DAK-Chef Andreas Storm zur Pflegereform: „Wir brauchen eine verlässliche Begrenzung der Eigenanteile“
DAK-Chef Storm lobt den Plan von Jens Spahn, den Eigenanteil von Heimbewohnern zu deckeln. Er fordert aber unterschiedliche Obergrenzen je nach Bundesland.
Herr Storm, der Gesundheitsminister will den Eigenanteil in der stationären Pflege begrenzen. Was halten Sie davon?
Ich halte das für einen sehr guten Vorschlag. Wir brauchen eine verlässliche Begrenzung der Eigenanteile der Versicherten, sowohl nach der Höhe als auch nach der Zahlungsdauer. Damit lässt sich vermeiden, dass immer mehr Pflegeversicherte im Fall eines stationären Heimaufenthalts in die Sozialhilfe abrutschen.
Genau das war ja eigentlich auch das Ziel bei der Erfindung der Pflegeversicherung. Jens Spahn schlägt nun einen Deckel von maximal 700 Euro für die reine Pflege, und zwar längstens für 36 Monate vor. Ist diese Summe angemessen?
Das Problem besteht darin, dass die Situation in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich ist. Die Spannweite des Eigenanteils für die reinen Pflegekosten reichte im Juli 2020 von 560 Euro in Sachsen-Anhalt bis zu 1062 Euro in Baden-Württemberg. Im Bundesdurchschnitt haben wir 786 Euro. Das bedeutet: Für Baden-Württemberg, Bayern oder Nordrhein-Westfalen würde die vorgesehene Begrenzung sicherlich reichen. In den östlichen Ländern sieht es anders aus. Und man muss ja auch berücksichtigen, dass die Heimbewohner neben ihrem Eigenanteil für die reine Pflege noch Beiträge für Unterkunft, Verpflegung und Investitionskosten aufzubringen haben.
Was schlagen Sie vor? Unterschiedliche Höchstgrenzen je nach Bundesland?
Eine Option wäre aus meiner Sicht tatsächlich, mit landesspezifischen Obergrenzen zu beginnen. Denkbar wäre eine mehrjährige Konvergenzphase, bis man dann tatsächlich zu einem bundeseinheitlichen Wert kommt.
Werden durch eine bloße Deckelung und den Verzicht auf einen festen Zuschuss nicht diejenigen bevorzugt, die sich für teure Heime entschieden haben?
Mit Blick auf die sehr unterschiedliche Situation der einzelnen Bundesländer und auch innerhalb dieser Länder macht eine Obergrenze aus meiner Sicht durchaus Sinn. Zumindest für die erste Reformstufe. Es kann aber sein, dass man in einigen Jahren in der Tat überlegen muss, ob man aus der Obergrenze nicht einen festen Eigenanteil macht.
Wahrscheinlich ist das Problem, dass Heimbewohner in die Sozialhilfe abrutschen, ja in den Ländern mit teureren Heimen deutlich größer?
Wir lassen das gerade untersuchen. Im nächsten Monat wird die DAK eine Studie über die aktuelle Sozialhilfequote von Altenheimbewohnern nach Bundesländern vorlegen – samt einer Prognose für die nächsten beiden Jahre. Das könnte für die Beantwortung der Frage, ob es bei der Begrenzung des Eigenanteils eine Konvergenzphase mit landesunterschiedlichen Deckeln braucht, sehr hilfreich sein.
Sie haben es schon erwähnt: Heimbewohner werden nicht nur für Pflege, Unterkunft und Verköstigung zur Kasse gebeten, sie haben sich auch an den Investitionskosten der Betreiber zu beteiligen. Ist das in Ordnung?
Bei der Geburtsstunde der Pflegeversicherung in den 90er Jahren bestand eigentlich die Abmachung, die Länder für die Investitionskosten der Heime aufkommen zu lassen. Das wurde aber nie konsequent umgesetzt. Deshalb ist es sinnvoll, jetzt im Zuge einer großen Pflegereform auch zu prüfen, ob hier nicht eine stärkere Beteiligung der Länder möglich wäre.
Spahn will auch eine tarifliche Bezahlung von Pflegekräften. Künftig sollen nur noch Heimträger mit den Pflegekassen Verträge schließen dürfen, wenn sie nach Tarif zahlen. Das wird ebenfalls einiges kosten…
Ja, aber eine bessere Entlohnung von Altenpflegekräften wird gesellschaftspolitisch seit langem angestrebt. Zu Recht. Ich halte es für essenziell, diese Forderung möglichst rasch umsetzen. Deshalb ist es wichtig, dass mit der geplanten Reform auch die dafür erforderlichen Finanzmittel bereitgestellt werden.
Die Frage der Finanzierung hat der Minister offen gelassen. Wie sollte sie aussehen?
Beides – die Vermeidung einer finanziellen Überforderung der Pflegebedürftigen mit ihrem Angehörigen und die bessere Entlohnung von Altenpflegekräften – sind gesamtgesellschaftliche Anliegen. Deshalb müssen die hierfür erforderlichen Mittel auch aus Steuern und nicht aus Sozialbeiträgen kommen, genauer gesagt aus einem steuerfinanzierten Bundeszuschuss. Ich halte es für unabdingbar, dass man das vorgesehene Finanzvolumen in einer Größenordnung von sechs Milliarden Euro – diesen Betrag hat der Minister ja genannt – durch einen dauerhaften Bundeszuschuss an die soziale Pflegeversicherung bereitstellt.
Sollte man neben Steuerzuschüssen auch auf Mittel aus dem Pflegevorsorgefonds zugreifen?
Aus ordnungspolitischen Gründen ist die Steuerfinanzierung auf jeden Fall vorzuziehen. Ob daneben in der Startphase auch ein sehr begrenzter Teil der Fondsmittel dafür herangezogen werden könnte, müsste man prüfen.
Aus der CDU gibt es Kritik, dass die geplante Entlastung wieder mal auf Kosten der jüngeren Generation geht. Berechtigt?
Auch junge Menschen werden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit im Laufe ihres Lebens pflegebedürftig. Für sie wird jetzt kalkulierbar, welche Belastung einmal auf sie zukommen kann. Außerdem entlastet die Pflegeversicherung jüngere Menschen, bei der Betreuung ihrer Angehörigen. Deshalb ist die ordnungspolitisch gerechtfertigte Finanzierung solcher gesamtgesellschaftlichen Aufgaben aus einem steuerfinanzierten Bundeszuschuss auch eine generationengerechte Lösung.
Sollte die finanzielle Unterstützung von Pflegeheim-Bewohnern nicht wenigstens teilweise von deren Vermögen abhängig gemacht werden?
Spahns Reformvorschlag sieht ja eine doppelte Begrenzung vor – nach Leistungshöhe und nach Leistungsdauer. Ich halte es für denkbar, dass man letzteres, also die Obergrenze nach Leistungsdauer, von einer Vermögensprüfung abhängig macht. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass das mit sehr hohem bürokratischen Aufwand verbunden wäre. Und mit Blick darauf, dass nur eine geringe Zahl von Pflegebedürftigen mit hohem Pflegegrad länger als drei Jahre in einem Pflegeheim verbringt, muss man wirklich abwägen, ob man dafür tatsächlich den Riesenaufwand von Vermögensprüfungen auf sich nehmen möchte.
Auch für ambulant Versorgte will der Minister Verbesserungen. Er schlägt eine Zusammenlegung von Verhinderungs- und Kurzzeitpflege vor und will das Budget dafür um 1.000 Euro im Jahr erhöhen. Abgesehen davon, dass viele den Unterschied zwischen beiden Ersatzpflegeformen gar nicht kennen: Ist das sinnvoll?
Ich halte es für uneingeschränkt richtig. Eine Zusammenlegung von Verhinderungs- und Kurzzeitpflege und eine Erhöhung dieses Budgets trägt zu einer Flexibilisierung bei, es erhöht die Eigenverantwortung und es schafft auch einen größeren Freiraum für ambulant Gepflegte und deren Familien. Die pflegenden Angehörigen dürfen bei dieser Reform auf keinen Fall außen vor bleiben.
Die verschiedenen Hilfsmöglichkeiten für pflegende Angehörige sind für viele sehr verwirrend. Müsste das Dickicht bei dieser Gelegenheit nicht auch etwas gelichtet werden?
In der Tat wäre eine Vereinfachung des Dickichts der sehr komplexen Regelungen und Leistungsvoraussetzungen notwendig. Dadurch ließe sich die Transparenz und Akzeptanz der Pflegeversicherung steigern.
Rechnen sie mit einer Umsetzung der Spahn-Pläne noch in dieser Legislatur?
Es wäre sehr wünschenswert, wenn der Bundestag diese Reform noch im ersten Halbjahr 2021 beschließen würde, damit sie zur Jahresmitte in Kraft treten könnte. Dann ließe sich die bessere Entlohnung der Pflegekräfte bereits im nächsten Jahr umsetzen. Und auch das Abrutschen von noch mehr Heimbewohnern in die Sozialhilfe-Falle würde verhindert. Aber das ist ein sehr ehrgeiziger Zeitplan.
Haben Sie denn noch andere Ideen für eine große Pflegereform, die über Spahns Vorschläge hinausgehen?
Ja, und zwar bei der vorgesehenen Dynamisierung von Pflegegeld und Pflegesachleistungen. Bisher haben wir ja nur die Regelung, dass alle drei Jahre geprüft werden soll, ob sie noch der allgemeinen Lohn- und Preisentwicklung entsprechen. Jens Spahn möchte nun eine feste Kopplung an die Inflationsrate. Ich finde aber, es sollte auch geprüft werden, ob man sich dabei nicht eher an der Lohnentwicklung oder alternativ auch an der Entwicklung des Rentenwerts orientieren sollte. Allein mit Blick auf die Inflationsrate bekommt man den zu erwartenden Kostenschub in den Heimen womöglich nicht abgebildet.