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Zalando hat von der Coronapandemie profitiert und merkt, dass Kunden mehr Wert auf nachhaltige Mode legen.
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Update

Grüne Mode als Verkaufsargument: Wie fair ist Zalandos Nachhaltigkeits-Offensive wirklich?

Verbraucher suchen im Netz verstärkt nach nachhaltiger Mode. Konzerne wie Zalando und H&M reagieren darauf. Nicht alle Experten sind davon begeistert.

Als Martin Höfeler und Anton Jurian 2007 ihr Start-up Armedangels gründeten, galten sie als Weltverbesserer. Schicke Mode wollten sie produzieren, die gleichzeitig aber auch nachhaltig und fair sein sollte. Damit Geld zu verdienen, war in den ersten Jahren tatsächlich nicht so leicht. Gerade einmal 1500 Euro hätten sie sich selbst im Monat als Lohn ausgezahlt, sagten die beiden mal in einem Interview.

Heute macht ihre Firma dagegen einen Millionenumsatz – und steht wie kaum eine andere Marke für die Veränderung des deutschen Modemarktes. Einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey & Company zufolge, wächst das Angebot nachhaltiger Kleidung jedes Jahr um das Fünffache. Vor allem online gibt es inzwischen eine große Vielfalt an Marken, die nachhaltige und faire Textilproduktion zum Kern ihrer Markenidentität gemacht haben.

Die Corona-Pandemie hat das noch einmal verstärkt. Beim Onlinehändler Zalando zum Beispiel hat sich die Zahl der Kunden, die nachhaltigere Mode kaufen, zwischen Januar und Oktober 2020 auf 40 Prozent verdoppelt.

Der Konzern macht sich dieses steigende Bewusstsein der Kunden zu Nutze: Seit 2018 gibt es im Onlineshop zum Beispiel einen eigenen Suchfilter mit der Kategorie „Nachhaltigkeit“. Außerdem verkauft Zalando seit Oktober 2020 auch gebrauchte Kleidung.

Zum Anteil des Second-Hand-Verkaufs am Gesamtgeschäft möchte das Unternehmen keine genauen Angaben machen. Das Angebot sei von den Kunden aber so gut angenommen worden, dass die täglich angebotenen Artikel von anfangs 20 000 Stück pro Tag auf 40.000 gebrauchte Kleidungsstücke aufgestockt worden seien, sagt eine Sprecherin. Langfristig will Zalando eine Art Kreislauf etablieren: Das Unternehmen plant in Zukunft alle Kleidungsstücke, die Kunden gekauft und getragen haben, wieder zurücknehmen. Je nach Zustand sollen die zurückgenommenen Kleidungsstücke dann gebraucht weiterverkauft oder recycelt werden, erklärte Zalando am Dienstag auf der jährlichen Pressekonferenz des Unternehmens.

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Auch Beratungsangebote im Netz wie „Der nachhaltige Warenkorb“, bei denen sich Verbraucher über Siegel und Produktionsbedingungen informieren können, melden seit Beginn der Pandemie deutlich höhere Zugriffszahlen. Beim grünen Online-Kaufhaus „Avocadostore“ seien neue Kunden dazu gekommen und das Interesse an den Marken und der Nachhaltigkeit der Produkte sei nochmal gestiegen, sagt eine Sprecherin.

„Die Konsumenten nehmen durch die weltweiten Einschränkungen der Pandemie stärker wahr, wo Produkte eigentlich herkommen und wie globale Lieferketten aufgebaut sind“, sagt Sebastian Popp von der Universität des Saarlands. „Das hat sicher die Aufmerksamkeit dafür erhöht, dass viele internationale Lieferketten aus ökologischer Perspektive problematisch sind.“ Popp beobachtet diese Entwicklung auch in seiner Forschung: In einer Umfrage von Popps Institut gaben 33 Prozent der Kunden an, sich seit der Pandemie stärker über die Umweltbelastung von Produkten zu informieren. Knapp die Hälfte hatte außerdem ein größeres Interesse an regionalen Produkten als vor der Pandemie.

Diese Entwicklung spüren auch die großen Fast-Fashion-Ketten: H&M, Primark und der Zara-Mutterkonzern Inditex mussten im Corona-Jahr große Verluste hinnehmen. Bei Inditex brach der Gewinn 2020 im Vergleich zum Vorjahr sogar um 70 Prozent ein. Das steigende Bewusstsein für Nachhaltigkeit setzt die Ketten zusätzlich unter Druck. H&M reagierte bereits und setzt sich das Ziel, bis 2030 nur noch nachhaltige oder recycelte Materialien zu verwenden. 

Ist das die Trendwende am Modemarkt?

Die große Trendwende sind diese Entwicklungen trotz allem noch nicht. Am gesamten Handelsvolumen des Bekleidungsmarktes haben nachhaltige und Fair produzierte Kleidungsstücke weiterhin nur einen Anteil von rund einem Prozent. Denn das Interesse der Kunden ist das eine – was sie dann tatsächlich kaufen das andere. „Das Problembewusstsein ist da“, sagt Dr. Silke Kleinhückelkotten vom Institut für sozial-ökologische Forschung und Bildung in Hannover. Das Kaufen von Kleidung habe aber viele Funktionen. Im Moment der Kaufentscheidung würden Faktoren wie Preis, Status und emotionale Reaktionen dann oft das Umweltbewusstsein überlagern, sagt Kleinhückelkotten.

In der Pandemie kaufen mehr Menschen online ein - das spürt auch Zalando.
In der Pandemie kaufen mehr Menschen online ein - das spürt auch Zalando.
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Gleichzeitig machen uneinheitliche Informationen und eine Vielzahl an Siegeln den Kauf nachhaltiger Kleidung schwer. Ein grünes Schild am T-Shirt sagt noch gar nichts über dessen tatsächliche Nachhaltigkeit. „Man muss sich wirklich auskennen, um bewerten zu können, ob ein Produkt nachhaltig ist“, sagt Indra Enterlein, Leiterin Ressourcenpolitik beim NABU Bundesverband. Dieses Problem zeigt sich auch bei Zalandos Nachhaltigkeits-Filter. Wenn ein Kleidungsstück eines von 21 Nachhaltigkeitskriterien erfüllt, wird es im Zalando-Shop mit einem grünen Nachhaltigkeitsbanner gelabelt. Strenge und Aussagekraft der Kriterien gehen aber weit auseinander. Offizielle Siegel und selbstentworfene Nachhaltigkeitskriterien des Konzerns stehen gleichwertig nebeneinander: Produkte, die mit dem anspruchsvollen „Fairtrade Certified Cotton“-Label ausgezeichnet sind, erscheinen neben solchen, die nur zu mindestens 20 Prozent aus recyceltem Plastik bestehen.

Auffällig ist auch, dass keines der von Zalando selbst aufgestellten Nachhaltigkeitskriterien soziale oder arbeitsrechtliche Standards berücksichtigt. „Nachhaltigkeit ist ein starkes Wort, das suggeriert: hier werden sowohl ökologische als auch soziale Standards eingehalten“, sagt Enterlein. „Zalando weckt bewusst Erwartungen, die nicht erfüllt werden können“, kritisiert sie. Der Konzern tue sich selbst keinen Gefallen, wenn er streng zertifizierte Kleidungsstücke und solche, die nur sehr niedrige Standards erfüllen, in einen Topf werfe.

Zalando will sich ambitioniertere Ziele setzten

Hier will Zalando nach eigenen Angaben aber nachbessern: Die selbst festgelegten Nachhaltigkeitskriterien sollen schrittweise verschärft werden . Auch sollen die Zulieferer dazu angehalten, sich selbst Ziele zur Co2-Reduktion zu setzten. "Langfristig wird ein wissenschaftlich fundiertes Ziel zur Co2-Reduktion zur Bedingung werden, um über Zalando Kleidung zu verkaufen", sagte Zalando Co-Chef Rubin Ritter am Dienstagmorgen. Auf diese Weise soll Zalando nicht nur klimaneutral, sondern klimapositiv werden. Bis 2025 will das Unternehmen die eigenen Emissionen im Vergleich zu 2017 um 80 Prozent reduzieren. Emissionen, die nicht eingespart werden können, sollen durch Ausgleichszahlungen, beispielsweise für Aufforstung, kompensiert werden. Zalando sei sich der Gefahr durch den Klimawandel bewusst und orientiere sich mit seiner Nachhaltigkeitsstrategie am 1,5 Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens, sagte Ritter.

Wie Verbraucher sich selbst trainieren können

Dass die Wahl eines Kleidungsstück eine emotionale Entscheidung ist, macht es nicht besser. Wenn einem ein T-Shirt oder eine Hose gut gefällt, bleibt der Aspekt der Nachhaltig schnell auf der Strecke. Forscher von der Universität Duisburg-Essen wollen dieses Problem lösen: „Uns geht es darum, wie man den Vorsatz, nachhaltiger zu konsumieren, auch tatsächlich umsetzten kann“, sagt Oliver Büttner. Der Wirtschaftspsychologe entwickelt zusammen mit Kollegen ein Training, das es Konsumenten leichter machen soll, Impulskäufe zu vermeiden.

Dafür werden den Studienteilnehmer im Labor Bilder von typischen Einkaufssituationen gezeigt. Sie sollen so lernen, ihren Kaufimpuls zu reflektieren und zu verlangsamen und sich von Angeboten nicht ablenken zu lassen. Büttner und seine Kollegen stehen mit ihrer Forschung allerdings noch ganz am: „Das langfristige Ziel ist die Entwicklung eines Online-Trainings oder einer App, mit der jeder der möchte, lernen kann, nachhaltiger zu konsumieren.“

Vivien Götz

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