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© Getty Images/iStockphoto

Datenmacht großer Internetplattformen: Wie uns digitale Technologien manipulieren

Die US-Forscherin Shoshana Zuboff beschreibt, wie die Emanzipationsverheißung des Internets sich in Verhaltensmanipulation verwandelt hat. Eine Buchkritik.

Es ist noch gar nicht so lange her, da schien die digitale Welt für den Menschen gemacht zu sein. Das Internet war schließlich mit wohlklingenden emanzipatorischen Versprechen angetreten: Wissen sollte für alle zugänglich sein, die Utopie des grenzenlosen Informationsaustauschs wurde binnen weniger Jahre zur Realität. Und Meinungsfreiheit, so die Hoffnung, sollten künftig auch diejenigen haben, die normalerweise unter der Knute von autoritären Herrschern leben mussten. Die „Facebook-Revolutionen“ in der arabischen Welt sind gerade einmal knapp neun Jahre her.

Das gebrochene Versprechen des Internets

Die traurige Pointe des ausgehenden Jahrzehntes ist jedoch, dass der digitale Frühling längst vorbei ist. Neben den in vergangener Zeit häufig diskutierten Gefahren der Wählermanipulation in den sozialen Netzwerken und den für viele Menschen immer noch unheimlich wirkenden Möglichkeiten des maschinellen Lernens trägt auch die Datenmacht großer Internetplattformen zur Winterstimmung bei.

So gesehen stellt die emeritierte Harvard-Professorin Shoshana Zuboff in ihrem Buch „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“ gleich in der Einleitung eine der wohl wichtigsten Fragen unserer Zeit: „Kann die digitale Zukunft uns eine Heimat sein?“ Einerseits liegt die mögliche Antwort wohl in der Versöhnung des vermeintlichen Gegensatzes zwischen Mensch und Maschine. Andererseits – und das ist der Schwerpunkt von Zuboffs Arbeit als Wirtschaftswissenschaftlerin – in der Entwicklung des Kapitalismus unter digitalen Bedingungen.

Menschliche Erfahrung als digitaler Rohstoff

Zuboff hat die Internetkonzerne im Verdacht, Menschen den Weg in ihre zukünftige digitale Heimat zu versperren. Bereits 2014 prägte sie den Begriff des „Überwachungskapitalismus“. Wo früher der klassische Industriekapitalismus mit Massenproduktion seine Wertschöpfung erzielte, werde nun mit dem massenhaften Abschöpfen von Daten und deren Auswertung Gewinn erzielt. Zuboff warnte damals schon davor, dass die Daten mit dem Ziel erhoben werden, menschliches Verhalten vorherzusagen. Der Überwachungskapitalismus beanspruche einseitig menschliche Erfahrung als Rohstoff zur Umwandlung in Verhaltensdaten.

Die Rolle des Menschen in der digitalen Welt ist Zuboffs Leitthema. Ende der 1970er Jahre begann Zuboff, sich mit den Auswirkungen des digitalen Wandels auf die Arbeitswelt zu befassen. Im Jahr 1978 bekam sie den Auftrag, die Einführung von Computersystemen bei einer Wall- Street-Bank zu evaluieren. Später, im Jahr 1981, saß sie mit Arbeitern einer Papierfabrik zusammen. „Arbeiten wir künftig alle für eine intelligente Maschine, oder haben wir intelligente Menschen um die Maschine herum?“, wurde sie gefragt. Sie spürte damals schon eine existenzielle Angst, die mit dem Aufkommen digitaler Technologien verbunden war.

Überwachung und Manipulation

Zuboff fasste ihre Beobachtungen und Erkenntnisse in dem 1988 erschienen Buch „In the Age of the Smart Machine“ zusammen. Das Werk machte sie über die Grenzen der USA hinaus bekannt. In ihrem Buch „The Support Economy“ von 2002 beschreibt sie eine Wirtschaftsordnung, die zusehends den Kontakt zu den Menschen verliere. Das Konzept des Überwachungskapitalismus entwickelt sie nun in ihrem neuen Werk weiter. Ihre Kernthese ist, dass die Profitspanne für die gegeneinander konkurrierenden Digitalunternehmen dann am größten sei, wenn sie mithilfe der gesammelten Daten aktiv Verhalten anstoßen „und Richtung profitabler Ergebnisse“ treiben. Die großen Plattformen seien längst nicht mehr nur „Datenkraken“. Sie strebten danach, Verhaltensweisen von Menschen zu automatisieren und dadurch kommerziell zu nutzen. Flankiert würden diese Prozesse durch den Einsatz intelligenter Technologien. Als ein Beispiel dafür nennt sie Facebooks „Nutzerexperimente“.

Pokémon-Go lenkte Nutzer zu Hamburger-Restaurants

Das soziale Netzwerk veränderte versuchsweise den Informationsgehalt des Streams, um Kunden zu einem speziellen Verhalten zu bringen. Das geschah etwa während der US-amerikanischen Midterm-Wahlen im Jahr 2010, als Facebook untersuchte, ob gezielte Wahlaufrufe, verbunden mit Informationen über das Wahlverhalten von Freunden, zu einer höheren Wahlbeteiligung führten. Im Jahr 2013 untersuchte Facebook, ob ein positiver oder ein negativer Grundtenor der im Stream eingespielten Informationen zu einer Änderung des Verhaltens führen könnte. In beiden Studien stellte sich heraus, dass Menschen sich sehr wohl durch Emotionen „anstecken“ lassen können. Zuboff zitiert einen ehemaligen Facebook-Produktmanager, der in einem Interview sagte, dass die Fähigkeit zur Vorhersage und Herstellung von gewissen emotionalen Zuständen mittlerweile auch für das Anzeigenmarketing benutzt würden.

Ein anderes Beispiel sei das Game „Pokémon Go“, mit dem man mittels einer auf dem Smartphone-Bildschirm erweiterten Realität in den Innenstädten auf Monsterjagd gehen kann. Vordergründig gehe es hier um ein Spiel, dessen Umsätze über Shopverkäufe generiert werden – zum Beispiel über zukaufbare Fangbälle. Tatsächlich aber verdiene der Hersteller Niantic auch dadurch, dass die Spieler mit Methoden des Gamings zu bestimmten Orten geleitet würden – zum Beispiel zu Hamburger-Restaurants. Dort werde das durch Gaming generierte Verhalten für die Gastronomie- und die Technologiekonzerne finanziell verwertbar.

Wie sieht die digitale Zukunft aus?

Zuboff nennt die Analyse von menschlichen Daten zur Vorhersage von Verhalten „Human Future Trade“, angelehnt an den Handel mit Futures für Rohstoffe oder Aktien. Sie fordert ein Verbot der kommerziellen Verarbeitung menschlicher Verhaltensdaten. Obwohl Zuboffs Thesen bisweilen ein wenig zu plakativ wirken, ist ihr Buch glänzend beobachtet. Es führt den Leser zum Kern eines Geschäftsmodells, das nur noch wenig mit jenen Strukturen gemein hat, auf denen einst die soziale Marktwirtschaft aufgebaut wurde. Den Menschen ins Zentrum des wirtschaftlichen Handelns zu stellen, heißt heute nicht mehr, allein an den Stellschrauben des Sozialsystems zu drehen. Es geht auch darum, ihn aus den Zwängen eines Systems zu befreien, welches das Menschliche selbst zum Handelsgut erhoben hat. Dafür braucht es klare Regeln.

Doch womöglich lohnt es sich, über eine ganz andere digitale Zukunft nachzudenken. Das Vertrauen in Konzerne wie Facebook und Google schwindet. Sie stehen im Zentrum der Enttäuschung über die gebrochenen Emanzipationsversprechen des Internets. Womöglich brauchen wir eine digital-soziale Marktwirtschaft, die wieder vom Menschen her gedacht wird. Genau hier könnte die Chance liegen für die europäische Internetindustrie.

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