Chef des Außenwerbers JCDecaux: "Wir wissen, wie man mit Entscheidungsträgern umgeht"
Jean-François Decaux, Miteigentümer und Chef von JCDecaux, Weltmarktführer für Stadtmöbel und Außenwerbung, über Rabatte für Berliner Politiker, klamme Stadtkassen und Wartehäuschen mit USB-Anschluss
Herr Decaux. Ihre Marke Wall will auch künftig Berlins Stadtbild prägen dürfen. Was bedeutet der Ausgang der Wahl und der rot-rot-grüne Koalitionsvertrag für Sie?
Die Politik hat natürlich einen Einfluss auf unser Geschäft. Sie bestimmt den Rahmen der Verträge und wie die Stadtgestaltung aussehen soll. Doch wir arbeiten mittlerweile weltweit mit über 4000 Städten in 75 Ländern zusammen. Die Parteifarbe ist nicht entscheidend.
Sondern?
Die Inhalte! Ich hoffe, dass man im neuen Senat versteht: Das Kerngeschäft von Wall und JCDecaux ist weder der reine Verkauf von Wartehallen noch der reine Betrieb von Toilettenhäuschen. Wir sind ein Medienunternehmen, das den Städten Komplettlösungen anbietet, die über Werbung finanziert werden.
Und Sie haben den Wahlkampf mitfinanziert. Im Sommer konnte man lesen, dass Sie Landespolitikern besonders hohe Rabatte für Plakatwerbung gewährt haben.
Das ist ein böses Gerücht. Wir haben alle Parteien gleichbehandelt. Wir verabschieden immer zu Beginn eines Jahres, auch im Hinblick auf Wahlen, feste Rabattsätze. Und die haben sich im üblichen Rahmen bewegt. Es gab keine besondere Praxis in diesem Jahr.
Genießt Politik bei Ihnen höhere Rabatte als gewerbliche Kunden?
Nein.
In welchem Volumen gewähren Sie Rabatte?
Zwischen 5 und 50 Prozent.
Auf den Normalpreis für ein einzelnes Plakat?
Nein. Wir haben Preise für zu buchende Netze - und gestalten diese auch abhängig von Jahreszeiten. Wir haben im Sommer politische Parteien wie andere Großkunden behandelt.
Wirklich alle Parteien? Von Kommunisten bis zur NPD?
Es hängt natürlich auch immer von den Budgets ab, die zur Verfügung stehen. Wir haben Anfragen bearbeitet von der CDU, über die SPD bis zu den Grünen.
Es gab auch Berichte, Sie hätten Abgeordneten ungefragt hochpreisige Konzertkarten zugeschickt. Auch ein Gerücht?
Das können wir ebenso klar dementieren. Wir haben einen weltweit gültigen Compliance-Kodex im Unternehmen. Wir sind in Deutschland in mehr als 60 Städten unterwegs und wir wissen, wie man mit Verwaltung und Entscheidungsträgern umgeht. Wir verschicken daher garantiert keine hochpreisigen Konzertkarten ungefragt an irgendwen! Wie andere Anbieter am Markt dies handhaben, entzieht sich jedoch unserer Kenntnis.
In Leipzig konnten Sie im Mai einen neuen Vertrag unterschreiben. Die zuständige und parteilose Stadträtin wollte die Stadtmöblierung nach 25 Jahren Decaux an ein städtisches Unternehmen vergeben, wurde vom SPD-Bürgermeister aber überstimmt. (Hier Hintergrund bei der "Leipziger Volkszeitung") Wie haben Sie den überzeugt?
Wir waren die erste Firma, die in Städten der ehemaligen DDR - zum Beispiel Leipzig, Dresden und Rostock - nach der Wende massiv investiert hat. In Leipzig hatten wir im Februar 1990, also noch vor der Wiedervereinigung, die ersten Wartehallen vor der Thomaskirche aufgestellt und waren damit das erste sichtbare Zeichen des Wandels im Stadtbild. Wir haben in 25 Jahren als Partner der Stadt alle unsere Zusagen eingehalten.
Treue und Tradition. Das genügt?
Nein, die Ausschreibung dort war sehr schlecht konzipiert und brachte kein befriedigendes Ergebnis. Daher hat der Oberbürgermeister und der Stadtrat von Leipzig am Ende einstimmig beschlossen, unseren Vertrag um zweieinhalb Jahre zu verlängern, um eine bessere Ausschreibung aufzusetzen.
Wie nutzen Sie die Zeit?
Zum Beispiel haben wir uns darauf geeinigt, dass wir die digitale Außenwerbung in Leipzig ausprobieren - nach Städten wie New York und Berlin. Dann kann die Stadt für sich entscheiden, wie hoch der Anteil an digitaler Außenwerbung im Stadtbild sein soll.
Über diese Technologie sprechen wir noch. Aber vorher über Ihre Verträge mit dem Land Berlin.
Hier läuft der Straßenland-Vertrag Ende 2018 aus, die Verträge mit der BVG laufen noch bis 2020. Es gibt für uns zwei Kernfragen. Die erste: Welches Modell ist gewünscht? Wenn die Stadt mit Steuerzahlergeld die Möbel kauft und sich nur einen Partner für die Vermarktung sucht, entspricht das nicht unserem integriertem Geschäftsmodell. Wir stellen die Stadtmöbel gratis - und machen alles aus einer Hand. Das hat sich in 4000 Städten weltweit bewährt und hat dazu beigetragen, dass die Qualität der Außenwerbung enorm gestiegen ist.
Und Ihre zweite Frage an den Senat?
Ob er mehrere Lose ausschreibt, oder ob er größere Pakete schnürt.
Wo wäre das Problem bei vielen Losen?
Die machen es kompliziert und teurer. Auf Basis der Ende Oktober veröffentlichen Ausschreibung müssen wir aktuell von mindestens sieben Losen in Berlin ausgehen.
Welche sind das?
Eines für digitale und hinterleuchtete Werbung, eines für die klassischen Litfaßsäulen, noch eines für Uhren und eines für Mastenschilder. Die BVG führt derzeit eine Markterkundung durch, um mögliche Loszuschnitte zu erarbeiten. Wahrscheinlich sind ein Los für Wartehallen, eines für die Verkehrsmittelwerbung in Bussen, Trams und U-Bahnen und wohl noch ein Los für die Fahrgast-TV-Informationen, das sogenannte Berliner Fenster.
Je mehr Lose, desto mehr Einnahmen, denkt man in Rathäusern.
Stimmt, das ist in Deutschland derzeit ein Trend. Das Bundeskartellamt hatte vor fünf Jahren eine sogenannte Sektorenuntersuchung eingeleitet und den Städten eine Empfehlung ausgesprochen: In großen Städten mit mehr als 400.000 Einwohnern mindesten zwei Lose und in kleineren Städten: eines. Heute haben wir in Münster ein Los, in Hamburg drei. Und in Berlin künftig mindestens sieben? Das passt nicht.
Wenn es bei sieben Verträgen bleibt, wären sie raus?
Interesse an den Werbeaufträgen haben wir, natürlich. Bei den Toilettenaufträgen würden wir uns nicht mehr bewerben, wenn Werbung zur Refinanzierung dieses Service nicht mehr zugelassen wird. Wir sind kein reiner Toilettenbetreiber!
Decaux über Wartehäuschen - schlicht und mit High-Tech
Decaux ist in Berlin kaum bekannt, die Firma Wall, die sie übernommen haben, umso mehr. Senior Hans Wall ist als Stifter bekannt: Kirchensanierungen, Weihnachtsbeleuchtung, solche Dinge. Machen Sie das auch?
Hans Wall hat sein Unternehmen 1984 gegründet, nach den gleichen Prinzipien wie mein Vater 20 Jahre zuvor. Wall ist eine perfekte Kopie von Decaux gewesen. Das würde Hans Wall heute (lacht)… aber nicht zugeben.
Das stimmt.
Aber im Ernst: Was die Familie Wall für Berlin geleistet hat, entspricht zu 100 Prozent der Philosophie der Familie Decaux. Daher habe ich vorvergangene Woche (Mittwoch, 23.11., Anm.) mit dem Regierenden Bürgermeister Müller ja auch die Weihnachtsbeleuchtung, die wir mit rund 500.000 Euro pro Jahr finanzieren, in Gang gesetzt, so wie Daniel Wall im vergangenen Jahr und sein Vater in den Jahren zuvor. Wir setzen Traditionen fort und sind ein langfristiger Partner für Berlin.
Was verbinden Sie persönlich mit Berlin?
Meine Frau ist in Berlin geboren. Ich habe die Stadt erstmals 1982 besucht, zwei Jahre bevor Hans Wall seinen ersten Vertrag mit Berlin abgeschlossen hat. Hans Wall hatte damals gesagt: Decaux ist in Hamburg, Wall in Berlin. Das stimmte damals, aber nun sind wir zusammen. Berlin ist eine Weltmetropole, die mit London, New York und Paris zu vergleichen ist.
Welche Möbel haben die, die Berlin nicht hat?
Paris hat einige multifunktionale Wartehäuschen mit WLAN und USB-Anschlüssen, an dem Sie zum Beispiel Ihr Smartphone aufladen können.
Und New York?
Hat 3500 Wartehallen, alle im gleichen Design – aber ohne weitere Funktionen. Berlin hat derzeit 5000 Wartehallen und viele unterschiedliche Modelle. Will die BVG wirklich weiterhin eine Vielzahl unterschiedlicher Wartehallen? Wir glauben, dass wir - genau wie in Paris - den ÖPNV attraktiver gestalten können, indem wir den Fahrgästen auch während der Wartezeit sehr viele Funktionen anbieten.
Der Berliner Senat will das nicht?
So wie die Ausschreibung bisher konzipiert ist, entspricht sie nicht dem Geist der neuen Koalitionsvereinbarung. Berlin müsste so auf sehr viele Innovationen verzichten. Berlin hätte mit uns die Chance, eine echte Smart-City zu werden - und das nicht zu Lasten der Steuerzahler.
Auch mit öffentlichem Internetzugang?
Das hätte Berlin schon lange haben können. Jetzt startet man mit einem begrenzten Angebot im Umfeld öffentlicher Gebäude ohne großflächigen Ansatz. In Paris gibt es W-Lan im öffentlichen Raum, an den Champs-Élysées. Der neue Senat muss sich mit dieser Ausschreibung intensiv auseinandersetzen, damit Berlin einen Schritt vorwärts geht - und nicht zwei zurück.
WLAN, USB: Daniel Wall sprach vor zwei Jahren gar von beheizten Bushaltestellensitzen! Das alles kostet Geld. In einer Stadt, die keines hat.
Die Stadtkassen sind weltweit identisch: leer. Mehr oder weniger. Klar, braucht eine Stadt Einnahmen, zur Sanierung von Schulen, Straßen etc.. Aber es geht auch um die Produktivität auf der Straße. Wenn wir viele Dienstleistungen aus einer Hand erbringen, ist es am Ende für die Stadt günstiger.
Man kann sich Ihre 84-Zoll-Bildschirme an Bushäuschen an der Friedrichstraße anschauen. Aber wo ist der Mehrwert?
Der besteht darin, dass wir vielleicht auch mit dem Tagesspiegel ins Geschäft kommen können. Weil Sie schnell zum Beispiel Ihre aktuelle Titelseite oder Online-Nachrichten zeigen können. Auch die werbetreibende Wirtschaft hat auf die Möglichkeit der schnellen Aktualisierung lange gewartet.
Und was hat die Stadt davon?
Digitale Flächen bedeuten, dass wir die Zahl der Werbeflächen in der Stadt insgesamt reduzieren können, weil wir viel mehr Umsatz mit den einzelnen digitalen Flächen machen. Alle zehn Sekunden zeigen wir auf den Schirmen ein neues Motiv.
Aber wenn die Tafeln blinken und ständig Motive wechseln, lenken die doch ab im Straßenverkehr.
Diese Werbung blinkt nicht. Auch ablenkende Filme zeigen wir nicht. Es ist im Prinzip eine Weiterentwicklung des Plakat-Wechslers, den mein Vater vor 30 Jahren erfunden hat. Dort können wir alle acht Sekunden eines von drei bis vier Plakaten im Wechsel zeigen. Digital wechseln wir alle zehn Sekunden - können aber sehr viel mehr Motive einspielen.
Ist auch personalisierte Werbung denkbar? Eine Haltestelle, die anhand meines Handys erkennt, wer da steht.
Technisch ja. Aber individuelle Ansprache einzelner Personen ist nicht die Zukunft unseres Geschäfts. Wir bleiben ein Massenmedium. Was aber zunehmen wird, sind Anzeigen, die Werbung anhand der äußeren Umstände platzieren: abhängig vom Wetter oder einer Veranstaltungen in der Nähe zum Beispiel.
Wir schützen Sie Ihre Digitalplakate vor gelangweilten Jugendlichen?
Diese Screens installieren wir an sehr zentralen Langen einer Stadt, wo es belebt ist und der Vandalismus am geringsten ist. In London, wo wir bald 600 digitale Flächen aufgebaut haben, hatten wir bisher keinen einzigen Vandalismus-Fall.
In der Türkei ist Wall über den Tisch gezogen worden
Hans Wall hat 2009 seine Anteile an Sie verkauft. Sein Sohn Daniel zog sich vor knapp einem Jahr zurück. Wissen Sie, wie es den Herren geht?
Ich habe erst vor Kurzem eine eMail von Hans Wall bekommen. Ihm geht es gesundheitlich besser als vor Jahren. Zu Daniel Wall habe ich so gut wie keinen Kontakt mehr.
Haben Sie sich überworfen?
Nein. Ich habe mit Daniel fünf Jahre lang auf Augenhöhe zusammengearbeitet. Wir hatten natürlich immer mal wieder unterschiedliche Auffassungen. Aber ich habe nie den Umstand, dass wir bereits seit 2009 mehr als 90 Prozent der Firma kontrollierten, ausgenutzt, um ihn in irgendeiner Form unter Druck zu setzen. Ende 2015 haben wir Bilanz gezogen. Zum Beispiel hatten wir über Walls Engagement in der Türkei unterschiedliche Auffassungen.
Dort geht es heute drunter und drüber.
Die Türkei ist eigentlich ein attraktiver Markt, war aber schon vor dem Putsch ein Verlustgeschäft. Wall ist damals dort über den Tisch gezogen worden. Unsere Verträge in Istanbul und in anderen Städten sind ausgelaufen.
Warum ist die Türkei so schwierig?
Um dort Geschäfte zu machen, bräuchte man einen attraktiven Partner vor Ort. Den hat Wall in den 20 Jahren nicht gefunden.
Sie sind in 75 Ländern aktiv. Nicht alles sind lupenreine Demokratien. Wie gehen sie damit um?
Jeder Präsident, jeder Oberbürgermeister der Welt will eine schöne Stadt haben. Eine Stadt, die für Bürger und Touristen attraktiv ist. Deshalb passt unser Konzept global, unabhängig von einer politischen Struktur.
Ist es Ihnen eigentlich egal, welche Botschaften auf ihren Flächen gezeigt werden? Wenn „Tötet Israel“ auf Plakaten in Teheran steht?
Das ist eine hypothetische Frage, denn im Iran sind wir gar nicht im Geschäft. Aber wir versuchen generell immer, in Verträgen mit den Städten eine Klausel unterzubringen, die politische oder religiöse Botschaften untersagt. In Deutschland gilt das im Übrigen in jeder zweiten Stadt, die wir betreuen. Diese Klausel schützt unsere Neutralität. Wir leben schließlich davon, dass öffentliche Räume gesellschaftliche Räume sind..
Halten Sie hierzulande an der Marke Wall fest?
Alle Projekte in Deutschland laufen unter der Marke Wall. Sogar jetzt in Leipzig, wo wir 25 Jahre lang als JCDecaux präsent waren. Die Marke Wall hat ein sehr starkes und gutes Image.
Was wird aus dem Standort Berlin?
Zu dem stehen wir, wir beschäftigen hier über 500 Mitarbeiter. Schon 2009, vor der im Juli erfolgten Komplett-Verschmelzung unserer deutschen Gesellschaften, haben wir die JCDecaux-Leute aus Köln nach Berlin geholt. Denn Berlin ist die Metropole, die Start-up-Hauptstadt. Unsere Ingenieure und Entwickler sind hier am besten aufgehoben.
Ihre Zentrale hier platzt aus allen Nähten. Ziehen sie um?
Das ist derzeit nicht geplant. Und wenn sie die Bürosituation mit der in New York oder Paris vergleichen, haben die Kollegen hier noch sehr viel Platz. Aber wir prüfen, ob wir in dem Gebäude zwei weitere Etagen nutzen können.
Wie steht es um Ihre Fertigung für Stadtmöbel in Velten am nördlichen Stadtrand?
Auch der Standort bleibt und macht uns viel Freude. Dort werden derzeit die Stadtmöbel für San Francisco und Stockholm gefertigt. San Francisco, also die Hightech-Metropole der Welt schlechthin, lässt uns, nach 20 Jahren, jetzt wieder als Partner die öffentlichen Toiletten betreiben, refinanziert durch Werbung. Daran sollte sich Berlin ein Beispiel nehmen.
Das Interview führte Kevin P. Hoffmann
Die Person: Jean-François Decaux ist der Sohn von Jean-Claude Decaux, dem Gründer des französischen Außenwerbe- und Medienunternehmens JCDecaux. Ab 1982 baute er von Hamburg das Deutschlandgeschäft auf. Der heute 57-Jährige führt den Konzern im jährlichen Wechsel mit seinem Bruder Jean-Charles.
Zum Unternehmen: JCDecaux, gegründet 1964, ist Weltmarktführer für Stadtmöbel für Außenwerbung. Der börsennotierte Konzern mit Zentrale bei Paris beschäftigt 12850 Mitarbeiter und hat 2015 rund 3,2 Milliarden Euro umgesetzt. Seit 2009 hält Decaux die Mehrheit am einstigen Berliner Konkurrenten Wall.
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