Trump und die deutsche Wirtschaft: „Wir machen nicht Pfötchen vor Trump“
Arndt Kirchhoff, Unternehmer und Arbeitgeberfunktionär, über Trumps Politik, die Autoindustrie und die Arbeitszeit der Zukunft.
Herr Kirchhoff, wie sehr besorgt Sie das Tohuwabohu, das Donald Trump derzeit veranstaltet?
Ein bisschen verwirrt bin ich schon. Das passt ja auch nicht zusammen, was er da macht, und sieht nach Aktionismus aus. Grundsätzlich hoffe ich auf das Umfeld des neuen Präsidenten.
Ein Adressat von Trumps Ankündigungen und Drohungen ist die Autoindustrie, zu der auch Ihr Unternehmen gehört.
Die deutschen Autohersteller haben einen Marktanteil in den USA von sieben Prozent, die amerikanischen Unternehmen haben einen doppelt so hohen Anteil bei uns. Zölle auf beiden Seiten würden also vor allem die Amerikaner treffen.
Zu den US-Firmen zählen Sie aber auch Opel und die Ford-Werke, die hierzulande produzieren.
Ja, wir produzieren aber auch in den USA. Das größte BMW-Werk steht nicht in Bayern sondern in South Carolina, um nur ein Beispiel zu nennen. Die deutsche Autoindustrie baut jedes Jahr rund 850 000 Autos in den USA.
Und Ihr Unternehmen?
Wir sind zu 45 Prozent in Europa, zu 45 Prozent in Nordamerika und zehn Prozent im Rest der Welt tätig. Alle großen Zulieferer haben Werke in den USA. Rund 75 Prozent des Autos stammen von den Zulieferern. Wir machen Teile in den USA für Mexiko und umgekehrt. Es gibt einen GM-Pickup, der wird in Mexiko, in den USA und in Kanada gebaut. Allein für diesen Pickup liefern wir Teile im Wert von 250 Millionen Dollar, und zwar in alle drei Länder. Wenn man da irgendwo Zölle draufschlägt oder Handelsbeschränkungen einführt, dann gibt das ein riesiges Theater. Am Ende wird das Auto teurer, auch für Trumps Wähler.
Die Komplexität von Wertschöpfungsketten versteht der Präsident offenbar nicht.
Dann muss ihm das mal jemand erklären. Mich hat gewundert, wie die drei großen amerikanischen Autohersteller auf den Druck reagiert haben nach dem Motto „Pfötchen hoch“. Wir haben das so nicht gemacht, auch BMW nicht.
Spüren Sie beziehungsweise Ihre Firma noch keine Auswirkung der neuen Politik?
Nein, die Stimmung in unserer Industrie ist gut. Uns geht es ja auch gut, der Export ist stark, der Arbeitsmarkt und die Nachfrage auch. Und die Amerikaner brauchen uns. Dort investieren wir zurzeit in neue Pressen, die gibt es aber in den USA nicht zu kaufen, sondern nur hier in Deutschland. Und das gilt für viele Maschinen. Wenn Trump sein Land auf Vordermann bringen will, dann braucht er dafür den deutschen Maschinenbau und die Elektroindustrie.
Und damit kann er die US-Industrie wieder aufbauen?
Die größten Probleme liegen in der Bildung und Ausbildung. In Amerika gibt es kein Ausbildungssystem und keine Facharbeiter.
Haben Sie Probleme, in den Staaten gute Leute zu kriegen?
Ja klar, die gibt es dort nicht. Die muss man sich selbst ausbilden in eigenen Lehrwerkstätten; am Markt findet man die nicht. Hier müsste Trump ansetzen: Eine Bildungsoffensive für die Schulen und die Facharbeiterausbildung. Es ist jämmerlich, mit welchem Wissen die jungen Leute aus der amerikanischen Schule kommen.
In Deutschland bekommen Sie ausreichend Azubis und Fachkräfte?
Es ist schwierig, weil wir mit fast 44 Millionen Beschäftigten annähernd Vollbeschäftigung haben. Ich hoffe jetzt auf die Digitalisierung, dann können wir Tätigkeiten über die Automatisierung ersetzen. Und wir müssen Zuwanderung steuern, um die Leute, die wir nicht haben, ins Land zu holen. In den Jahren nach der Finanzkrise hatten wir Glück, weil viele junge Menschen aus Südeuropa zu uns gekommen sind.
Was passiert beim Thema Digitalisierung in Ihrem Unternehmen?
Wir sind ja im Laufe der Jahrzehnte ein sehr teures Land geworden, das bestreiten auch die Gewerkschaften nicht. Wir müssen so viel besser sein, wie wir teurer sind auf den Weltmärkten, und die Digitalisierung gibt uns jetzt die Möglichkeit, nochmal einen Sprung nach vorne zu machen. Dafür machen wir zum Beispiel Workshops auch mit der IG Metall: Was wird anders bei der nächsten Maschinengeneration, was fällt weg, wie müssen wir qualifizieren. Und dann schauen wir uns an, welche Freiheitsgrade entstehen, um den individuellen Wünschen der „Generation Y“ gerecht zu werden.
Also mehr Freiheit für den Einzelnen?
Ja, ein digitalisierter Betrieb kann neue Möglichkeiten schaffen, ich muss nicht mehr unbedingt am Arbeitsplatz sein. Die Maschinen kann ich auch überwachen, wenn ich mich um die Kinder kümmere oder einkaufen bin. Dazu denken wir uns Lebensarbeitszeitmodelle aus.
Wie können die aussehen?
Wir brauchen so etwas wie Module über die Lebensarbeitszeit verteilt, zum Beispiel für Ausbildung und Weiterbildung, Kinder, Altersteilzeit und ältere Angehörige. Diese Module müssen so gestaltet werden, dass man mal Zeit oder Geld spart und dann darauf zurückgreifen kann. Wichtig ist dabei, dass die Menschen ein stetiges Einkommen haben – unabhängig von der Arbeitszeit. Das haben wir ja bei den Arbeitszeitkonten schon hingekriegt: Die Arbeitszeit schwankt, aber der Lohn bleibt stabil. Mit der Digitalisierung können wir noch weiter gehen.
Arbeiten wir kürzer oder länger? Was wird aus der 35-Stunden-Woche?
Die Arbeitszeitdauer ist in Abhängigkeit von den Lebensphasen der Mitarbeiter mit dem Betrieb bedarfsgerecht zu vereinbaren. Sie kann dann mal kürzer, mal länger sein – oder gar nicht anfallen. Entscheidend ist, dass das verstetigte Einkommen auch weiterhin auf Basis der 35-Stunden-Woche ermittelt wird.
IG Metall-Chef Hofmann will Zeitspielräume im Tarif durchsetzen: „Jetzt sind die Beschäftigten dran.“
Als Gewerkschafter muss er das so sagen. Wir loten das jetzt gemeinsam aus und versuchen dabei Systeme zu entwickeln, die auch den Bedarf der Betriebe berücksichtigen. Wenn uns das gelingt, zeigen wir, dass die Tarifpartner auch die neue Arbeitswelt mitgestalten können. Die Tarifautonomie wäre dann kein Auslaufmodell. Und der Flächentarif erwiese sich als flexibler Ordnungsrahmen.
Wir stark verändert die Digitalisierung die Arbeit?
Natürlich haben wir weniger Leute in der Produktion und mehr in der Steuerung, Überwachung und Verwaltung. Das ist auch ganz gut so, denn die Produktionsarbeitsplätze sind hier zu teuer, die gibt es eher bei unseren osteuropäischen Nachbarn. Die einfache Arbeit, die wir nicht so gut bezahlen, werden wir los. Gleichzeitig müssen wir unsere Leute so qualifizieren, dass sie höherwertige Tätigkeiten machen können. Wir sehen das in Nordrhein-Westfalen: Der Arbeitsplatzaufbau hier findet im Angestellten- und Dienstleistungsbereich statt, gleichzeitig gibt es einen Abbau in der Industrie.
Können alle gewerblichen Arbeiter höherwertige Tätigkeiten ausführen?
Wir müssen unseren Leuten mehr beibringen, ganz klar. Nur mit 2000 Volt im Arm kommt man nicht mehr weit.
Sind wir da, auch im Mittelstand, auf gutem Wege?
Ich denke ja. Digitalisierung macht uns stärker und wettbewerbsfähiger. Wenn man sich Ost- oder Südwestfalen ansieht, Teile Sachsens oder den Südschwarzwald, da haben gerade auch die kleinen Firmen sich immer wieder neu erfunden und den Wandel gestaltet. Wir müssen natürlich schneller werden in der Schule. Schüler müssen digital lernen. Dazu brauchen wir Lehrer, die das vermitteln können.
Wie ist die Qualität der Schulen in NRW?
Nicht besser und nicht schlechter als in den meisten anderen Bundesländern. In Bayern und Baden-Württemberg sind allerdings die Schulen besser ausgestattet – und es fällt weniger Unterricht aus. Wo viele Menschen auf einem Fleck leben und wo der Anteil von Migranten sehr hoch ist, wie in Duisburg oder Essen, da ist es schwieriger.
Warum hängt NRW bei den Wachstumszahlen hinten dran?
Wir haben kein Erkenntnisdefizit, sondern eine Umsetzungsschwäche. In NRW gibt es die meisten Mittelständler in ganz Deutschland. Wir haben die komplette Wertschöpfungskette, von der Stahlindustrie bis zum Endprodukt, und eine Hochschullandschaft, die ihresgleichen sucht. Alles in allem also hervorragende Voraussetzungen.
Aber?
Jedes Politikressort macht hier was es will. Zum Beispiel der grüne Umweltminister, der von 2030 an Autos mit Verbrennungsmotoren verbieten will. Das ist natürlich Wahnsinn. Und was Genehmigungen anbelangt, haben wir in NRW die strengsten Regeln. Wenn die Ministerpräsidentin sagt, wir wollen ein Industrieland bleiben und kein Naturschutzreservat werden, dann muss sie sich entsprechend verhalten und die Politik koordinieren.
Wie hoch ist der Industrieanteil in NRW am Bruttoinlandsprodukt?
In Westfalen geht das bis 48 Prozent, nur auf der Schwäbischen Alb und im Südschwarzwald gibt es so viel Industrie. Im Ruhrgebiet dagegen sind wir unter zehn Prozent. Deshalb brauchen wir unterschiedliche Rezepturen für die einzelnen Regionen. Zum Beispiel Digitalisierung und Smart City: Wenn man eine Modellregion schaffen will, dann bietet sich mit dem Ruhrgebiet die am stärksten besiedelte Region Europas an. Dafür muss ich als Landespolitiker dann aber auch Gas geben. Unter anderem in Berlin.