Reiche und Geschäftsleute fliegen lassen?
Wir wollen die Technik für die allgemeine Bevölkerung einsetzen, das ist uns sehr wichtig. Es wird sich dann zeigen, ob die Gesellschaft das akzeptiert. Wenn es nur ein Spielzeug für reiche Leute ist, wird das schwierig und das sieht eigentlich jeder in diesem Feld so. Vor hundert Jahren ist das Auto erfunden geworden. Das hat uns wahnsinnig mobil gemacht, Städte verändert, die menschliche Arbeit und Familien. Das Flugtaxi ist nun vielleicht der nächste Schritt.

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