Verlängerung der Lockdowns: Wird aus Novemberhilfe Dezemberhilfe?
Der Bund will seine finanzielle Unterstützung für betroffene Firmen ausbauen. Aus der CDU kommt allerdings Kritik an der Berechnung der Leistungen.
Friedrich Merz dürfte sich gefreut haben, falls er seinen CDU-Parteikollegen Carsten Linnemann am Dienstag im ZDF-Morgenmagazin gesehen hat. Die Finanzhilfen, mit denen vom aktuellen Lockdown unmittelbar betroffenen Unternehmen geholfen werden soll, seien nicht zielgerichtet, sagte der Vorsitzende der CDU/CSU-Mittelstandsunion dort nämlich.
Als Beispiel führte er eine Fast-Food-Kette an, die derzeit zusätzlich zu der Umsatzerstattung in Höhe von 75 Prozent gutes Geschäft mit Außer-Haus-Verkauf machen könne. Hier werde überkompensiert, so Linnemann. Dass Fast-Food-Ketten auch ohne Lockdown einen großen Teil ihres Umsatzes „To Go“ erwirtschaften und diesen Teil nicht erstattet bekommen, lässt er bei der Rechnung außer Acht.
Dennoch gab er Merz damit recht, der die Debatte im Interview mit dem Tagesspiegel angestoßen hatte. „Der Umsatz ist der unschärfste Maßstab für einen Schadensersatz oder für den Verdienstausfall“, hatte der Kandidat für den CDU-Vorsitz gesagt. Ein Konzertveranstalter etwa mache fünf Prozent Gewinn am Umsatz, bekommt jetzt aber 75 Prozent eines Monatsumsatzes erstattet. Alle weiteren Selbstständigen, die er davon hätte bezahlen müssen bekämen auch nochmal 75 Prozent ihres Umsatzes erstattet.
„Das ist völlig jenseits aller Schäden, die er erleidet“, so Merz. Angesichts dessen, dass der Lockdown wohl verlängert und damit auch neue Finanzhilfen angesagt sind, gewinnt die Debatte nun an Bedeutung.
Was passiert im Dezember?
Die Verlängerung des Teil-Lockdowns in Deutschland bis kurz vor Weihnachten gilt in Regierungskreisen als so gut wie sicher. Firmen wie Restaurants, Kinos, Hotels und Fitnessstudios dürften deshalb weiter zur Schließung gezwungen sein. Wie die dpa und die Zeitungen der Funke-Mediengruppe berichten plant der Bund deshalb, die Novemberhilfen ebenfalls zu verlängern. 17 Milliarden Euro sollen dafür bereitgestellt werden.
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Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hatte dazu schon vergangene Woche gesagt, für ihn sei klar, dass „die finanzielle Unterstützung der direkt betroffenen Branchen dann ebenfalls weiter nötig ist“. Wie genau das aussieht, ist bislang allerdings offen. Es sei aber eine finanzielle Herausforderung und europarechtlich kompliziert, auch im Dezember 75 Prozent des Umsatzes zu erstatten, so Scholz.
Sind die Novemberhilfen gerecht?
Dass eine pauschale Lösung wie die die Umsatzerstattung nicht in jedem Fall fair ist, gilt als unstrittig. „Es gibt berechtigte Kritik an der Ausgestaltung der Novemberhilfen“, sagt etwa Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln. Es gebe aber angesichts der des Zeitdrucks nicht „die Superlösung“. „Auch kann mit Verweis darauf, dass die nun betroffenen Branchen seit dem ersten Lockdown – anders als die Industrie – nicht richtig gut in Gang kommen konnten, ist eine befristete Großzügigkeit zu rechtfertigen“, meint Hüther.
Sein Kollege Sebastian Dullien, Direktor das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung und gern als ideologischer Gegenpol zu Hüther betrachtet, sieht das ähnlich. „Die Novemberhilfen sind vielleicht nicht perfekt, aber so ziemlich die beste Lösung, die man sich derzeit vorstellen kann“, sagte er. Aus seiner Sicht wäre es „ökonomisch gut und zudem nur gerecht, diese Hilfe auch entsprechend zu verlängern“.
Dominika Langenmeyr, Professorin an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt sieht die Orientierung am Umsatz hingegen kritisch: „Auch viele Kosten fallen weg, wenn ein Betrieb geschlossen ist.“ Da aktuell das Kurzarbeitergeld auf die Hilfen angerechnet wird, könne es zudem für Unternehmen finanziell besser sein, Arbeitnehmer zu entlassen, als sie in Kurzarbeit zu schicken.
Und auch der Wirtschaftsweise Lars P. Feld fürchtet, dass Betroffenen teils deutlich mehr gezahlt wird, als ihnen durch die behördlichen Schließungen entgeht. Er glaubt, dass die Regelungen vor allem Klagen vorbeugen sollen. In der Opposition unterstützen sowohl Grüne als auch FDP die Novemberhilfen trotz etwaiger Ungereimtheiten.
Gibt es Alternativen?
Merz spielt im Tagesspiegel-Interview auf den Ertrag als Bemessungsgrundlage an. Florian Toncar hält das allerdings für nicht praktikabel. „Schließlich liegt der Monatsgewinn nicht vor, und auch der Jahresgewinn für 2019 in vielen Fällen noch nicht“, der finanzpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. Auch Dullien gibt zu bedenken, dass eine Erstattung von entgangenen Gewinnen mit dem EU-Recht deutlich schwerer zu vereinbaren sei als eine pauschalisierte Kostenerstattung.
Langenmeyr wendet zudem zu ein, dass der Gewinn – gerade bei kleinen Unternehmen – nicht so einfach auf Monatsbasis ermittelt werden kann. „Ich würde dafür plädieren, den Betriebsüberschuss des Vorjahres, also den Umsatz abzüglich variabler Kosten, als Grundlage zu verwenden“, schlägt sie stattdessen vor. „Denn variable Kosten können bei temporären Schließungen eingespart werden.“
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Auch in der Grünen-Bundestagsfraktion hat man einen Alternativvorschlag. „Aus unserer Sicht wäre es zielgenauer, Selbstständigen und Kleinstunternehmen einen Unternehmerlohn in Höhe von 1200 Euro auszuzahlen und bei einer kompletten Betriebsschließung 100 Prozent der Betriebskosten zu erstatteten“, sagte die finanzpolitische Sprecherin, Lisa Paus, dem Tagesspiegel. Rein pragmatisch spricht allerdings viel für eine Fortführung der Novemberhilfen. „Man kann jetzt aber keine neuen Hilfs-Pferde satteln, sondern muss den gesattelten bis zu Ende reiten“, sagt etwa Michael Hüther. „Verwaltungstechnisch ist das nicht anders möglich.“
Fließt schon Geld?
Für alle Betroffenen sind das alles nur theoretische Debatten, denn bislang ist noch nicht einmal der Antrag für die Novemberhilfen möglich. „Erklärtes Ziel der Bundesregierung ist die Auszahlung erster Novemberhilfen noch in diesem Monat“, heißt es auf Nachfrage vom Finanzministerium. Die Programmierung des Antragsverfahrens für die Novemberhilfe sei bei dem beauftragten IT-Dienstleister bestellt worden. Noch arbeitet die Bundesregierung allerdings daran, die letzten Details mit der EU zu klären, die bei Staatshilfe für Unternehmen ein großes Wort mitzureden hat. Zahlungen bis zu vier Millionen Euro pro Unternehmen hat Brüssel inzwischen zugestimmt. Das macht über 90 Prozent der betroffenen Firmen aus. Zu höheren Beträgen laufen die Verhandlungen noch.
Langfristig ist allerdings andere Förderung nötig. So sprechen sich etwa Hüther und Toncar beide für eine Ausweitung des Verlustrücktrags im Sinne einer negativen Gewinnsteuer aus. Die größte Hilfe für die Firmen wäre aber wohl schlicht und einfach, wenn es keinen Lockdown mehr gäbe.
Thorsten Mumme