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Versuchsstall: Die Boxen haben getrennte Zonen fürs Liegen, Laufen und die Schweinetoilette. Die Tiere stehen enger als geplant, weil Remmert unter verschärften Bedingungen Messungen über die Raumluft machen muss. Das Gedränge soll nicht bleiben. Im endgültigen Stall werden die Tiere deutlich mehr Platz haben.
© Thilo Rückeis

Es muss nicht immer Bio sein: Ein Brandenburger Bauer zeigt der Lebensmittelindustrie, wie es besser geht

Ralf Remmerts Ferkel behalten ihre Ringelschwänze und ihre Männlichkeit. Möglich machen das Partner. Eine Brandenburger Erfolgsgeschichte.

Im Leben von Ralf Remmert dreht sich vieles um Schwänze. Ringelschwänze, um genau zu sein. Der Landwirt will, dass seine Schweine ihre Ringelschwänzchen behalten. Üblich ist das nicht.

In Massenbetrieben werden den Ferkeln die Schwänze abgeschnitten. Das ist zwar eigentlich verboten, wird aber toleriert, um Verletzungen zu vermeiden. Die entstehen, wenn sich die Tiere in ihren engen Ställen aus Stress gegenseitig die Schwänze abbeißen.

Pionier: Ralf Remmert und seine Prignitzer Landschwein GmbH. Die Tiere werden nicht kastriert und behalten ihre Zähne. Künftig sollen Sauen und Ferkel in einer Bucht zusammen leben.
Pionier: Ralf Remmert und seine Prignitzer Landschwein GmbH. Die Tiere werden nicht kastriert und behalten ihre Zähne. Künftig sollen Sauen und Ferkel in einer Bucht zusammen leben.
© Thilo Rückeis

Bei Remmert passiert das nicht. „Wir haben das Problem im Griff“, sagt er. Das Kupieren hält er für grundfalsch. „Man nimmt den Tieren den Zeiger fürs Wohlbefinden“, meint der Bauer. Denn am Schwanz könne man ablesen, wie es um das Tier steht. Geht es dem Ringelschwanz gut, geht es auch dem Schwein gut.

Überhaupt ist vieles anders auf Remmerts Hof in der Prignitz. Er feilt seinen Ferkeln nicht die Zähne ab und lässt den männlichen Tiere ihre Männlichkeit, sie dürfen als Eber heranwachsen.

Kein Bio, aber dennoch Pionier

Obwohl die Prignitzer Landschwein GmbH kein Bio-Betrieb ist – es fehlt an den nötigen Flächen für den Auslauf –, ist Remmert dennoch ein Pionier. Er zeigt, dass in der Schweinehaltung mehr Tierwohl möglich ist als viele sagen. Schon als er 2006 den heruntergekommenen Betrieb in Neudorf übernimmt, ist ihm klar: „Ich wollte keine Manipulationen am Tier“, erzählt der Landwirt. Doch das ist eine Herausforderung, vor allem wenn man, wie er, tausende Tiere hält.

Ringelschwänze: Remmerts Tiere behalten ihre Schwänze. Das ist eine Seltenheit in konventionellen Betrieben.
Ringelschwänze: Remmerts Tiere behalten ihre Schwänze. Das ist eine Seltenheit in konventionellen Betrieben.
© Thilo Rückeis

Schweine sind intelligent, gesellig und haben Bedürfnisse. „Man muss vom Tier her denken“, sagt Remmert.

Damit Eber keinen Ebergeruch produzieren und die Schweine kuscheln statt zu beißen, muss man ihnen Stress ersparen. Remmert denkt nach, tüftelt, baut Versuchsställe mit verschiedenen Zonen.

Die Liegefläche bekommt eine Fußbodenheizung, die Schweinetoilette am anderen Ende der Box wird regelmäßig entsorgt, Haferflocken, Rüben oder Silagen werden auf den Boden geworfen, damit sich die Schweine ihr Futter selber suchen.
Derzeit entsteht ein neuer, großer Stall, in dem die Sauen mit ihren Ferkeln zusammenleben können – ohne die verpönten Kastenstände, in die die Muttertiere sonst eingesperrt werden. „Ein Schwein hat mehr Emotionen als Angst und Hunger“, weiß Remmert. Ferkel haben Trennungsängste.

Künftig dürfen sie während ihres sechsmonatigen Lebens mit ihren Geschwistern zusammen in ihrem Geburtsstall bleiben. Besucher werden sich die Tiere von einer Galerie aus ansehen können.

Zu den ersten Gästen zählt Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU). Die Ministerin will den Modellstall Anfang April besichtigen.

Neue Ställe kosten Geld

Doch neue Ställe kosten Geld. Und das war in der Vergangenheit knapp. Gerade einmal 1,30 Euro haben Schweinebauern 2018 für ein Kilo Fleisch von den großen Schlachthofbetreibern wie Tönnies, Vion oder Westfleisch bekommen. Für Investitionen in Tierwohl reicht das nicht.

Hat die Kooperation aufgebaut: Sebastian Kühn, Chef der Eberswalder-Gruppe in Brandenburg.
Hat die Kooperation aufgebaut: Sebastian Kühn, Chef der Eberswalder-Gruppe in Brandenburg.
© Thilo Rückeis

Dass Remmert dennoch flüssig ist, liegt an Sebastian Kühn. Der 45-Jährige ist geschäftsführender Gesellschafter der Eberswalder-Gruppe, die rund eine Stunde von Berlin entfernt Schweinefleisch zu Wurst oder Gulasch verarbeitet. Weil sich mit konventioneller Massenware kaum Geld verdienen lässt, kommt dem Ex-Banker 2017 eine Idee: Er will die Hauptstadtregion mit regionalen Produkten versorgen, bei denen das Tierwohl zählt.

Der Unternehmer sucht einen Schweinehalter, der in eine bessere Haltung investieren will, und zahlt ihm dafür einen Preisaufschlag von rund 30 Prozent. Kühn findet Remmert. Dann gilt es, einen nahe gelegenen Schlachthof aufzutun, um Remmerts Tieren lange Wege zu ersparen. Kühn wird fündig in Perleberg, 30 Autominuten von Remmerts Hof entfernt.

Rewe ist der Handelspartner der Kooperation. Der nach Edeka zweitgrößte Lebensmittelhändler verkauft Produkte von Remmerts Tieren unter seiner Regionalmarke.
Rewe ist der Handelspartner der Kooperation. Der nach Edeka zweitgrößte Lebensmittelhändler verkauft Produkte von Remmerts Tieren unter seiner Regionalmarke.
© Thilo Rückeis

Ein wichtiges Glied in der Kette fehlt noch: der Handelspartner. Rewe beißt an. Der zweitgrößte Lebensmitteleinzelhändler vermarktet Wurst und Fleisch von Remmerts Hof unter der Rewe-Marke „100 % Regional“.

Im September 2018 wird das Fleisch zunächst in den Bedientheken von 21 Rewe-Märkten in und um Berlin angeboten, inzwischen sind Wurst, abgepacktes Fleisch und weitere Märkte hinzugekommen. 140 Filialen in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern machen mit.

Schweinehälften mit Schwänzen: So bekommt Eberswalder das Fleisch vom Schlachthof.
Schweinehälften mit Schwänzen: So bekommt Eberswalder das Fleisch vom Schlachthof.
© Thilo Rückeis

2019 erhielt das Netzwerk den Innovationspreis des Landes Brandenburg, Anfang des Jahres wurde die Kooperation um fünf Jahre verlängert. Alle Partner glaubten weiter an das Ziel, „die Supermarktkunden für bezahlbares, qualitativ hochwertiges Schweinefleisch aus der Region von Schweinen aus besonders tiergerechter Haltung zu begeistern“, heißt es bei Rewe. „Ich mache Produkte für normale Leute“, sagt Landwirt Remmert.

Die Kooperation ist preisgekrönt und läuft mindestens weitere fünf Jahre

Das Regionalfleisch kostet rund zwei Euro pro Kilo mehr als Massenware und soll die Lücke zwischen bio und billig schließen. Inzwischen kommen auch andere Handelsketten auf den Geschmack und haben Interesse an einer Kooperation mit Eberswalder und Partnern. Doch das ist nicht unproblematisch: Denn jeder Händler bringt eigene Vorstellungen mit, wie viel Tierwohl ihm wichtig ist. Das könnte zu einer gewissen Beliebigkeit führen.

Die bestehende Kooperation ist profitabel für alle Seiten. Auch für Eberswalder, die das Scharnier der Partnerschaft sind. Zwar macht „100 % Regional“ bisher nur einen kleinen Teil des 100-Millionen-Euro-Umsatzes aus, doch die Idee hat Potenzial: „Die Zukunft liegt nicht im Massenmarkt“, glaubt Kühn.

In Berlin und Brandenburg leben rund sechs Millionen Menschen, die 220 Millionen Kilo Schweinefleisch im Jahr verzehren, rechnet er. Die Menschen hätten Sehnsucht nach regionalem Essen. Eberswalder, der Sponsor des Fußballbundesligisten Union Berlin. ist eine Marke, die in der Region verwurzelt ist. Das könnte passen.

300 Millionen Würste produziert die Eberswalder Wurst GmbH im Jahr.
300 Millionen Würste produziert die Eberswalder Wurst GmbH im Jahr.
© Thilo Rückeis

Das Kombinat war zu DDR-Zeiten der größte Wurst- und Fleischproduzent in Europa. In Britz bei Eberswalde entstand eine kleine Stadt mit eigenem Schlachthof, Luftschutzkeller, Poliklinik und Berufsschule. 3000 Menschen arbeiteten dort, heute sind es noch 300 feste Arbeitskräfte.

Nach der Wende setzte der Untergang ein. Erst gab es mehrere Eigentümerwechsel, im Jahr 2000 kam die Insolvenz. Als Sanierer wurde Eckhard Krone geholt, der Geschäftsführer des Stahlwerks Hennigsdorf war. Als sich kein Käufer für Eberswalder fand, übernahm 2002 Krone selbst. Sebastian Kühn ist sein Schwiegersohn, seit 2016 gehört das Unternehmen Kühn und seinem Schwager.

Der Eberswalder-Chef will die regionale Verwurzelung nicht nur im Handel nutzen. Er hat auch die Gemeinschaftsverpflegung im Blick, will Kita-, Schul- und Behördenkantinen in Berlin beliefern. Zwar bevorzugt Berlins grüner Verbraucherschutzsenator Dirk Behrendt Bioware aus Brandenburg, doch das Ökoangebot wird nicht reichen, um Berliner Kantinengänger satt zu machen, glaubt Kühn. Er sieht daher Chancen für regionale, tierwohlorientierte Produkte, auch wenn sie nicht Bio sind.

Angst vor der Afrikanischen Schweinepest

Die Hoffnungen sind aber überschattet von einer Gefahr, die immer näher heranzieht, der Afrikanischen Schweinepest. Das Virus hat sich Brandenburg von Polen aus bis auf 20 Kilometer genähert. Sollte es Deutschland erreichen, wäre die Krise da.

Ein infiziertes Wildschwein würde reichen, damit China kein deutsches Schweinefleisch mehr abnimmt. Sollte sich gar ein Hausschwein anstecken, können die Veterinäre anordnen, dass in dem Kerngebiet alle Schweine getötet werden müssen.

Die Nachfrage könnte einbrechen

Bei Eberswalder tagt jeden Morgen eine Taskforce. Im Fall des Falls würde man am Eingang zum Gelände die große Desinfektionswanne reaktivieren, um die Räder der Lastwagen zu säubern, externe Besucher hätten keinen Zutritt mehr.

Zwar könnte die Produktion weiterlaufen, mit Fleisch, das Eberswalder außerhalb eines möglichen Sperrbezirks bezieht, aber wer weiß, wie die Kunden reagieren. Möglicherweise machen die erst einmal einen Bogen um Schweinefleisch, auch wenn die Krankheit nur Tiere und nicht die Menschen trifft.

Auch Remmert setzt auf Desinfektionswannen und Schleusen, um seine Tiere zu schützen. Sollte es seinen Hof dennoch erwischen, wäre das der Gau. „Dann würden alle Tiere tot gehauen, vom Ferkel bis zur großen Sau“, sagt er. Und obwohl auch sonst die Tiere nicht alt werden, merkt man Remmert an, dass ihm die Vorstellung einer Massenkeulung zusetzt.

Die Tiere seien ihm doch „anvertraute Wesen“, sagt er. Und schaut auf die Baustelle seines neuen Stalls.

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