Konzertveranstalter Peter Schwenkow: "Wir verkaufen das kleine Glück"
Welche Stars nicht versicherbar sind, warum Tickets so viel kosten und wann es in der Pause Sekt für alle gibt: Konzertveranstalter Schwenkow im Interview.
Herr Schwenkow, Sie haben in 40 Jahren Rockstars und Klassik-Größen auf die Bühne gebracht, nun holen Sie Professoren ins Rampenlicht. Sie nennen das „Medical Entertainment“. Was ist das?
Auch Wissenschaftler können unterhaltsam sein – und unser Ziel war es schon immer, Leute gut zu unterhalten. Das kann vom Sich-halbtot-Lachen bis zu ernsten, interessanten Themen gehen. Die Vermittlung von Wissen funktioniert leichter, wenn sie unterhaltsam ist.
Also mehr Hirschhausen auf der Bühne?
Eckart ist ein alter Freund. Er ist schon in jungen Jahren als Zauberer bei uns im Wintergarten aufgetreten. Wir gehen einen anderen Weg. Wir haben renommierte Buchautoren unter Vertrag genommen, die mindestens 300.000 bis 500.000 Bücher verkauft haben, oder Wissenschaftler, denen wir ein wenig Entertainment beibringen. So präsentieren sie ihre Botschaften leichter – und 1000 Zuhörer haben viel Spaß dabei. Anfang 2019 geht es los.
Weniger Rock'n'Roll, etwas mehr Ruhe auf Ihre „alten Tage“?
Wir lassen uns gerne etwas Neues einfallen, haben Spaß dabei und wachsen im Wettbewerb. 2018 werden wir mehr als 200 Millionen Euro Umsatz machen mit rund 4600 Veranstaltungen und fünf Millionen verkauften Tickets. In fünf Jahren sollen es jenseits von 300 Millionen Euro sein. Zugleich sind die Margen im Rock/Pop-Bereich schwach – es muss also etwas Neues hinzukommen.
Verdienen Sie mit Klassik mehr?
Dort sind die Margen besser, ja. Deshalb bauen wir den Bereich auch noch etwas aus. Einträglicher sind Family Entertainment und der Ausstellungsbereich, also die Harry-Potter-Ausstellungen oder den Christmas Garden, der dieses Jahr zum dritten Mal auch im Botanischen Garten in Berlin zu sehen ist.
Ist die Deag im internationalen Rock-Pop-Business zu klein?
Nein, aber im Rock-Pop-Geschäft ist die Konsolidierung abgeschlossen, mit einem Marktführer Live Nation, der mehr als zehn Milliarden Euro Umsatz macht. Wir verdienen hier weiter mit, glauben aber, dass wir die Konsolidierung im Bereich Family Entertainment oder Ausstellungen anführen können. Wachsen macht schon Spaß, wenn die Gelegenheiten da sind.
Sie haben 20 Millionen Euro mit einer Anleihe aufgenommen. Wohin mit dem Geld?
Wir prüfen vier Veranstalter, die es gerne sähen, wenn wir uns beteiligen würden. Es gibt eine Menge Wettbewerber, die aus meiner Generation stammen und nun verkaufen wollen. Deren Kinder sind häufig im Unternehmen aktiv, eine Übernahme würde den Generationenwechsel absichern. Gibt es etwas Schöneres?
Haben Sie Angst vor dem Brexit? In Großbritannien ist die Deag mit 100 Millionen Pfund zweitgrößter Veranstalter.
Nein. Wir haben kein Problem mit Zöllen und Ausfuhren, unsere Künstler können sich frei bewegen. Und den Pfund-Kurs haben wir abgesichert. Wir verkaufen ja das kleine Glück. Und das funktioniert besonders gut, wenn die allgemeine Stimmung nicht so gut ist.
Warum sind Tickets eigentlich so teuer und gleichzeitig Ihre Margen mager?
The artist takes it all. Künstler wie Kiss, Brian Ferry oder Slayer können sich ihren Veranstalter in der Regel aussuchen und bekommen 90 Prozent von dem, was bei einer Tour verdient wird. Der Rest sind Kosten: Bühnenbau, Security, Marketing, Gema-Gebühren und die Hallenmiete. Eine große Halle kostet leicht 100.000 Euro. Die Marge bleibt gering. Damit kann man nur langsam wachsen.
Können Sie beim Ticketverkauf nicht cleverer an der Preisschraube drehen, wie die Fluggesellschaften zum Beispiel?
In eine Halle gehen bei einem Konzert 10.000 Leute, nicht 10.001. Der Druck liegt also auf dem einen Tag des Konzerts. Wenn Sie nach New York fliegen wollen, können Sie zur Not eine andere Gesellschaft, eine andere Zeit oder den nächsten Tag nehmen. Elton John kommt aber erst in zwei Jahren wieder. Wenn ihn heute schon 20.000 Fans sehen wollen, entsteht ein extremer Preisdruck.
Auf dem Schwarzmarkt.
Genau. Bei teils höchst unseriösen Anbietern, die wir bekämpfen, auf einem Markt, der weltweit rund zehn Milliarden Euro groß ist. Deshalb ist klar, dass es in naher Zukunft dynamische Preise wie bei den Flugtickets auch bei uns geben wird. Wir passen die Preisfindung an die Nachfrage an. Wer sein Ticket früh kauft, wird belohnt.
Die Zahlungsbereitschaft für Musik generell ist stark gesunken. Spüren Sie das?
Im Gegenteil. Live ist live. Wir sind das moderne Lagerfeuer, an dem man Gleichgesinnte und Freunde trifft. In Korea sitzen die Menschen am Tag sechs Stunden vor dem Computer – und gleichzeitig ist der Live-Entertainment-Markt fantastisch groß. Irgendwann will man mal raus und richtige Menschen treffen, im Zweifel welche, die man gut findet. Übrigens sind wir auch das bessere Parship. Konzerte sind wunderbare Gelegenheiten, eine Frau oder einen Mann mit den gleichen Interessen kennenzulernen. Wir brauchen dafür keinen Algorithmus.
Lang Lang hatte eine Sehnenentzündung oder David Garrett einen Bandscheibenvorfall. Wie teuer war das für Sie?
Gar nicht! Wir sind immer versichert. Die Kunden sollen ihr Geld zurückbekommen, wenn ein Konzert ausfällt. Und wir müssen das Unternehmen schützen, wenn eine Tournee nicht stattfinden kann. Das war im Fall der beiden Künstler zum Glück nicht so. Anders 1990 bei Leonard Bernstein. Er starb zehn Tage vor einer großen Orchestertournee. Das war ein gigantischer Versicherungsschaden.
Wie hoch sind da die Summen? Wie versichert man Sex, Drugs and Rock'n'Roll?
Die Risiken liegen bei normalen Hallenkonzerten leicht bei 500.000 bis einer Million Euro. Um das versichern zu können, brauchen Sie ein ärztliches Attest des Künstlers. Ist Sex, Drugs and Rock'n'Roll im Spiel, wird das nichts mit der Police.
Auch nicht, wenn – wie bei der Deag – die Allianz zehn Prozent der Aktien hält?
Auch dann nicht. Jeder macht sein Geschäft. Es gab Künstler, die wie Luciano Pavarotti in den letzten Jahren gar nicht mehr versicherbar waren, weil die Hälfte seiner Konzerte ausfiel. Andere schaffen es noch gerade so bis zur Pause.
Und wann zahlt die Versicherung?
Die muss nur zahlen, wenn es nach der Pause nicht weitergeht. Eine Arie reicht. Dann haben die Gäste nicht mehr das Recht, Ihr Geld zurückzufordern. 50,1 Prozent der Leistung muss erbracht werden. Als vor Jahren bei einem Opernabend mit Anna Netrebko und Rolando Villazon letzterer erkrankte, sprang Ramon Vargas ein. Weil wir Sorge hatten, dass sich das Publikum Netrebko anhören und nach der Pause die Tickets zurückgeben würde, haben wir mit der Versicherung telefoniert und angekündigt, dass wir die Leute in der Pause bei Laune halten. Der Dirigent trat also auf die Bühne und rief: „In der Pause: Sekt für alle.“ Die Versicherung hat uns dann 2500 Gläser Sekt bezahlt – und es wurde ein beschwingter Abend, ohne dass viele Tickets zurückgegeben wurden. So verhindert man Versicherungsschäden.
Sind Sie vorsichtiger geworden? Die Pleite der Musicalfirma Stella, die damals die Deag übernommen hatte, hätte Sie Ende der 90er fast untergehen lassen.
Wir machen heute lieber kleine Schritte. Wir probieren etwas aus. Mal funktioniert es, mal funktioniert es nicht.
Sie waren zwischenzeitlich am Ende?
Es war eng, aber wir waren nicht am Ende. Die Deag ist 40 Jahre alt. Es gibt keinen Veranstalter, der so lange überlebt hat. Wir haben noch die gleiche Bankverbindung, ich bin noch Vorstandschef. Entscheidend ist, was unter dem Strich steht.
2001 stand da fast nichts mehr.
Ich kann diese Stella-Geschichte ehrlicherweise nicht mehr hören. Es gibt uns seit 40 Jahren, wir haben überlebt.
Wäre es anders, würden wir auch nicht über Stella reden können.
Ich habe damals mein privates Vermögen, die Oldtimer-Sammlung, zwei Häuser etc. verpfändet und persönlich fast 50 Millionen D-Mark Schulden übernommen. Viele andere, die wie wir am Neuen Markt viel Geld eingenommen haben, liegen schon lange braun gebrannt in der Sonne und lachen sich tot über mich, der offensichtlich ein anderes Verständnis von Unternehmertum hatte und hat.
Hat diese kapitale Bauchlandung den manchmal großspurigen Peter Schwenkow der 2000er-Jahre demütig gemacht?
Wenn du mit dem Rücken am Abgrund stehst und vorne bedroht dich einer mit dem Revolver und du überlebst trotzdem – dann kann einen so schnell nichts mehr erschrecken. Aber eine solche Situation will man auch nie wieder erleben. Mit 64 wird man ohnehin ruhiger.
Gehen Sie nächstes Jahr in Rente?
Ich will nicht in den Stiefeln sterben, wie man in der Konzertbranche sagt. Ich kümmere mich schon heute nicht mehr um alle operativen Details. Aber mein derzeitiger Vertrag läuft bis 2020, irgendwann würde ich gerne in den Aufsichtsrat wechseln, aber jetzt will ich das Wachstum noch aktiv begleiten. Wir haben die besten fünf Jahre vor uns. Es tut einem Unternehmen dann vielleicht auch gut, wenn der Chef nach 43 Jahren in die zweite Reihe tritt.
Vorstellbar, dass Sie noch einmal in die Politik gehen?
Nein. Ich zehre davon noch ein wenig und bin noch ein gefragter Ratgeber der CDU. Mehr nicht.
Wäre AKK Ihre Kandidatin gewesen?
(Schweigt)
Nächste Frage?
Ja.
Ihr bestes Konzert?
Barbra Streisand, 2007. Ihr erstes Konzert in Deutschland, in der Waldbühne. Dazu muss man wissen, dass die Jüdin Streisand niemals in Deutschland spielen wollte. Dann tat sie es doch: In der zur Eröffnungsfeier der Nazi-Olympiade 1936 erbauten Waldbühne in Berlin.
Die geschäftstüchtigste Band?
Die Rolling Stones. Nicht, weil sie am meisten Geld verdienen. Sondern weil sie das Versprechen, das mit dem Verkauf einer Eintrittskarte gegeben wird, immer erfüllt haben. Wenn Sie einen Föhn kaufen, hat er die versprochene Leistung – und wenn nicht, haben Sie eine Garantie. Bei einem Konzert zahlen Sie im Voraus, ohne zu wissen, wie gut der Künstler drauf ist. Die Stones haben immer geliefert.
Peter Schwenkow (64) ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Entertainment AG (Deag), die seit 1998 an der Börse notiert ist. Die Deag ist mit einem Jahresumsatz von 200 Millionen Euro einer der weltweit zehn größten Konzertveranstalter. Der gebürtige Hamburger Schwenkow gründete 1978 nach einem abgebrochenen Studium der Werbe- und Kommunikationswissenschaften in Berlin die Konzertagentur Concept Concert. Im Jahr 2000 übernahm er sich mit dem Kauf der später insolventen Musical-Gruppe Stella. Unter Einsatz seines privaten Vermögens überlebte die Deag. Von 2006 bis 2011 saß Schwenkow für die CDU im Berliner Abgeordnetenhaus.