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Viele Straßenmusiker wie hier an der Berliner Oberbaumbrücke leben am Existenzminimum.
© Paul Zinken/dpa

Agenda Musikwirtschaft: Was soll Musik heutzutage kosten?

Bei der ersten „Agenda Musikwirtschaft“ im Tagesspiegel diskutieren Manager, Lobbyisten und Politiker über Streamingdienste, Urheberrecht und Breitenförderung.

Hätte ein Song wie „Locomotive Breath“ von Jethro Tull aus dem Jahr 1971 heute noch eine Chance, ein Hit zu werden, mit seinem langen und verspielten Klavierintro? Die Streaming-Technologie – darüber gibt es Untersuchungen – verändert nicht allein den Markt, sondern auch die Musik selbst. Im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit zählt vor allem die erste halbe Minute eines Songs, schlagen die catchy bits zu Buche. Oder eben nicht.

Jethro Tulls Dampflok ist ein Klassiker, Zukunftsmusik spielt woanders. Keine Branche kann sich der Digitalisierung entziehen, in der Musikwirtschaft und in den Medien sind die Neuerungen besonders stark. Das hat ökonomische, juristische, künstlerische und gesellschaftspolitische Konsequenzen: viel Zoff, viel Stoff für den vom Tagesspiegel veranstalteten ersten Gipfel der deutschen Musikwirtschaft.

Vertreter von 15 Verbänden trafen am Donnerstag aufeinander – und auf die Politik. Das hat es so noch nicht gegeben, sagt Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff. Aber schließlich geht es um die Zukunftsfähigkeit dieses Teils des Kreativwirtschaft. Und natürlich sind auch Tageszeitungen vom notwendigen Wandel erfasst. Tagesspiegel-Herausgeber Sebastian Turner verweist auf die politische Weltlage, in der jetzt die schnelle Veränderung die einzige Konstante ist. Weshalb auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters und Christiane Wirtz, Staatssekretärin im Bundesministerium der Justiz und Verbrauchersschutz, sogleich nach ihren Vorträgen das Verlagshaus am Askanischen Platz verlassen. Der Streit um die Flüchtlingspolitik muss beigelegt werden, die Union zerlegt sich gerade. Eine solche Regierungskrise hat das Land seit Jahrzehnten nicht erlebt.

Die Musikbranche hat eine gesellschaftliche Verantwortung

Doch auch in der Welt der Musik geht es selten um das Schöne und Wahre. Grütters gibt sich kämpferisch. Sie will die „Vielfalt des musikalischen Schaffens und Angebots“ erhalten. Der massive Strukturwandel der letzten 20 Jahre dürfe die Musik als Kulturgut nicht angreifen. Deshalb „begrüßt“ sie auch noch einmal das Aus für den Echo. Rein wirtschaftliche Kriterien – gut ist, was sich gut verkauft – könnten nicht der Maßstab sein, einen Preis zu vergeben. Und wenn Opfer des Holocaust verhöhnt werden wie im Song von Kollegah und Farid Bang, ist für sie die Grenze der Kunstfreiheit erreicht. An die Musikwirtschaft richtet Grütters den Appell, sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu stellen, wenn es um frauenfeindliche und homophobe Texte geht – und ihre Verbreitung auf Schulhöfen. Frauen hätten es in der Musikbranche ohnehin schwer, in Führungspositionen zu kommen.

Künstler, Kunden, Musikwirtschaft und die IT-Branche: Zwischen diesen vier Gruppen hat das Urheberrecht zu vermitteln, das fast täglich vor neuen Herausforderungen steht. Staatssekretärin Christiane Wirtz ist allerdings optimistisch: Immer mehr großartige Musik sei für immer mehr Menschen verfügbar. Und oft auch für wenig oder gar kein Geld. Viel verspricht sich Wirtz von einem digitalen europäischen Binnenmarkt, in dem sie kleine Start-Ups von den EU-Richtlinien zum Urheberrecht geschützt sehen will. Auch Google und Co., die US-Riesen, haben mal in der Garage angefangen.

Eine klare Absage an Ausnahmen für Start-Ups gibt es gleich im Anschluss beim Panel zur „Regulierung von Online- Plattformen“. Hier ist ausschließlich Youtube gemeint. Vor eineinhalb Jahren ist das traurige Emoji aus dem deutschen Angebot des Dienstes verschwunden. Zahlreiche zuvor gesperrte Musikvideos konnten endlich abgerufen werden, weil sich der Mutter-Konzern Google mit der Verwertungsgesellschaft Gema auf ein Vergütungsverfahren geeinigt hatte.

Youtube entrichtet zu niedrige Gema-Beiträge

Aus der Sicht der Nutzerinnen und Nutzer ist seither alles gut, aber die Gema, die Musikwirtschaft und die Kreativen sind längst nicht zufrieden. Nach Einschätzung von Florian Drücke vom Bundesverband Musikindustrie entrichtet das mit monatlich über einer Milliarde Nutzern beliebteste Streamingmedium Youtube gerade mal einen „Obulus“ für die Inhalte. Zahlt Spotify noch 20 Euro pro Nutzer und Jahr, ist es bei Youtube lediglich ein Euro. Dieser beträchtliche „Value Gap“ müsse geschlossen werden.

Auch für den Gema-Vorstandsvorsitzenden Harald Heker ist gerade Youtube dafür verantwortlich, dass es „um die Verteilungsgerechtigkeit im Netz schlecht bestellt ist“. Bei den Urhebern der Musik komme zu wenig an. Ihre Kreativität werde mittels eines parasitären Geschäftsmodells ausgebeutet. Denn Youtube sehe keine rechtliche Verpflichtung, die Musikerinnen und Musiker angemessen zu entlohnen, auch die Einigung mit der Gema kam auf freiwilliger Basis zustande.

Youtube selber ist beim Gipfel leider nicht vertreten, doch die Position des Dienstes ist bekannt. Er definiert sich als reiner Host-Provider, als neutrale technische Plattform. Die Verantwortung für die Inhalte – also auch die Lizensierung von urheberrechtlich geschützter Musik – liegt nach Youtube-Verständnis bei den Nutzerinnen und Nutzern, die dort etwas hochladen. Und nicht bei der Plattform.

Der digitale Binnenmarkt hofft auf EU-Richtlinien

Das will auf dem Podium niemand gelten lassen. Auch Micki Meuser vom Deutschen Komponistenverband spricht von einer „aktiven Rolle beim Einstellen von Inhalten“. Er bemängelt das Fehlen einer Rechtsgrundlage für eine faire Beteiligung an den Erträgen. Die Redner hoffen deshalb auf eine neue EU-Richtlinie zum Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt, die derzeit erarbeitet wird. Nach Einschätzung der Münchner Rechtsexpertin Agnès Lucas-Schloetter wird die Richtlinie Klarheit bringen. Aber schon aus der bisherigen Rechtsprechung könne man ablesen, dass es auch auf eine zwischen Nutzern und Plattform geteilte Verantwortung für die Inhalte hinauslaufen kann.

Man kann , wie Sebastian Turner, von einem „historischen Tag“ sprechen, an dem auch noch die Fußball-WM in Russland angepfiffen wird.  Der Seehofer-Merkel-Streit führt dazu, dass die Musikwirtschaft ihre Ideen und Forderungen in einigen Themenrunden nicht wie geplant direkt an die Politik adressieren kann. Die geladenen Bundestagsabgeordneten sind am Donnerstag in den Fraktionen und Parteizentralen unverzichtbar, deshalb fehlen nun etliche in den Expertendiskussionen des Musikgipfels. Der Ruf nach Gesetzesreformen und Bürokratieabbau wird sie dennoch erreichen. Denn schon die beim Thema „Steuern und Abgaben“ skizzierten Szenarien tragen absurde Züge.

Tagesspiegel-Herausgeber Sebastian Turner, Jens Michow (Bundesverband Veranstaltungswirtschaft), Kulturstaatsministerin Monika Grütters, Christiane Wirtz, Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, und Dieter Gorny von der Initiative Musik.
Tagesspiegel-Herausgeber Sebastian Turner, Jens Michow (Bundesverband Veranstaltungswirtschaft), Kulturstaatsministerin Monika Grütters, Christiane Wirtz, Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, und Dieter Gorny von der Initiative Musik.
© S. Aschenkersbaumer

Beispiel Doppelbesteuerung: Wer im Ausland gastiert oder hierzulande als ausländischer Künstler auftritt, muss zwar nicht unbedingt in zwei Ländern Steuern zahlen. Aber die in bilateralen Abkommen vereinbarten Freistellungs- oder Anrechnungsregelungen sind dermaßen kompliziert und langwierig, dass so mancher es lieber gleich lässt.

Beispiel Künstlersozialversicherung, eine der Errungenschaften der Kulturnation, einzigartig in der Welt: Monika Grütters betont, diese müsse immer wieder aufs Neue verteidigt werden. Aber die Ermittlung der konkreten Abgabenhöhe seitens der Verwerter erfordert einen unverhältnismäßigen bürokratischen Aufwand – samt Offenlegung der Bücher auch von Seiten internationaler Partner.

Viele Künstler können von ihrer Musik kaum leben

Beim Beispiel Gewerbesteuer wird es vollends kafkaesk, wie Johannes Kreile vom Verband der Deutschen Konzertdirektionen mit gehörigem Temperament vorträgt. So wie der Staat ein Unternehmen für angemietete Warenlager als Teil des Anlagevermögens besteuert, tut er dies auch bei der stundenweisen Anmietung eines Saals wie der teuren Elbphilharmonie. Das verstehe, wer will.

Und es toppt die ohnehin knifflige, von UdK-Präsident Martin Rennert nachdrücklich formulierte Frage: Wem gehören in Zeiten des Open Access eigentlich die Rechte an einer Musik, die auf einem öffentlich subventionierten Stuhl komponiert und von einem subventionierten Orchester in einem öffentlich finanzierten Konzertgebäude aufgeführt wird? Doch irgendwie trotzdem dem Komponisten, oder nicht?

Und dann ist da natürlich noch die Frage, wie es Künstler schaffen können, von ihrer Kunst auch zu (über)leben? Den Literaten hilft in Deutschland die Buchpreisbindung, der Film wird pro Jahr mit 350 Millionen Euro gefördert, rechnet Dieter Gorny vor. Die von ihm geleitete „Initiative Musik“ dagegen muss mit drei Millionen auskommen. Das reicht hinten und vorne nicht. Eine Erhöhung auf 15 Millionen Euro pro Jahr fordert darum Desirée Vach vom Verband unabhängiger Musikunternehmen. Um beispielsweise jenen Mini-Labels zu helfen, die für 80 Prozent aller Neuveröffentlichungen hierzulande sorgen.

Die Kulturpolitik muss auch die Nischen pflegen

Und wäre es nicht auch eine tolle Fördermaßnahme für die Fläche, fragt Karsten Schölemann von der „Live Musik Kommission“, wenn die Graswurzelarbeit der 1500 kleinen Clubs finanziell unterstützt würde? Jährlich finden bundesweit 50 000 Konzerte mit jeweils maximal 150 Besuchern statt, mit denen sich verständlicherweise kaum Geld verdienen lässt. Die für Newcomer oder Nischen-Ensembles aber extrem wichtig sind. Mit 100 Euro pro Veranstaltung und weiteren 100 Euro für die Künstler ließe sich da viel Druck von den Schultern der Macher nehmen.

Lärmschutz, bezahlbare Proberäume in sich immer mehr verdichtenden Großstädten, vom Artenschutz gedrückter Instrumentenhandel, überall Probleme. Bei der Schlussabstimmung – nicht im Bundestag, sondern beim Tagesspiegel – sieht sich die Branche selbst als zukunftsfähig, mit vier von fünf möglichen Punkten. Zu Beginn des Gipfels war es etwas weniger.

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