Geplante Krankenhausreform: Wie viel Pflegekräfte brauchen Kliniken?
Die Bundesregierung will eine Kommission den Personalbedarf der Krankenhäuser ermitteln lassen. An der Charité verhandeln sie lieber selbst über mehr Schwestern.
Wie viele Schwestern braucht ein Krankenhaus? Wer legt das fest? Und wer soll das bezahlen? Von der Öffentlichkeit fast unbemerkt stehen die rund 2000 deutschen Krankenhäuser vor wegweisenden Entscheidungen. Im Dezember vergangenen Jahres hatte die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Krankenhausreform ein Eckpunktepapier vorgelegt, nun soll sich eine Kommission zusammenfinden: Deren Experten befinden darüber, wie viele Pflegekräfte eine Klinik braucht – angesichts einer alternden Gesellschaft ist das die zentrale Frage im deutschen Gesundheitswesen.
Kliniken reichen die Pauschalen von Krankenkassen nicht
Zeitgleich dürfte es – wie an der Berliner Charité – zunehmend Tarifgespräche geben, die sich nicht vorwiegend um Löhne, sondern um Extrapersonal drehen. Denn noch ist die Besetzung von Krankenstationen kaum geregelt. Die Hälfte aller Kliniken schreiben aber Verluste und sparen an Personal – übrigens private, kirchliche und landeseigene Kliniken gleichermaßen. Seit Einführung der Fallpauschalen 2003 bezahlen die Krankenkassen die Kliniken pro Diagnose, oft unabhängig davon, wie lange ein Patient versorgt wird.
Verdi: Bundesweit fehlen 70.000 Pflegekräfte
Der angekündigten Kommission sollen Vertreter der Ärztekammer, Kassen, Kliniken und Pflegeverbände angehören. Von der Zusammensetzung hängt ab, wie die Feststellung des Personalbedarfs aussehen wird. CDU und SPD lehnen eine Mindestbesetzung genauso ab wie die meisten Krankenkassen, die strikte Personalschlüssel nur in Ausnahmen wie auf Frühchenstationen zulassen wollen. Berufsverbände und Gewerkschaften, aber auch Wissenschaftler fordern dagegen eine Mindestbesetzung. Derzeit betreut eine Schwester im Schnitt elf Patienten pro Schicht. Die Gewerkschaft Verdi fordert hingegen einen Schlüssel wie in Skandinavien, wo es fünf Patienten pro Pfleger sind. Herbert Weisbrod-Frey, bei Verdi für Gesundheitspolitik zuständig, sagt: „Bundesweit fehlen nach wie vor 70.000 Pflegekräfte.“
Pflegerat: Politik hat Probleme nicht verstanden
Weil die Kommission womöglich erst 2017 Ergebnisse präsentieren wird, gibt die Bundesregierung in den nächsten drei Jahren 660 Millionen Euro als Soforthilfe aus: Rechnerisch wären das bei 2000 Krankenhäusern zwei Vollzeit-Schwestern pro Klinik. Allein in den 50 Berliner Krankenhäusern haben sich Schätzungen zufolge hunderttausende Überstunden angehäuft – die Zusatzstellen könnten also nicht einmal diesen Berg abbauen. Beim Deutschen Pflegerat zeigt man sich enttäuscht: „Die Politik hat offensichtlich die Tragweite der Probleme nicht verstanden.“
Bundesländer sollen mehr investieren
Der Pflegerat fordert mehr Soforthilfe und will vor allem, dass die Kliniken nachweisen, ob sie die heute schon mit den Kassen vereinbarten Summen tatsächlich für die Pflege ausgeben. Das dürfte kaum der Fall sein, was auch die Kassen stört: Gesetzlich ist der Staat verpflichtet, für Klinikbauten und Technik aufzukommen, die Kassen bezahlen dafür Personal und Medikamente. Doch Klinikchefs zweigen notgedrungen Kassengeld für Sanierungen ab, das dann beim Personal fehlt. Die Bundesregierung erkennt an, dass die Länder drei Milliarden Euro im Jahr mehr investieren sollten. Dieses Geld fordert auch die Krankenhausgesellschaft – bei mehr Investitionen würden sich wohl nicht alle Kliniken gegen einen Personalschlüssel wehren.
Linke: Charité-Pflegekräfte sind Vorbild
Die angekündigte Reform, heißt es aus der Branche, wird den 1,2 Millionen Klinikbeschäftigten – darunter 420.000 Pflegekräfte – wohl wenig nutzen. Deutlich ist Harald Weinberg, Gesundheitsexperte der Linken im Bundestag: „Den Pflegenden kann ich nur raten, sich ein Beispiel an der Charité zu nehmen und den Kampf für mehr Personal und eine bessere Ausfinanzierung betrieblich aufzunehmen. Von dieser Bundesregierung haben sie keine Hilfe zu erwarten.“
Wird ein Personalschlüssel in Tarifverträgen festgeschrieben, wären Kliniken an diese Mindestbesetzung gebunden. Mitarbeiter brauchen dafür Durchsetzungskraft. Zwar hatten Schwestern und Pfleger an der Charité mit Streik gedroht, falls die Universitätsklinik nicht über Zusatzpersonal verhandelt. Der Berliner Senat aber hat seine landeseigene Klinik auf einen Sparkurs festgelegt. In den meisten Krankenhäusern sind zudem weniger als zehn Prozent der Pflegekräfte einer Gewerkschaft beigetreten.