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Martin Winterkorn, ehemaliger Vorstandsvorsitzender von Volkswagen, verlässt am Donnerstag nach seiner Aussage als Zeuge zur Sitzung des Abgas-Untersuchungsausschusses den Deutschen Bundestages in Berlin.
© dpa
Update

VW-Dieselskandal: Winterkorn bekräftigt: Wusste nichts von VW-Abgas-Manipulationen

Martin Winterkorn hatte das Image, als VW-Chef alle Strippen in der Hand zu halten. Über Betrug bei Abgaswerten will er aber nichts gewusst haben. Warum, verstehe er selbst nicht.

Der Saal schweigt. Martin Winterkorn steht in der Mitte, hält sich an seinem Stuhl fest. Neben sich die Anwälte, die seine Vernehmung vor dem Abgasuntersuchungsausschuss des Bundestages begleiten. Auch sie stehen, alle anderen sitzen. Nach dem minutenlangen Blitzlichtgewitter verharren der frühere VW-Chef und seine Begleiter still. Die Anspannung ist ihnen anzumerken. Wiko, wie sie Winterkorn bei VW immer noch nennen, trägt den typischen dunklen Zweireiher, etwas fülliger scheint er geworden. Einen großen glänzenden Aktenkoffer hat er neben sich abgestellt. Es ist der erste öffentliche Auftritt nach seinem Rücktritt Ende September 2015 - dem "schwersten Schritt meines Lebens", wie er später sagen wird. "Bitte nehmen Sie doch Platz", sagt endlich der Ausschussvorsitzende Herbert Behrens (Linke).

Nachdem sich die Geladenen gesetzt, Winterkorn ein Glas Wasser getrunken und seinen Koffer mit einem lauten Schnalzen geöffnet hat, bittet ihn Behrens um eine kurze persönliche Vorstellung. Winterkorn räuspert sich, seine Stimme kratzt: "Mein Name ist Martin Winterkorn, ich bin Diplomingenieur mit dem Schwerpunkt Materialwissenschaft, 69 Jahre alt und zu Hause in München." Er spricht leise, mehrfach muss er gebeten werden, näher ans Mikrofon zu rücken. Dann folgt ein persönliches Statement. "Herr Vorsitzender, sehr geehrter Herr Vorsitzender", setzt Winterkorn an und berichtet in den kommenden Minuten vom Untergang seines Lebens als Vorstandsvorsitzender des inzwischen größten Autoherstellers der Welt.

"berechtigte Frage: Wer ist dafür verantwortlich?"

"Das Undenkbare ist geschehen und wir müssen damit umgehen", sagt Winterkorn. Er übernehme die politische Verantwortung für den Dieselskandal und die "dramatischen Ereignisse", die "unser Unternehmen in eine schwere Krise gestürzt haben". Dass er frühzeitig über die Softwaremanipulation an weltweit mehr als elf Millionen Dieselfahrzeugen informiert gewesen sei, treffe nicht zu. "Das ist nicht der Fall." Winterkorn: "Glauben Sie mir, auch ich suche nach befriedigenden Antworten." Lückenlose Aufklärung bleibe das Gebot der Stunde. Tief bestürzt sei er, dass Millionen Kunden betrogen worden seien und den Glauben an das Qualitätsversprechen von Volkswagen verloren hätten. "Das belastet mich", gibt der Ex-VW-Chef zu. "Die Empörung verstehe ich sehr gut." Die Abgeordneten des Bundestages stellten auch die "berechtigte Frage: Wer ist dafür verantwortlich?". Dass dieser Skandal ausgerechnet bei Volkswagen passiert sei, "muss in ihren Ohren wie Hohn klingen", sagt Winterkorns ins Rund des großen Sitzungssaals. "Mir geht es ganz genauso."

Doch am Ende seines Statements wird klar: Licht ins Dunkel der Dieselaffäre wird Winterkorn an diesem Donnerstagmorgen nicht bringen. Viele Fragen, die die Abgeordneten dem 69-Jährigen anschließend stellen, lässt er mit Verweis auf laufende Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig unbeantwortet. Alles bleibt unverbindlich, häufig antwortet Winterkorn nur mit einem Satz, gibt vor, Fragen nicht zu verstehen, wiederholt sich. Er frage sich, ob er "einzelne Signale", die es lange vor Bekanntwerden des Skandals offenbar gab, übersehen habe. Welche Signale er meint, sagt Winterkorn nicht. Auch sei nicht zu akzeptieren, dass er nicht früher über die Manipulationen an der Motorsteuerung der Dieselmotoren informiert worden sei, behauptet er. "Ich hätte anders gehandelt, wenn ich die Tragweite erkannt hätte."

VW stellt fest, nicht nur in den USA ein Problem zu haben

Stattdessen zeichnet der frühere Vorstandschef ein seltsames Bild: Der mächtigste Mann an der Spitze des VW-Konzerns mit 600.000 Mitarbeitern, 200 Milliarden Euro Umsatz und mehr als 100 Werken weltweit, wusste nicht, was seine Ingenieure taten. Er glaube nicht, "dass es nur zwei oder drei Leute" waren, die den Abgasbetrug zu verantworten hätten. Es seien mehr gewesen. "Aber ich weiß nicht, wie viele." Den Begriff Abschalteinrichtung ("defeat device") will Winterkorn vor September 2015 "sicher nicht" gekannt haben. Der Rückruf von 500.000 Dieselfahrzeugen in den USA im Jahr 2014 soll im Vorstand zu keiner Diskussion über technischen Probleme und mögliche Abhilfe geführt haben.

Ein Gespräch mit dem damaligen VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piech über diesen Rückruf und Problemen mit US-Dieselwagen im März 2015 - also Monate vor Bekanntmachung des Abgasskandals - sei eines von vielen "zwischen zwei Technikern" gewesen - und blieb nach Winterkorns Darstellung folgenlos. Präzise ist hingegen seine Erinnerung an den Ablauf der dramatischen September-Tage 2015: Nachdem die US-Umweltbehörde den Dieselbetrug am 18. September veröffentlicht habe, habe es am 19. eine Telefonkonferenz mit allen Volkswagen-Markenchefs gegeben, am 20. eine große Runde in Wolfsburg mit 100 Teilnehmern, die festgestellt habe, "dass wir nicht nur in den USA ein Problem haben", wie Winterkorn berichtet. Am 21. informiert Winterkorn Verkehrsminister Dobrindt, am 22. versucht er, die Kanzlerin anzurufen, doch sie ist nicht erreichbar. Merkel ruft am 23. Winterkorn zurück und erfährt von Dieselgate. Am 23. weiß man in Wolfsburg, dass weltweit mehr als 11 Millionen Fahrzeuge betroffen sind. "Am 25. September habe ich das Haus verlassen", sagt Winterkorn.

"spontane Teilamnesie"

Der Untersuchungsausschuss reagierten nach der Befragung enttäuscht. "Grundlegend neue Erkenntnisse haben wir nicht gewonnen", räumte der Vorsitzende Herbert Behrens ein. "Um es vorsichtig auszudrücken: Winterkorn ist weit hinter dem zurückgeblieben, was er eigentlich wissen musste." Behrens sprach von einer "spontanen Teilamnesie". Der frühere VW-Chef habe in zwei Stunden der Vernehmung "viel geredet, aber nichts gesagt". Auch Ulrich Lange von der CDU/CSU zeigte sich unzufrieden. Winterkorn habe die Chance nicht genutzt, "jenseits des Verfahrens in Braunschweig für Aufklärung zu sorgen". Auftrag des Untersuchungsausschusses ist es, der Frage nachzugehen, seit wann und inwieweit die Bundesregierung Kenntnis davon hatte, dass die Abgaswerte von Fahrzeugen im Labor stark von denen auf der Straße abweichen - und welchen Einfluss die Autoindustrie auf neue Normen der EU zu Messungen auf der Straße nahm. Hierzu sollten am Donnerstag auch der Präsident des deutschen Autoverbandes VDA, Matthias Wissmann, und der frühere Staatsminister im Kanzleramt, Eckart von Klaeden, heute bei Daimler, vernommen werden.

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