zum Hauptinhalt
Ein Rettungsschirm soll die Start-up-Szene vor einer Pleitewelle infolge der Corona-Krise schützen.
© picture alliance / dpa

Corona-Krise: Wirtschaftsministerium plant Rettungsschirm für Start-ups

Zwei Drittel der Start-ups fürchten wegen der Maßnahmen gegen Covid-19 um ihre Existenz. Nun will der Staat mehrere Milliarden Euro bereitstellen.

Die Corona-Krise trifft die Digitalwirtschaft mit voller Wucht. Flixbus hat sein Fernbusgeschäft am Mittwoch vorerst komplett eingestellt, die Flixtrain-Züge stehen bis mindestens Ende April still. Auch bei Getyourguide geht nichts mehr: „Wir liegen jetzt 90 Prozent unter dem Vorjahr“, sagt Gründer Johannes Reck. Auf seiner Plattform können Touren oder Eintrittskarten gebucht werden. Derzeit sind die Mitarbeiter vor allem mit Stornierungen und Rückerstattungen befasst.

Während es zunächst vor allem Firmen im Touristik- oder Mobilitätsbereich getroffen hat, weiten sich die Probleme nun auch auf andere Branchen aus: „Die Situation ist dramatisch“, beobachtet Reck. Für viele Jungunternehmen könnte die Krise zur Überlebensfrage werden.  

Existenzbedrohung für zwei Drittel der Start-ups

„Wenn wir jetzt nicht aktiv werden, verlieren wir die halbe Tech-Welt“, warnt Christian Miele, Vorsitzender des Bundesverbands Deutscher Start-ups. Zwei Drittel der Start-ups fürchten um ihre Existenz, ergab eine Umfrage des Start-up-Beirats beim niedersächsischen Wirtschaftsministerium. 48 Prozent sehen eine starke Bedrohung für ihr Unternehmen, 52 Prozent eine „mittlere Existenzbedrohung“. Schon im nächsten halben Jahr könnte sich bei vielen zeigen, ob sie die Krise überstehen. Hilfsmaßnahmen seien innerhalb von sieben Wochen notwendig.

Nach Informationen von Tagesspiegel Background arbeiten das Bundeswirtschaftsministerium unter Federführung von Thomas Jarzombek und die staatliche KfW-Bankengruppe gemeinsam mit dem Start-up-Verband an einem Entwurf für einen „Schutzschirm“ für Start-ups. Es geht um eine Größenordnung von mehreren Milliarden Euro.

Bisherige Programme funktionieren für Start-ups nicht

Die Hilfen, die die Bundesregierung für die Wirtschaft bereits in Aussicht gestellt hat, würden den meisten Start-ups überhaupt nicht helfen, meint Christian Miele. Das hat zum Beispiel Dirk Fehse erfahren, Gründer der Plattform Paulcamper, über die Privatleute ihre Wohnmobile vermieten können. „Wir verzeichnen einen drastischen Buchungsrückgang und eine immense Anzahl an Stornierungen“, sagt Fehse. Gemeinsam mit seinen Investoren suche er nach Möglichkeiten für eine Brückenfinanzierung. „Die staatlichen Kreditinstrumente scheinen aber momentan für Startups wie uns nicht nutzbar zu sein“, sagt Fehse. Nun versucht er, die Kosten massiv zu reduzieren.

Bei der staatlichen Unterstützung handelt es sich um Kredite der KfW. Beantragen müssen die Unternehmen die Darlehen aber bei ihrer Hausbank. Das Problem: Start-ups bekommen in der Regel überhaupt keine Kredite, oft haben sie nicht mal eine Hausbank. Ihr Geschäftsmodell ist den Banken zu riskant. Sie investieren jahrelang in Wachstum, stellen Leute ein und programmieren Produkte, bevor sie den ersten Euro verdienen. Normalerweise finanziert sich die Tech-Branche darum über Risikokapital (VC).

Doch auch diese Finanzierungsquelle droht gerade, zu versiegen. „Der Fundraising-Zyklus ist unterbrochen“, sagt Miele. Er muss es wissen, er ist im Hauptberuf selbst Investor beim Risikokapitalgeber Eventures. Das VC-Geschäft ist international. Keine Flüge mehr bedeutet auch: keine neuen Deals. Zumal die Branche angesichts der Krise jetzt ohnehin erstmal auf Zurückhaltung setze, meint Miele: „Die Investoren konzentrieren sich auf ihr Bestandgeschäft und warten ab“.

Kurzarbeit bei Flixbus, Auto1 und anderen

Das heißt: Selbst Start-ups, bei denen die Nachfrage noch läuft, könnten jetzt Probleme bekommen: es wird ihnen kaum gelingen, in den nächsten drei Monaten neue Finanzierungsrunden abzuschließen. Die meisten Tech-Firmen aber sind nur für 12 bis 18 Monate finanziert, danach brauchen sie frisches Kapital. Sonst gehen sie pleite.

„Diese Krise ist anders, als alle die wir bisher erlebt haben und niemand weiß, wie lange sie dauern wird“, sagt auch Shmuel Chafets, General Partner beim Investor Target Global. „Es wird viele Start-ups geben, die das nicht überstehen.“ Am wichtigsten sei es jetzt, das Geld zusammen zu halten. 

Viele Start-ups führen daher nun auch Kurzarbeit ein. Uniq ist diesen Schritt bereits am Montag für 100 seiner 160 Mitarbeiter gegangen. Das Unternehmen aus Holzwickede bei Dortmund betreibt das Portal Urlaubsguru und ist von der enormen Unsicherheit im Touristiksektor betroffen. Auch der Online-Gebrauchtwagenhändler Auto1, mit einer Bewertung von fast drei Milliarden Euro eines der am höchsten gehandelten Start-ups hierzulande, prüft die Einführung von Kurzarbeit. In einer Mail an die Mitarbeiter hat Deutschland-Chef Robert Lasek die Maßnahme angekündigt, wie „Capital“ berichtet. Auch Flixbus plant einem Sprecher zufolge derzeit Kurzarbeit in verschiedenen europäischen Ländern „ab dem 1. April oder früher“ einzuführen.

Wie ein Rettungspaket aussehen könnte

Staatliche Maßnahmen müssten jetzt schnell und unbürokratisch beantragt werden können, fordert Christian Miele vom Start-up-Verband. Zugleich müssten sie marktwirtschaftlich sein: Das heißt, es sollten vor allem solche Start-ups davon profitieren, die ein aussichtsreiches Geschäftsmodell haben, nicht solche, denen es schon vor der Coronakrise schlecht ging.

Einem Entwurf zufolge, der Tagesspiegel Background vorliegt, könnte das Paket, das BMWi und KfW jetzt schnüren wollen, aus vier Teilen bestehen:

-          Ganz junge Start-ups, die noch keine großen Investoren haben, sollen zinsgünstige staatliche Darlehen erhalten. Die Vergabe soll unkompliziert erfolgen, die Antragsprüfung auf „sofort verfügbare Bonitätsinformationen“ beschränkt bleiben. Eine persönliche Haftung der Gründer soll „weitgehend ausgeschlossen“ werden. Das Geld soll spätestens zwei Wochen nach Bewilligung ausgezahlt werden.

-          Zur Rettung von Start-ups, die bereits Investoren haben, soll ein „Matching-Fonds“ eingerichtet werden, getragen von bestehenden Institutionen wie der KfW-Tochter KfW Capital oder dem High-Tech-Gründerfonds. Er soll die Investitionen der Risikokapitalgeber in Start-ups erleichtern, indem er 80 Prozent der jeweiligen Finanzierungsumme übernimmt – und zwar in Form von Wandeldarlehen.

-          Große Unternehmen mit vielen hundert Mitarbeitern wie Getyourguide oder Auto1, sollen direkt staatliche Hilfen – die Rede ist von dreistelligen Millionensummen – beantragen können. Das Geld soll in Form von Venture Debt vergeben werden, eine Mischform aus Fremd- und Eigenkapital.

-          Für den Fall, dass die Wagniskapitalfonds selbst in Schieflage geraten, etwa weil ihre eigenen Investoren, große Konzerne oder mittelständische Familienunternehmen ihre Kapitalzusagen aufgrund eigener Liquiditätsschwierigkeiten nicht halten können, soll ein „Notfallplan“ entwickelt werden. Der Europäische Investmentfonds oder die KfW könnten dann einspringen. 

Es sei wichtig, das Geld nicht direkt an die Start-ups zu geben, sondern über bereits existierende Kanäle (sprich: die Investoren), meint Miele. So würde man einerseits den bürokratischen Aufwand geringer halten, zum anderen hätten die Investoren ein eigenes Interesse daran, nur solche Firmen zu retten, deren Geschäftsmodell eine Zukunft hat. „Am Ende könnte der Sektor auch gestärkt aus der Krise hervorgehen“, hofft Miele.

Aus den Fehlern der Dotcom-Zeit lernen

Es wäre nicht das erste Mal: Facebook ist 2004 in der Katerstimmung der geplatzten Dotcomblase entstanden, Airbnb oder Uber wurden während der Finanzkrise 2008 beziehungsweise 2009 gegründet. „Großartige Gründer zeigen sich in Krisenzeiten“, sagt Investor Chafets. „Sie haben nun die Chance sich hervor zu tun und es werden als Reaktion auch neue Unternehmen entstehen.“

Allerdings dürfe die Politik nicht die Fehler wiederholen, die nach dem Scheitern des Neuen Marktes 2001 gemacht wurden, warnt Reck. Damals kam die Finanzierung von neuen Unternehmen und Ideen hierzulande für lange Zeit fast zum Erliegen. Die Folgen sind bis heute zu spüren: das Fehlen besonders finanzkräftiger Wagniskapitalgeber und auch die viel zu geringe Zahl von Börsengängen erfolgreicher Start-ups. „Das ist die Stunde der Entscheidung für den Technologiestandort Deutschland“, sagt Reck. Denn die langfristige wirtschaftliche Zukunft des Landes hänge letztlich davon ab, ob und wie weiter in innovative Technologieunternehmen investiert werde.

Das Coronavirus zeigt vielerorts noch einmal, wie essenziell digitale Lösungen sind – erst recht im Krisenfall. Danach wird daher verstärkt in E-Learning, E-Government und E-Health investiert werden, glaubt Miele. Wichtig sei es darum auch, neben dem Schutzschirm die Planungen für den Zukunftsfonds weiter voranzutreiben. „Der Zukunftsfonds ist wichtiger denn je“, meint Miele. Nicht zuletzt der Streit um die Tübinger Biotech-Firma Curevac habe gezeigt, wie wichtig es ist, „dass wir nach der Krise genug Kapital haben, um mit unseren eigenen Tech-Fonds in europäische Start-ups zu investieren.“ (Mitarbeit: Jana Kugoth, Oliver Voß)

Zur Startseite