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Seit 1902 werden in Marienfelde Motoren gebaut. Das Werk ist der älteste Standort im Daimler-Konzern.
© imago/Jürgen Heinrich

Berliner Mercedes-Werk in Gefahr: „Wir lassen uns nicht abwracken“

Die Mercedes-Beschäftigten kämpfen um die Zukunft des Motorenwerks in Marienfelde mit 2500 Mitarbeitern. Was kommt nach dem Verbrenner?

Einen Großteil seines Lebens hat Michael Rahmel im Mercedes-Werk Marienfelde verbracht. 1974 begann er die Ausbildung zum Maschinenschlosser. „Es gab sogar Zeiten, da hat es Spaß gemacht auf der Arbeit“, sagt Rahmel, inzwischen 62 Jahre alt. Dieser Herbst gehört nicht zu diesen Zeiten. „Die Stimmung ist katastrophal“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Rahmel. „Vor allem die jungen Kollegen haben Angst, dass es nicht mehr weitergeht.“ In der Konzernzentrale in Stuttgart war im Spätsommer entschieden worden, kein Geld mehr in den Verbrennungsmotor stecken zu wollen – und damit in das Berliner Werk. Nach dem Stammsitz in Untertürkheim ist Berlin mit 2500 Beschäftigten das größte Motorenwerk im Konzern. Und der älteste Standort überhaupt: Seit 1902 werden in Marienfelde Antriebe produziert. Aber wie lange noch?

Proteste legen das Werk lahm

Das Werk stellt derzeit Komponenten her „mit Technologien zur Verminderung von CO2-Emissionen“, wie Stuttgart formuliert. Dazu gehört unter anderem die Motorsteuerung Camtronic. „Für dieses variable Ventilverstellsystem fungiert der Standort als Kompetenzzentrum im weltweiten Powertrain-Produktionsverbund“, heißt es bei Daimler. Das ist in ein paar Jahren Geschichte. Dagegen gehört die „Montage eines elektrischen Antriebsmoduls für Fahrzeuge der Produkt- und Technologiemarke EQ“ zu den Bereichen des Berliner Werks, die die Transformation überleben dürften. Das reicht aber nicht aus, um den Großteil der Arbeitsplätze zu retten.

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Deshalb gehen die Betroffenen auf die Straße. Am heutigen Mittwoch wollen rund 1000 Mercedes- Beschäftigte in Marienfelde unter Corona-Bedingungen demonstrieren und anschließend in einer Betriebsversammlung vom Arbeitgeber hören, wie es weitergeht. „Wir nehmen uns diesen Tag, um dem Vorstand zu zeigen, dass wir uns nicht abwracken lassen“, sagt Rahmel.

Angeblich ein Teil-Verkauf geplant

Das Werk erstreckt sich nördlich und südlich der Daimlerstraße. Die Arbeitnehmervertreter befürchten den Verkauf des südlichen Teils, wo die Verbrennerproduktion angesiedelt ist. Es bliebe nur noch eine Miniproduktion von Komponenten für E-Autos im Norden mit 500 oder 700 Beschäftigten. „Wir brauchen zukunftsfähige Produkte“, sagt der Betriebsrat. Dass vor allem der Berliner Standort so heftig von der Transformation und dem Stellenabbau betroffen sein soll, versteht Rahmel nicht: „Wir sind bei wichtigen Kennzahlen die Nummer eins im Konzern.“ Das betreffe Krankenstand und Betriebskosten ebenso wie das betriebliche Vorschlagswesen.

Sanierungskurs eingeschlagen

Daimler ist bei der Umstellung auf Elektromobilität spät dran. Die teure Transformation sowie der Absatzeinbruch in den Corona-Monaten führten im Sommer zu einer Verschärfung des Sanierungsprogramms, mit dem der Vorstand zwei Milliarden Euro im Jahr sparen möchte. Unter anderem wird dazu die Wochenarbeitszeit in der Verwaltung und in den produktionsnahen Bereichen für ein Jahr um zwei Stunden ohne Lohnausgleich reduziert. Die Ergebnisbeteiligung für 2020 entfällt, und das tarifliche Zusatzgeld wird 2021 nicht ausgezahlt, sondern in freien Tage gewährt. Alles in allem spart der Konzern 5,7 Prozent der Lohnkosten. Gleichzeitig wird viel Geld in die Hand genommen.

Den Arbeitnehmern macht ein Transformationsfonds Hoffnung, auf den sich Gesamtbetriebsrat und Konzernleitung vor einer Woche verständigten: Zusätzlich zu den Investitionen von 70 Milliarden Euro in den nächsten fünf Jahren gibt es eine Milliarde für die „Weiterentwicklung unserer Standorte“, wie der Betriebsrat sagt. Vorstandschef Ola Källenius: „Damit werden wir unserer gemeinsamen Verantwortung gerecht.“ Zu der Verantwortung gehört für die IG Metall „ein klares Bekenntnis zu Berlin“.

Werksleiter wechselt zu Tesla

Es gibt nicht viele große Industriestandorte in der Stadt, weshalb die IG Metall mobilisiert, um so viele Arbeitsplätze wie möglich in Marienfelde zu retten. „Das Südwerk wird nicht verkauft – das ist die erste Botschaft, die wir erwarten“, sagt der Berliner Gewerkschaftschef Jan Otto. Er träumt von einem „Industriecluster Ost“ rund um Elektromobilität mit Batteriefertigung, -recycling und Zweitverwertung oder von digitalen Funktionen, die der Konzern in Berlin ansiedeln könnte. Der neue Werkleiter Clemenz Dobrawa wird sich am Mittwochnachmittag im Rahmen der Betriebsversammlung äußern. Dobrawa, zuletzt Chef der Daimler-Batteriefertigung im sächsischen Kamenz, hat René Reif abgelöst, der vor ein paar Wochen von Mercedes zu Tesla nach Grünheide gewechselt ist. Das ist auch eine Option für die Beschäftigten, die keine Perspektive mehr sehen in Marienfelde.

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