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Umdrehen geht nicht: Eine Muttersau liegt neben ihren wenige Tage alten Ferkeln in einer Schweinezuchtanlage in Mecklenburg-Vorpommern.
© picture alliance / dpa

Bundesrat vertagt Entscheidung über Tierwohl: Wie Sauen in Deutschland leiden

Sie leben in engen Käfigen, umdrehen geht nicht. Gerichte halten das für rechtswidrig, aber die Politik streitet seit Monaten vergeblich über Reformen.

Ein Hausschwein ist ein mächtiges Tier. Einen Meter kann es hoch werden, zwei Meter lang. Eber bringen bis zu 300 Kilogramm auf die Waage, Sauen bis zu 220 Kilogramm.

Doch wenn die weiblichen Tiere gedeckt werden und wenn sie dann drei Monate später ihre Ferkel werfen, werden sie in enge Metallkästen gesperrt. Zwischen 65 und 70 Zentimeter sind diese breit, zwei Meter sind sie lang. Manchmal ist es auch weniger, wenn am Ende des sogenannten Kastenstands noch der Trog steht. Dann liegt die Sau mit ihrem Kopf im Fressen.

Die Käfige sind so eng, dass sich die Sau nicht umdrehen kann

Selbst wenn ihr das erspart bleibt, ist das Mutterleben keine Freude. Viel Bewegungsspielraum hat die Sau nämlich nicht.

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Sie kann aufstehen und sie kann sich hinlegen. Umdrehen kann sie sich nicht. Das soll dem Schutz der Ferkel dienen, die sonst erdrückt werden könnten. Acht bis 14 Ferkel wirft eine Sau, zwei Mal im Jahr kann ein Tier schwanger werden, bis zu fünf Monate im Jahr verbringt sie in der engen Einzelhaltung. "Zwei, drei Jahre steckt eine Sau in der Ferkelproduktion", sagt Matthias Wolfschmidt von der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch. Nach vier, fünf Jahren wird sie geschlachtet. Dann ist das Tier erledigt. Dabei könnten Schweine bei guter Haltung 20 Jahre alt werden.

Eingesperrt: Die Hälfte ihres Lebens verbringen Zuchtsauen im Käfig.
Eingesperrt: Die Hälfte ihres Lebens verbringen Zuchtsauen im Käfig.
© imago/blickwinkel

Tierschützer klagen Haltungsbedingungen an

Man muss diese Daten kennen, um zu wissen, warum über den Kastenstand so erbittert gestritten wird. Für Tierschützer ist der Kastenstand der beste Beweis für ein "tierquälerisches Haltungssystem", wie Rüdiger Jürgensen von "Vier Pfoten" meint. Die Tiere bezahlen mit ihrem Leid dafür, dass die deutsche Schweineindustrie die Weltmärkte mit billigem Schweinefleisch überschüttet, kritisiert Wolfschmidt. Viele Sauen seien krank oder verhaltensauffällig. Die Tiere bekommen Gebärmutterentzündungen und Gelenkprobleme, viele fangen an, in die Metallstäbe zu beißen.

Bauern fürchten um ihre Existenz

Dagegen warnt der Deutsche Bauernverband (DBV) davor, dass vor allem familiengeführte Betriebe die Sauenhaltung und Ferkelproduktion aufgeben müssten, wenn sie ohne ausreichend lange Übergangsfristen die Kastenstände aufgeben müssten. Gewonnen wäre dadurch nichts, meint der Vizepräsident des Verbands, Werner Schwarz, der selbst Schweine hält. Dann kämen die Ferkel eben aus dem Ausland, wo die Haltungsbedingungen möglicherweise noch schlechter sind.

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Es geht auch anders: Ferkel auf Gut Schmerwitz in Brandenburg.
Es geht auch anders: Ferkel auf Gut Schmerwitz in Brandenburg.
© imago images/photothek

Am Freitag sollte der Bundesrat entscheiden, wie es in der Schweinehaltung weitergeht. Denn die gängige Praxis verstößt gegen die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung, hat das Oberverwaltungsgericht Magdeburg entschieden, das Bundesverwaltungsgericht hatte das Urteil bestätigt. Die Tiere müssten im Liegen zumindest ihre Beine ausstrecken können, ohne dort einer anderen Sau in die Quere zu kommen oder an Gitterstäbe zu stoßen, so die Richter. Das war 2016.

Warum sich der Bundesrat vertagt

Seitdem wird an einer Neufassung der Verordnung gearbeitet. Bisher vergeblich. Am Freitag vertagte sich die Länderkammer, wie schon im Februar. Sie wollte weder über den Vorschlag von Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) noch über einen Kompromissvorschlag des Landes Nordrhein-Westfalen abstimmen.

Beide Vorschläge sehen eine deutliche Verkürzung der Zeiten vor, in denen die Tiere eingesperrt sind. Die Käfige sollen zudem größer werden. Die Vorschläge unterscheiden sich bei den Übergangfristen. Klöckner will den Landwirten 15 Jahre, ihre Parteifreundin, Ursula Heinen-Esser, acht Jahre für den Umbau der Ställe zubilligen. Doch am Grundsatz soll sich nichts ändern.

Die Kastenstandshaltung soll erlaubt bleiben, obwohl der Tierschutz in Deutschland im Grundgesetz verankert ist. Das Land Berlin hatte im Januar einen Normenkontrollantrag beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, um wesentliche Inhalte der Schweinehaltung – auch den Kastenstand – überprüfen zu lassen. Mit einem Urteil wird im nächsten Jahr gerechnet.

Ihr Vorschlag: Die Sauen sollen kürzer im Käfig eingesperrt sein, aber die Bauern sollen 15 Jahre Zeit für den Umbau der Ställe bekommen, hatte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner vorgeschlagen.
Ihr Vorschlag: Die Sauen sollen kürzer im Käfig eingesperrt sein, aber die Bauern sollen 15 Jahre Zeit für den Umbau der Ställe bekommen, hatte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner vorgeschlagen.
© imago images/photothek

Um das zu verhindern, hatten Tierschützer in den vergangenen Tagen enormen Druck auf die Grünen aufgebaut. Foodwatch hat 600.000 Unterschriften von Anhängern der Partei gegen die Schweinehaltung gesammelt, ein Bündnis mehrerer Organisation hatte Grünen-Parteichef Robert Habeck am Donnerstagabend weitere 270.000 Unterschriften übergeben. Die Kritik: Die Grünen könnten nicht auf der einen Seite für eine Agrarwende und mehr Tierschutz eintreten und dann für den Kastenstand stimmen.

Die Kampagnen hatten Erfolg. Obwohl anfangs der grüne Agrarminister von Schleswig-Holstein, Jan-Philipp Albrecht, mit NRW an dem Kompromissvorschlag gearbeitet hatte, sorgten die Länder mit grüner Regierungsbeteiligung dafür, dass am Freitag morgen kurzfristig die Abstimmung über den Kastenstand von der Tagesordnung des Bundesrats genommen worden ist.

Wie geht es jetzt weiter?

Was nun passiert, ist unklar. "Nun geht das politische Gefeilsche um die Sau weiter", sagte der Präsident des Deutschen Tierschutzbunds, Thomas Schröder. Schröder fordert ein schnelles Verbot der Käfighaltung so wie es in Schweden und Großbritannien gilt. Die Bauern wollen dagegen Planungssicherheit und einen Schutz ihrer Existenzen. „Nach jahrelanger intensiver Diskussion und Kompromisssuche muss jetzt eine Entscheidung möglich sein, die die Schweinehaltung in Deutschland nicht ins Aus befördert“, kritisierte DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken.

Baut gerade einen neuen, schweinefreundlichen Stall: Ralf Remmert, Chef der Prignitzer Landschwein GmbH.
Baut gerade einen neuen, schweinefreundlichen Stall: Ralf Remmert, Chef der Prignitzer Landschwein GmbH.
© Thilo Rückeis

Dabei könnten die Bauern auf öffentliche Gelder hoffen, wenn sie ihre Ställe umbauen. Im Rahmen des Corona-Konjunkturpakets, auf das sich die Koalition vor wenigen Tagen verständigt hat, hat sich die Koalition darauf verständigt, Landwirte mit 300 Millionen Euro beim Stallumbau zu unterstützen.

Ralf Remmert hatte sich schon vorher dafür entschieden.

Der Chef der Prignitzer Landschwein GmbH baut derzeit einen neuen Stall, in dem die Sauen mit ihren Ferkeln zusammenleben können. „Ein Schwein hat mehr Emotionen als Angst und Hunger“, weiß Remmert. Ferkel haben Trennungsängste. Künftig dürfen sie bei Remmert in den ersten Monaten mit der Mutter und ihren Geschwistern zusammen in ihrem Geburtsstall bleiben. Besucher werden sich die Tiere von einer Galerie aus ansehen können. Eigentlich wollte Remmert im April fertig sein, doch Corona hat den Bau aufgehalten. Jetzt soll es August werden, die Politik hat sich schon angesagt: Im September will Ministerin Klöckner den neuen Stall besuchen.

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