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Treffen der Generationen. Der Azubi Tizian Liedtke (l.) und sein Mentor Düsterdick haben eng zusammengearbeitet.
© Kai-Uwe Heinrich

Ausbildung: Wie erfahrene Senioren Azubis helfen

Michael Düsterdick hilft in seinem Ruhestand Auszubildenden, die Schwierigkeiten haben. In einem Fall waren Drogen im Betrieb das Problem.

Tische aufstellen. Die Bar kontrollieren, damit keine Getränke fehlen. Die Party im Blick behalten, bis der letzte Gast gegangen ist. An dem einen Tag anfangen, am nächsten aufhören. Manchmal hat Tizian Liedtke 24 Stunden gearbeitet. Freie Wochenenden gab es nicht. Gesunden Schlaf nicht. Nur lange, müde machende Schichten. Da wirkte es verlockend, als sein Vorgesetzter ihm eine Line Speed anbot.

Liedtke hatte im Februar 2013 seine Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann begonnen. Es war ein kleiner Betrieb, nur mit ihm, zwei weiteren Auszubildenden, dem Personalleiter und ihrem Chef. Er weiß noch genau, wann das anfing, mit den Drogen. Vor einem Event fragte der Personalleiter die Lehrlinge, ob sie einen Wachmacher wollten. Ein bisschen weißes Pulver, um die Nacht durchzuhalten. Später bot er ihnen auch Koks und MDMA an. Wer was nahm, möchte Liedtke nicht sagen. Sein Chef, meint er nur, wusste von nichts. Oder wollte es nicht wissen.

Mit der Zeit merkte der 22-Jährige, wie er unaufmerksamer wurde und anfing, Fehler zu machen. Sein einzig freier Tag war der Sonntag, aber weil er erst morgens oder gar mittags nach Hause kam, brachte ihm der eine Tag wenig. „Montags in der Berufsschule schlief ich öfters mal ein.“ Eine Lehrerin fragte ihn, was mit ihm los sei. Er würde immer mehr abbauen, müsse sie sich Sorgen machen?

In Berlin ist die Lehre bei einem Drittel gefährdet

Im Juli 2014 wurde es zu viel. „Einer meiner Kollegen erzählte, dass er nach anderthalb Jahren 600 Überstunden gemacht hat“, erzählt er. Liedtke beschwerte sich bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin. Von dort wurde er an den Senior Experten Service (SES) vermittelt – eine der größten deutschen Ehrenamtsorganisationen für Fach- und Führungskräfte im Ruhestand. 2008 wurde vom SES das Projekt „VerA“ initiiert, ein Angebot an alle, die in der Ausbildung auf Schwierigkeiten stoßen und mit dem Gedanken spielen, ihre Lehre abzubrechen.

Die Senioren begleiten Auszubildende manchmal ein Jahr, manchmal vom Beginn ihrer Lehre bis zur Abschlussprüfung. Oder sie suchen mit ihren Schützlingen nach einem neuen Unternehmen, wenn sie zu unglücklich sind. Das Angebot hat eine große Zielgruppe: Alleine in Berlin ist das Ausbildungsverhältnis bei einem Drittel der Jugendlichen gefährdet; ebenso viele möchten mit Hilfe der Initiative ihre Leistungen verbessern. Mehr als die Hälfte braucht Unterstützung bei der Fachtheorie, ein Viertel bei der Prüfungsvorbereitung. Mobbing und finanzielle Probleme sind bei jedem Fünften Thema.

Erst einmal musste Vertrauen aufgebaut werden

Der Mentor von Tizian Liedtke wurde Michael Düsterdick, ein 71-jähriger Betriebswirt. Was seine Probleme seien, wollte der ältere Mann mit den weißen Haaren wissen. „Der Personalleiter und das schlechte Arbeitsverhältnis“, sagte der Azubi. „Und ich bin schon länger nicht mehr zum Unterricht gegangen.“ Bis er seinem Betreuer sagte, warum das so ist und wie sich die Kollegen fit halten, dauerte es noch. Vertrauen musste aufgebaut werden: Bei ihrem ersten Treffen sprachen sie vier Stunden miteinander. Als er von den Angeboten seines Vorgesetzten erzählte, sagte sein Mentor: „Ich helfe dir. Der Deal ist aber: Keine Drogen.“

Er sprach mit Liedtkes Eltern, seinen Lehrern und immer wieder mit seinem Chef. Ziel war, dass der junge Mann seine Ausbildung abschließt. Deswegen trug Düsterdick Kompromisse mit und kniff auch mal ein Auge zu, wenn der Lehrling zwölf Stunden am Stück arbeitete. Er wollte das Verhältnis nicht zusätzlich belasten. Weil sich der Chef beim Thema Drogen ahnungslos gab, vielleicht ahnungslos war, beließ er es dabei. Trotzdem informierte Düsterdick die Industrie- und Handelskammer. Der Betrieb, sagt er, wird wohl Schwierigkeiten haben, noch einmal einen Auszubildendenvertrag genehmigt zu bekommen.

Dem Personalleiter gefiel nicht, was er sah. Der Einfluss von außen, die neuen Regeln, störten ihn. Erst kam sein Lehrling zwölf, dann nur noch zehn Stunden. Er fing an, Liedke zu mobben. Ignorierte ihn absichtlich, erklärte ihm nichts mehr, gab keine Arbeitsanweisungen. Er bot Liedtke einen Aufhebungsvertrag an. Doch der Lehrling lehnte ab. „Ich habe schon darüber nachgedacht, den Betrieb zu wechseln“, sagt er. So leicht ist das aber nicht – und die Hälfte der Ausbildung hatte er schon rum. „Da wollte ich die Lehre auch durchziehen.“ Wie die anderen Azubis seine Sonderbehandlung fanden? Erst gar nicht gut. Als sich die Arbeitsbedingungen aber immer mehr verbesserten, waren sie froh.

Der Personalleiter stürzte ab und musste gehen

Im Winter stürzte der Personalleiter selbst ab. Er soll Crystal Meth genommen haben. Immer wieder verschwand er, blieb lange weg. Bei Veranstaltungen verspätete er sich oder kam gar nicht. Im Januar 2015 wurde ihm gekündigt.

Die Arbeit von SES-Coach Düsterdick war damit aber nicht getan. Eine Arbeitskraft fehlte und Tizian Liedtke war der älteste Azubi. „Jetzt wurde er zwar hofiert und gefördert, aber es war wieder zu viel“, sagt sein Mentor. Die Lehrlinge teilten sich die Arbeit auf: Einer baute ab, der Nächste betreute die Veranstaltung, der Dritte kümmert sich um den Abbau. Es wurden mehr Aushilfskräfte angerufen. Ihr Chef stellte eine Veranstaltungsleiterin ein. Die Azubis schafften es, acht Stunden zu arbeiten. Nicht mehr. Wie freute sich Michael Düsterdick, als Tizian Liedtke sagte: „Ich gehe wieder richtig gerne arbeiten.“

Ein anderes Problem blieb aber noch: Die Azubis lernten in dem Betrieb nie die Arbeit am Schreibtisch kennen. Was er mit einem Kunden vorher absprechen muss, wie man ein Angebot oder eine Rechnungen schreibt, wusste Liedtke lange nicht. Mit seinem Betreuer holte er das Wissen nach und forderte von seinem Chef, auch das zu lernen. „Kleinen Betrieben fehlen oft die nötigen Strukturen“, sagt Michael Düsterdick.

Nicht immer sind die Probleme der Azubis so heikel

Wie oft und wie lange sich der Auszubildende mit seiner Vertrauensperson trifft, ist immer verschieden. Sie sprechen über Probleme im Betrieb, in der Berufsschule, manchmal über private Sorgen. Die Mentoren stärken das Selbstbewusstsein der jungen Leute, motivieren sie, hören sich ihre Zweifel an und suchen nach Lösungen. Düsterdick nutzt seinen Ruhestand seit sechs Jahren, um Azubis zu helfen. Mindestens einmal die Woche trifft er sich mit ihnen. Das Telefon ist immer an. Die Gespräche finden im Betrieb oder in einem Café statt. Über 80 Prozent der Tandems sollen erfolgreich sein.

Die Themen, um die er sich kümmert, sind nicht immer so heikel wie bei Tizian Liedtke. Einmal betreute er eine Auszubildende in der Charité. Ihm wurde ein Raum für die Gespräche gestellt. Mit dem Arbeitgeber gab es keine Probleme. „Das war da ein Schlaraffenland“, sagt er. Die junge Frau hatte eine Ausbildung zur Bürokauffrau begonnen. Ihr Problem war, dass sie ein kleines Kind hatte, alleinerziehend war und überfordert.

Mit Liedtke steht der Ausbildungsbetreuer noch locker in Kontakt, obwohl er seine Ausbildung im Januar mit guten Noten beendet hatte. Mittlerweile hat er ein Unternehmen gefunden, das ihn anständig behandelt. Auch sein Ausbildungsbetrieb hatte ihm eine Stelle angeboten. Einen 500-Euro-Job. Liedtke lachte und lehnte ab.

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