Flugverspätung in Berlin-Tegel: Wie sich eine Airline um Entschädigung drückt
"Chaotische Zustände" in Tegel, sagt der Austrian-Kapitän. Dennoch will die Fluggesellschaft nach Verspätung nicht zahlen. Ein Erfahrungsbericht.
Es ist der normale Wahnsinn am Berliner Flughafen Tegel, potenziert an diesem Montag im Oktober durch den Faktor: Beginn der Schulferien. Lange Schlangen an den Abfertigungsschaltern der Fluggesellschaften, Gedränge bei den Sicherheitskontrollen, gestresste Fluggäste, gereiztes Personal. Zum Beispiel auch bei Austrian Airlines, die am Vormittag einen Flug nach Wien auf dem Plan hat.
Dutzende Fluggäste warten rund eineinhalb Stunden vor dem geplanten Abflug am Check-in im Terminal A, nicht ein Schalter hat geöffnet. Mit Verzögerung geht es dann endlich an einem Schalter los, später beginnt noch eine zweite Mitarbeiterin mit der Abfertigung. Ein Baggage-drop-off für Fluggäste, die vorher im Internet eingecheckt haben, wird nicht geöffnet. Das Personal gibt zu, an diesem Tag unterbesetzt zu sein. Die Passagiere sammeln sich dann bei der Sicherheitskontrolle der Bundespolizei vor dem Gate. Parallel werden dort die Reisenden eines Flugs nach Paris kontrolliert, der etwa zur gleichen Zeit starten soll. Wieder gibt es Hektik, Gedränge und auch Geschrei. Mit rund einer Stunde Verspätung hebt die Austrian-Maschine schließlich ab. Der Kapitän begründet das mit den "chaotischen Zuständen" in TXL und entschuldigt sich dafür.
Verzehrgutschein über sechs Euro - das ist alles
Alltag in Tegel - oder höhere Gewalt? Dutzende Passagiere treffen sich nach Ankunft in Wien wieder am Austrian-Serviceschalter, sie haben ihren Anschlussflug verpasst. Unter ihnen ist auch der Autor dieser Zeilen, der mit Frau und Kind weiter wollte nach Zagreb. Er wird nun umgebucht auf den Abendflug in die kroatische Hauptstadt und abgespeist mit einem Verzehrgutschein im Wert von sechs Euro. Auf die Frage nach einer Entschädigung, wie sie eigentlich laut EU-Fluggastrechteverordnung bei Verspätungen von mehr als drei Stunden fällig wäre, gibt es eine Visitenkarte mit einer Postfachadresse in Wien.
Die dorthin Ende Oktober eingesandte Reklamation wird nach fünf Wochen vom "Feedback-Service" der österreichischen Fluggesellschaft - sie ist eine Tochter der Lufthansa - beantwortet: "Es tut mir leid, dass Sie von einer Flugunregelmäßigkeit betroffen waren - bitte entschuldigen Sie vielmals. Eine Ausgleichszahlung ist in diesem Fall nicht vorgesehen, da der Grund für diese Verspätung nicht im Einflussbereich von Austrian Airlines lag. (...) Zum Abschluss noch eine Bitte: Vertrauen Sie trotz dieser Erfahrung weiter auf Austrian Airlines. Wir wollen Ihre bevorzugte Fluglinie sein, eben: myAustrian."
Doch ist das wirklich höhere Gewalt, wenn - wie in Berlin nicht ungewöhnlich - etwas nicht klappt? Oder nur eine Ausrede der Fluggesellschaft, um eine Entschädigungsforderung - es geht im konkreten Fall um immerhin 250 Euro - abzuweisen?
Flughafengesellschaft: Airlines für Check-in verantwortlich
Die Flughafen Berlin Brandenburg GmbH teilt auf Tagesspiegel-Anfrage mit: "In der Tat ist die Airline, in diesem Fall Austrian, der richtige Ansprechpartner für Ihre Beschwerde beziehungsweise Entschädigungsforderung. Die gesamte Organisation des Check-ins und der Umsteigeprozesse an den Flughäfen verantworten die jeweiligen Airlines." Für die Sicherheitskontrolle an den deutschen Flughäfen sei die Bundespolizei zuständig, erklärt Airport-Sprecherin Kathrin Westhölter.
Sie gibt zu: "Aufgrund aktueller Rahmenbedingungen im Luftverkehr kommt es besonders an verkehrsreichen Tagen während der Ferienzeit an vielen Flughäfen zu Verspätungen." Die Flughäfen Tegel und Schönefeld würden im Pünktlichkeitsvergleich der deutschen Verkehrsflughäfen allerdings sogar besonders gut abschneiden.
EU-Claim kämpft für Passagierrechte
Was außergewöhnliche Umstände sind, die Fluggesellschaften von einer Entschädigung entbinden, ist umstritten. Die Organisation EU-Claim, die Passagieren bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche hilft, erklärt: "Unsere Erfahrung zeigt: In 80 Prozent der Fälle reden sich die Airlines heraus, um die rechtmäßige Entschädigung nicht zahlen zu müssen." EU-Claim hat Zugriff auf die Daten ihres Mutterunternehmens Lennoc, das sammelt täglich mehr als 13 Millionen relevante Daten rund um den weltweiten Flugverkehr.
EU-Claim-Sprecherin Rebecca Horn sagt mit Blick auf den speziellen Falls des Austrian-Flugs im Oktober von Berlin über Wien nach Zagreb, eindeutig erfasst seien die Gründe für die Verspätung bisher nicht. Die Passagiere hätten nach der Verspätung des Zubringerflugs nicht ausreichend Zeit gehabt, den Anschlussflug zu erreichen - am Ende fehlten vier Minuten.
Horn weiter: "Ob ein Anspruch auf Entschädigung besteht, hängt davon ab, welcher der angegebenen Gründe ausschlaggebend war: Wenn die Personalengpässe am Check-in-Schalter Grund für die Verspätung des ersten Fluges und somit für den verpassten Anschlussflug waren, dann haben die Passagiere unter Umständen Anspruch auf Entschädigung, da dies im Verantwortungsbereich der Airline liegt. Sollten jedoch die Engpässe bei der Sicherheitskontrolle ausschlaggebend gewesen sein, dann ist die Airline nicht verpflichtet, eine Entschädigung zu zahlen." Insbesondere die Aussage des Piloten weise aber darauf hin, dass es am Check-In Schalter Probleme gegeben habe.
Grünen-Politiker Cramer: Kein Fall von "höherer Gewalt"
Auch der Berliner Grünen-Europaabgeordnete Michael Cramer mag die Erklärung von Austrian nicht akzeptieren. Er sagt: "Grundsätzlich: Der Fluggast hat mit der Fluggesellschaft einen Beförderungsvertrag über A nach B geschlossen. Wenn ein Flughafen Probleme bei der Abfertigung hat, darf dies nicht zum Problem des Fluggastes gemacht werden." Es liege also mitnichten ein Fall von "höherer Gewalt" vor. "Diese Karte ziehen die Unternehmen nur allzu gerne, um Zahlungen zu entgehen.
Der Verkehrspolitiker meint, das Beispiel zeige exemplarisch, wie schwierig die Durchsetzung der Rechte für Passagiere oftmals sei - das betreffe nicht nur Fluggäste. Er verweist auf eine Umfrage im Auftrag des Europäischen Rechnungshofs, die dies jüngst noch einmal bestätigt habe. Der Rechnungshof hatte in einem Sonderbericht festgestellt, dass sich viele Fahr- und Fluggäste ihrer Rechte nicht ausreichend bewusst seien und sie aufgrund von Problemen bei der Durchsetzung häufig nicht in Anspruch nehmen würden.
Austrian kritisiert Infrastruktur in Tegel
Austrian-Sprecherin Marleen Pirchner gibt zu, die Probleme in Verbindung mit Verzögerungen bei der Abfertigung und den Sicherheitskontrollen in Tegel seien bekannt. "Diese sind jedoch nicht Airline-spezifisch, sondern hängen mit dem Stand der Infrastruktur und den baulichen Gegebenheiten des Flughafens zusammen." Die zuständigen Abteilungen der Lufthansa-Gruppe seien in regelmäßigem Kontakt mit dem Flughafen und den Abfertigungsgesellschaften. Geplant seien Maßnahmen wie unter anderem eine "optimierte Besetzung der Kontrollstellen, die ab Jänner 2019 zu einer Verbesserung der Lage - auch für Passagiere der Austrian Airlines - führen sollen".
Später schiebt Pirchner eine weitere Erklärung nach. Nun heißt es, es habe an diesem Tag Verzögerungen bei der Abfertigung des Flugzeugs gegeben. "Das Flugzeug aus Wien habe "nur mit Verzögerung auf seine Parkposition gewiesen und die Fluggastbrücke bedient werden können, was sich natürlich auf die Abfertigung des Rückflugs nach Wien ausgewirkt hat". Darauf habe Austrian "leider keinen Einfluss" gehabt. Die Sprecherin der Fluggesellschaft erklärt weiter: "Längere Wartezeiten beim Check-in und den Sicherheitskontrollen waren in diesem Fall nicht primär ausschlaggebend für die Abflugzeit."
Die Sprecherin der Fluggesellschaft erläutert: "Um keine Verspätungen von Folgeflügen auf der jeweiligen Maschine beziehungsweise Anschlussflüge unserer Passagiere zu riskieren, können wir unsere Abflugzeit nicht beliebig nach hinten verschieben. Daher können wir nicht über einen gewissen Zeitraum hinaus auf Passagiere warten, die nicht rechtzeitig am Gate sind – zum Beispiel wegen Wartezeiten bei der Sicherheitskontrolle." Das wiederum steht im Widerspruch zur Erklärung des Flugkapitäns. Der hatte vom Cockpit aus mitgeteilt, er habe auf Passagiere warten müssen, deren Aufgabegepäck im Flieger war. Dieses wieder auszuladen, hätte noch länger gedauert. Eine Entschädigung lehnt Austrian weiterhin ab.