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Im Zentrum. Martin Winterkorn auf der IAA im September 2015. Wenige Tage wurde der Dieselskandal bekannt.
© dpa

Abgasskandal bei Volkswagen: Martin Winterkorn in Erklärungsnot

Ex-VW-Chef Martin Winterkorn soll früher als zugegeben vom Dieselbetrug gewusst haben. Das sollen neue Dokumente und Zeugenaussagen belegen. Die Diesel-Affäre zieht derweil Kreise in Europa.

Wer den Namen Bernd Gottweis googelt, landet auf der Internetseite der Volkswagen-Tochter Audi. Dort wird der inzwischen pensionierte VW-Manager und ehemals enge Vertraute des früheren Konzernchefs Martin Winterkorn als Referent eines „Praxis-Seminars“ im Januar 2015 aufgeführt. Sein Thema: Krisenmanagement. Gottweis, der womöglich eine Schlüsselrolle im Diesel-Skandal einnimmt, referierte acht Monate vor Bekanntwerden der illegalen Softwaretricks über „Berichtspflichten der Hersteller“ und gab Antworten auf Fragen wie: „Was kann ein Hersteller tun, um den Eintritt einer Krise zu vermeiden?“

Heute, anderthalb Jahre, nachdem der Wolfsburger Autokonzern in die tiefste Krise seiner Geschichte stürzte, steht Bernd Gottweis im Zentrum massiver Vorwürfe. Als früherer Leiter des Ausschusses für Produkt-Sicherheit (APS), eines der wichtigsten Gremien bei Volkswagen, soll Gottweis lange vor Bekanntwerden des Skandals Informationen über die Manipulation von Diesel-Abgaswerten an Winterkorn weitergeben haben. NDR, WDR und „Süddeutsche Zeitung“, die sich auf Aussagen von Kronzeugen der US-Justiz berufen, berichteten am Wochenende, auch der frühere VW-Markenvorstand Heinz-Jakob Neußer sei neben Gottweis schon im Juli 2012 darüber informiert worden, dass US-Behörden Hinweisen auf illegale Abschalteinrichtungen in VW-Dieselfahrzeugen nachgingen.

Kritisches Datum: 27. Juli 2015

Unklar ist, zu welchem Zeitpunkt VW- Chef Winterkorn erstmals von den Tricks seiner Ingenieure erfuhr. Gottweis, der im Laufe seiner VW-Karriere auch das Abgasmesslabor in Los Angeles geleitet hatte, könnte Winterkorn früher als offiziell bekannt vertraulich in Kenntnis gesetzt haben, ohne dass dies entsprechende Spuren hinterließ.

Ein besonders kritisches Datum ist der 27. Juli 2015. Im Sommer 2015 hatte der Ausschuss für Produkt-Sicherheit, den Bernd Gottweis leitete, eine Diesel-Taskforce eingerichtet. Volkswagen ließ sich gleichzeitig von der US-Kanzlei Kirkland & Ellis in Sachen US-Emissionsrecht beraten. Mehreren Berichten zufolge sollen am 27. Juli 2015 bei einer Besprechung über Schadens- und Produktthemen im Beisein von Winterkorn und VW-Markenvorstand Herbert Diess vertrauliche Papiere präsentiert worden sein. Die Unterlagen sollen nach Informationen der „Bild am Sonntag“ unter anderem zeigen, wie knapp zwei Monate vor dem Bekanntwerden des Skandals der Konzern kalkulierte, wann man den US-Behörden die Wahrheit sagen solle.

Ein Teilnehmer der Sitzung sagte der Zeitung: „Wir haben darüber gesprochen, dass etwas Illegales in unsere Autos installiert wurde.“ Der Teilnehmer habe mit Blick auf die Präsentationen gesagt, er dachte, dass er spätestens bei der dritten Folie „weggeblasen“ werde. Doch der VW-Chef sei erstaunlich ruhig geblieben. Er habe später in der Sitzung lediglich zu einem Techniker, der die Betrugssoftware mitentwickelt hatte, gesagt: „Du und deine Software!“

VW ging die Sache "offensiv" an

Dem Bericht zufolge diskutierte die Runde darüber, ob und wann man den US-Umweltbehörden den Abgasbetrug gestehen solle. Der Abgasskandal hat seinen Ursprung in den USA. Dabei seien „Chancen“ und „Risiken“ abgewogen worden. So rechnete VW bei einem „defensiven“ Vorgehen mit einer sicheren Zulassung für neue Modelle, allerdings auch mit „sehr hohen Strafzahlungen“. Die Teilnehmer seien sich einig gewesen, die Angelegenheit „offensiv“ anzugehen – mit geringeren Strafzahlungen, aber einer unsicheren Zulassung neuer Modelle.

Winterkorn und die VW-Spitze haben bisher stets betont, erst im September 2015 von den Abgas-Manipulationen erfahren zu haben. Volkswagen und Winterkorn wiesen die Vorwürfe laut „Bild am Sonntag“ zurück. Winterkorn will sich nach Informationen der Zeitung nur an eine kurze Besprechung zu dem Thema am 27. Juli erinnern, bei der ihm versichert worden sei, die Probleme in den USA würden gelöst werden. Volkswagen hatte im März 2016 in einer Stellungnahme an das Landgericht Braunschweig erklärt, „konkrete Details dieser Besprechung“ seien „derzeit noch nicht rekonstruiert“. Es sei insbesondere nicht geklärt, „ob zwischen den Beteiligten bereits zu diesem Zeitpunkt ein Verständnis davon gegeben war, dass die Softwareveränderung gegen US-Umweltvorschriften verstieß“. Laut VW forderte Winterkorn bei dem Treffen eine weitere Aufklärung.

Nach Renault womöglich weitere Hersteller unter Verdacht

Ein VW-Sprecher sagte am Wochenende: „Die Darstellung in der im März 2016 eingereichten Klageerwiderung vor dem Landgericht Braunschweig beruhte auf dem damaligen Erkenntnisstand durch die unabhängige Untersuchung der Anwaltskanzlei Jones Day.“ Dies sei auch dem US-Justizministerium entsprechend offengelegt worden. „Daran hat sich nach jetziger Kenntnis bis heute auch nichts Wesentliches geändert.“

Die Dieselkrise zieht derweil in Europa immer weitere Kreise. In Frankreich könnte es nach Angaben des Umweltministeriums neben Renault auch gegen weitere Hersteller Ermittlungen geben. In Deutschland fordert Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) einen Rückruf bestimmter Fahrzeuge von Fiat Chrysler. Bei den Renaults habe es eine Reihe von Unregelmäßigkeiten gegeben, sagte Umweltministerin Ségolène Royal der französischen Sonntagszeitung „Le Journal du Dimanche“. „Das gilt auch für andere Autohersteller in anderem Ausmaß.“ mit dpa

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