Augmented Reality: Pokémon Go zeigt, wie die Zukunft aussieht
Die Spiele-App „Pokémon Go“ ist mehr als nur ein unterhaltsamer Zeitvertreib. Sie sagt viel über unsere digitale Zukunft aus. Ein Kommentar.
In einigen Jahren, vielleicht auch erst in zehn, werden die Menschen zurückblicken auf diese paar Tage im Juli 2016. Sie werden den Kopf schütteln darüber, mit welcher Begeisterung die Leute damals begannen, auf ihren Smartphones „Pokémon Go“ zu spielen. Wie sie rote Ampeln übersahen, weil das Spiel die reale Welt mit der virtuellen vermischte. Sie werden staunen, dass Menschen erstmals ihre Umgebung durch die Linse ihrer Handykamera erforschten, obwohl sie gar kein Foto machen wollten. Sie werden schmunzeln darüber, wie primitiv die Technik damals noch war, die ihr Leben nun so sehr prägt.
Seit Mittwoch ist das Spiel auch in Europa zu haben. Dabei nimmt die Handykamera die echte Umgebung auf. In dieses Bild blendet die App dann die Monster (Pokémon) ein, die die Spieler fangen müssen. Die Technik dahinter nennt sich „Augmented Reality“, also erweiterte Realität. Sie ist nicht gerade neu.
Schon in den 60er Jahren gab es Ansätze dazu. Seit Anfang der 90er wird sie in der Industrie verwendet. Die Revolution dieser Tage besteht nicht darin, dass Augmented Reality reif für private Nutzer geworden ist, sondern dass die Menschen jetzt offenbar bereit sind für Augmented Reality. Millionen Menschen nutzen das Programm. Und das verändert alles.
Eine neue Art der Wahrnehmung
Was auf die Gesellschaft zukommt, kann erahnen, wer sich die Innovationen und ihre Folgen der vergangenen Jahrzehnte ansieht. Kabellose Telefonie hat der Menschheit den Druck, aber auch die Möglichkeiten permanenter Erreichbarkeit beschert. Das Internet hat den Wert individuellen Wissens dramatisch relativiert. Nicht nur, dass man sich eine Vielzahl von Informationen nicht mehr merken muss, weil sie ohnehin jederzeit abrufbar sind. Das Netz hat mit der Schwarmintelligenz eine völlig neue Art zu denken, zu analysieren und zu arbeiten hervorgebracht, kollaborative Projekte über Kontinente hinweg ermöglicht.
Diese Dinge sind heute so selbstverständlich, dass sie kaum jemand in Frage stellt. Und es interessierte eben niemanden, dass Motorola schon 1983 das erste 20 Zentimeter große und 4000 Dollar teure Handy vorstellte. Erst der millionenfache Verkauf von Nokias 3210 revolutionierte das Kommunikationsverhalten auf der ganzen Welt. Auch das Internet, schon seit Anfang der 70er zum Informationsaustausch von US-Wissenschaftlern genutzt, hat wirkliche Bedeutung erst mit der massenhaften Verbreitung des ersten kommerziellen Browsers „Netscape“ 1994 erreicht und seitdem unsere Wirklichkeit verändert. Augmented Reality wird nun nicht nur die Wirklichkeit verändern, sondern auch eine neue Art der Wahrnehmung etablieren. Künftig wird man nicht mehr nur sehen, was ist.
Die Szenarien können dystopisch sein
Speisekarte auf Mandarin? Auf dem Bildschirm sieht sie aus, als sei sie in Deutsch verfasst. Ersthelfer am Unfallort? Ein Blick aufs Telefon zeigt, wann das Opfer richtig in die stabile Seitenlage bewegt wurde. Und mit Google Glasses wird sich irgendwann vielleicht die virtuelle Welt ganz selbstverständlich in die reale Welt einfügen. Touristen in Berlin werden nicht vor dem Reichstag stehen und auf das Gemäuer blicken. Sie werden durch ihre Datenbrillen Philipp Scheidemann höchstselbst vom Balkon die Republik ausrufen sehen, die Vergangenheit in der Gegenwart neu erleben.
Es ist eine schöne neue Welt. Und die Szenarien können dystopisch sein, wie bei Aldous Huxley. Denn die Gefahr ist real, dass die gleichen Menschen, die schon jetzt ihrem Navigationsgerät so blind vertrauen, dass sie ihr Auto in einen Fluss steuern, wenn „rechts abbiegen“ empfohlen wird, sich noch mehr von der Technik abhängig machen. Dass sie sich bei der Interpretation von Wirklichkeit nur noch auf Programme und Computer verlassen.
Doch Augmented Reality verheißt eben auch die Utopie einer Gesellschaft, in der Technik die Unzulänglichkeiten und Wissenslücken der Nutzer ausgleicht – Chancengleichheit dort herstellt, wo die Natur oder das Bildungssystem versagt haben.
Egal, wie es kommt, die Menschen, wenn sie in einigen Jahren auf diesen Juli des Jahres 2016 zurückblicken, werden wissen: Das Programm „Pokémon Go“ war nicht nur ein Spiel. Es war die Zukunft. Und mit den kleinen Monstern hat alles angefangen.
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