Berliner Arbeitsmarkt: Wirtschaft und Handwerk setzen auf den Nachwuchs
Der Arbeitsmarkt in Berlin entwickelt sich gut. Dennoch fehlt es in vielen Branchen an Fachkräften - auch im Handwerk. Senat und Handwerkskammer wollen mit einem Aktionsprogramm gegensteuern.
Rund 1,5 Prozent Wachstum und 25 000 Erwerbstätige mehr: Die Wirtschaft in der Hauptstadt wird sich nach Einschätzung der Arbeitgeber in der Region auch im laufenden Jahr überdurchschnittlich gut entwickeln. „Die Zahl der Arbeitslosen könnte im Jahresdurchschnitt unter die Marke von 200 000 sinken“, sagte Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB) am Dienstag.
In vielen Branchen fehlen die Fachkräfte
Damit wird eines der großen Berliner Probleme kleiner – und ein neues entsteht: Es fehlen zunehmend Fachkräfte in vielen Branchen, von den Pflegeberufen über Friseure, Sanitär- und Heizungsinstallateure bis hin zum Industriefacharbeiter. Hinzu kommt, dass die Rente mit 63, die die große Koalition für Arbeitnehmer mit 45 und mehr Beitragsjahren eingeführt hat, die Lage noch verschärft. Knapp 9200 Anträge auf den vorzeitigen Ruhestand hat die Deutsche Rentenversicherung Berlin-Brandenburg im vergangenen Jahr registriert, knapp 6900 sind bereits bewilligt. Genaue Zahlen nur für Berlin gibt es nicht. Die UVB gehen jedoch davon aus, dass hier rund die Hälfte der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in der entsprechenden Alterskohorte die Rente mit 63 beantragt haben – und dass dies auch 2015 so sein wird.
In Berlin gibt es besonders viele Jugendliche ohne Schualabschluss
Wie also ist diesem für den Berliner Arbeitsmarkt neuen Phänomen zu begegnen? Den Sockel der Langzeitarbeitslosen sieht Amsinck bei rund 120 000. Viele von ihnen seien un- und angelernte Kräfte, sie in großer Zahl zu aktivieren und fit für den ersten Arbeitsmarkt zu machen, sei wie „ein dickes Brett zu bohren“. „Ich bin da skeptisch“, sagte der Verbandschef. Lieber richten die Arbeitgeber ihren Blick auf den Nachwuchs. Mit gut neun Prozent ist die Jugendarbeitslosigkeit in Berlin etwa doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Seit Jahren bemängelt die Wirtschaft den schlechten Bildungsstand von Schulabgängern, die Quote der Jugendlichen ohne Schulabschluss ist in Berlin besonders hoch. UVB-Geschäftsführer Alexander Schirp lobte in diesem Zusammenhang die Einführung der sogenannten Jugendberufsagentur. Mit ihr wollen Senat, Bezirke und Arbeitsagentur durch ganzheitliche und vernetzte Beratung künftig Jugendlichen den Weg in den Beruf ebnen. In jedem Berliner Bezirk soll eine Filiale entstehen. „Der Übergang von der Schule in den Beruf fällt vielen Jugendlichen immer noch zu schwer“, sagte Schirp.
Das "Aktionsprogramm Handwerk" von Senat und Handwerkskammer soll den Nachwuchs fördern
Auch Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) und das Handwerk haben die Jugend als Zielgruppe von arbeitsmarktpolitischen Bemühungen identifiziert. Aus- und Weiterbildung ist ein Schwerpunkt des „Aktionsprogramms Handwerk“, das der Senat in Kooperation mit Handwerkskammer und der Unterstützung zahlreicher Firmen erarbeitet und am Dienstag vorgestellt hat (siehe Kasten). Zwar sei das Berliner Handwerk mit seinen rund 30 600 Betrieben, 185 000 Arbeitsplätzen und mehr als 10 000 Ausbildungsstellen „ein wichtiger Partner und Innovationstreiber für den Wirtschaftsstandort Berlin“, heißt es im Vorwort des Papiers. Um aber auch in der Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben, müsse vor allem das Image der Branche gestärkt werden und Fachkräfte gewonnen und gebunden werden.
Die Jugend soll mit Schnupperkursen, Praktika und Auslandsaufenthalten gelockt werden
Um diesem Ziel näher zu kommen, wollen Politik und Wirtschaft bereits bei Grundschülern für handwerkliche Berufe werben. Ältere Schüler sollen durch Schnupperkurse und Praktika gezielt für eine Ausbildung in der Branche begeistert werden. Auch in Studienabbrechern sehen die Macher des Aktionsprogramms Potenzial für ihr Anliegen: Da viele von ihnen wenig mit dem Handwerk vertraut seien, soll für sie ein Modellprojekt etabliert werden, das ihnen die Qualifikationen und Strukturen und Perspektiven des Wirtschaftszweiges nahe bringt. Der Fokus soll dabei laut Agenda auf dem Elektrohandwerk liegen. Um die Ausbildungsberufe für junge Leute attraktiver zu machen, will der Senat zehn Lehrlingen des Berliner Elektro- Kfz- und Zweiradgewerbes zudem Lernaufenthalte im Ausland ermöglichen.