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Im Fokus der Kameras und Mikros: Der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Arcandor, Thomas Middelhoff (M.), 2014 im Essener Landgericht.
© picture alliance / dpa

Promi-Malus vor Gericht?: Wirecard-Vorstande wären nicht die ersten Topmanager im Gefängnis

Seit der Jahrtausendwende gab es viele spektakuläre Prozesse gegen Wirtschaftsbosse. Doch nicht alle endeten mit einem Schuldspruch.

Fünf Millionen Euro war Markus Braun seine Freiheit wert. Seine vorläufige Freiheit. Denn diese Kaution musste der Ex-Wirecard-Chef zahlen, um aus der Untersuchungshaft entlassen zu werden; zudem muss er sich wöchentlich bei der Polizei melden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt weiter wegen des Verdachts der Bilanzfälschung und der Marktmanipulation.

Nach dem ehemaligen Wirecard-Vorstand Jan Marsalek wird noch gefahndet. Berichten zufolge hält er sich auf dem Philippinen auf, will sich aber stellen. Beiden Managern droht im schlimmsten Fall eine Haftstrafe.

Damit fügen sich Braun und Marsalek in eine lange Reihe einstiger Top-Manager, die auf der Anklagebank landeten – und in einigen Fällen danach hinter Gittern. Seit der Jahrtausendwende gab es zahlreiche spektakulärer Prozesse gegen die vermeintliche Wirtschafts-Elite des Landes. Natürlich geht es jedes Mal um die Sache, meist um viele Millionen Euro, die - wie im Fall von Wirecard - verschwunden sind oder nicht für die Zwecke verwendet wurden, für die sie gedacht waren. Doch es geht auch immer um die Frage, ob „die da oben“ sich eigentlich alles erlauben können.

Middelhoff und Hoeneß gingen ins Gefängnis

Diese Attitüde sagte man Thomas Middelhoff gerne nach. Der einstige Chef des Medienkonzerns Bertelsmann und anschließend von Karstadt-Quelle beziehungsweise Arcandor wurde 2002 angeklagt. Als Sinnbild dafür, dass er sich buchstäblich über den Dingen schweben sah, wurde in der Öffentlichkeit eine vergleichsweise kleine Episode gesehen: Weil er nicht im Stau stehen wollte, kam Middelhoff insgesamt 28 Mal per Helikopter zur Arbeit.

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Die Flüge von seinem Wohnort Bielefeld in die Essener Karstadt-Zentrale kosteten insgesamt rund 80.000 Euro, die Middelhoff aus der Firmenkasse – also vom Geld der Aktionäre – nahm. Wegen noch weitere Fälle von Untreue und Steuerhinterziehung verurteilte ihn das Landgericht Essen 2014 zu drei Jahren Haft. Weil die Richter Fluchtgefahr zu erkennen meinten, wurde er noch im Gerichtssaal festgenommen.

Ein anderer Manager hätte sich wohl nie sagen lassen, dass er sich vom Leben der Normalbürger entfernt hatte. Uli Hoeneß, Ex-Präsident des FC Bayern und Prediger des eigenen sozialen Engagements, hatte einst auf einer Mitgliederversammlung des deutschen Rekordmeisters seinem Publikum noch sinngemäß entgegengerufen: Wir ziehen denen da oben in ihren Logen das Geld aus der Tasche, damit ihr für sieben Euro auf die Südkurve kommt.

Der ehemalige Präsident des Fußball-Bundesligisten FC Bayern München, Uli Hoeneß (M.), wurde vorzeitig aus der Haft entlassen.
Der ehemalige Präsident des Fußball-Bundesligisten FC Bayern München, Uli Hoeneß (M.), wurde vorzeitig aus der Haft entlassen.
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Ein paar Jahre später wurde bekannt, dass er selbst Steuern in solcher Höhe hinterzogen hatte, dass er den Fans den Gang in die Südkurve damit durchaus selbst hätte finanzieren können. 28,5 Millionen Euro waren es am Ende; Hoeneß wurde zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt.

Gibt es einen Promi-Bonus?

Dass es einen Prominenten-Bonus gibt, glauben die meisten Experten nicht. „Den oft gehörten Vorwurf, wonach man die Kleinen hängt und die Großen laufen lässt, halte ich für nicht berechtigt“, meint etwa der Augsburger Strafrechtler Michael Kubiciel: „Ermittelt wird meist nicht gegen Mitarbeiter aus der zweiten oder dritten Reihe, sondern auch gegen Personen ganz oben.“

Er findet sogar: „Es gibt nur den Prominenten-Malus.“ Für die Öffentlichkeit sei ein Manager in Untersuchungshaft schon gefühlt schuldig, sagte Kubiciel der „Welt“ anlässlich einer anderen spektakulären Flucht eines Top-Managers: Carlos Ghosn.

Eine Flucht wie im Krimi

Denn die Gerichtsprozesse gegen Manager sind keine deutsche Spezialität. Ghosn, der die brasilianische, libanesische und französische Staatsbürgerschaft besitzt war bis Anfang 2019 Chef des Autokonzerns Renault-Nissan-Mitsubishi mit Sitz in Japan. Dort wurde er wegen Untreue angeklagt, sah sich nicht fair behandelt und floh deshalb in den Libanon.

Auch wenn sich die Geschichte, dass er in einem Koffer an den Sicherheitskontrollen vorbeigeschleust wurde, wohl als unwahr entpuppte, dürfte die Flucht mit mehreren Flugzeugen alles gehabt haben, was es für einen guten Wirtschaftskrimi bräuchte. Da weder der Libanon noch Frankreich seine Staatsbürger an Japan ausliefern, wurde ihm noch nicht der Prozess gemacht.

Nicht nur dem Richter, sondern auch der Öffentlichkeit vorgeführt: Als Staatsanwältin Margrit Lichtinghagen den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post, Klaus Zumwinkel, zur Vernehmung abholte, waren diverse Kamerateams vor Ort.
Nicht nur dem Richter, sondern auch der Öffentlichkeit vorgeführt: Als Staatsanwältin Margrit Lichtinghagen den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post, Klaus Zumwinkel, zur Vernehmung abholte, waren diverse Kamerateams vor Ort.
© Federico Gambarini dpa

Überhaupt endet nicht jede Klage mit einer Haftstrafe. Das gilt natürlich auch für Manager. So kam Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel vor gut einem Jahrzehnt noch mit einer Bewährungsstrafe wegen Steuerhinterziehung davon. Der Formal-1-Manager Bernie Ecclestone erreichte gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 100 Millionen Euro 2014 sogar die Einstellung des Verfahrens gegen ihn, in dem es um Bestechung und Anstiftung zur Untreue ging.

Deutsche Bank kommt glimpflich davon

Und manchmal geht es sogar noch glimpflicher aus. So etwa im Falle des damaligen Deutsche-Bank-Chef Jürgen Fitschen. 2012 war er des Umsatzsteuerbetrugs im Zusammenhang mit der Insolvenz der Kirch-Gruppe beschuldigt worden. Doch Fitschen – und mit ihm vier weitere ehemalige hochkarätige Bank-Manager – wurden freigesprochen.

Einer von ihnen hatte damit bereits Erfahrung: Josef „Joe“ Ackermann. Er hatte schon 2006 auf der Anklagebank gesessen – gegen die Zahlung von 3,2 Millionen Euro aber eine Einstellung des Verfahrens gegen ihn im Rahmen des Mannesmann-Prozesses erwirken können. Es folgte das ikonische Foto, auf dem er das Victory-Zeichen in die Kameras hält – und mit dem er sich im kollektiven Gedächtnis als Paradebeispiel für „die da oben“, die sich alles erlauben können, verewigte.

Mit dem Victory-Zeichen prägte der ehemalige Deutsche-Bank-Chef Joseph Ackermann das Bild der Manager, die über den Dingen schweben.
Mit dem Victory-Zeichen prägte der ehemalige Deutsche-Bank-Chef Joseph Ackermann das Bild der Manager, die über den Dingen schweben.
© dpa

Aktuell wartet zudem ein deutsche Spitzenmanager auf seinen Prozess. Ex-Audi-Chef Rupert Stadler wird im Abgasskandal Betrug, mittelbare Falschbeurkundung sowie strafbare Werbung vorgeworfen. Der Prozess soll Ende September beginnen.

Nicht jedem Schaden geht eine Straftat voraus

Wie schwierig es aber ist, gerade auf dem internationalen Finanzmarkt zu klaren Urteilen zu kommen, zeigte sich am Fall des ehemaligen HSH-Nordbank-Chefs Dirk Jens Nonnemacher. Man warf ihm vor, wissentlich gemeinsam mit seinen Vorstandskollegen einen dreistelligen Millionenbetrag verzockt zu haben.

Doch das Landgericht Hamburg kassierte die Klage 2014. Die Richter konnten keine Beweise dafür erkennen, dass er mit Finanztransaktionen tatsächlich Untreue begangen hatte, obwohl die Staatsanwaltschaft über Jahre ermittelt hatte.

„Dass es nicht häufiger zu Verurteilungen kommt, zeigt, dass Fälle von grenzüberschreitender Korruption schwer nachzuweisen sind und dass nicht jedem Schaden eine strafwürdige Handlung vorausgeht“, sagt Experte Kubiciel dazu. Ein Satz, der auch Markus Braun und Jan Marsalek Hoffnung geben dürfte.

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