Start-ups suchen Azubis: Starten im Start-up
Junge Unternehmen bilden kaum Fachkräfte aus. Mit einem Berliner Pilotprojekt soll sich das jetzt ändern.
Eigentlich sollte sich ein Buchhalter auf die Buchführung eines Unternehmens konzentrieren. Beim Berliner Start-up Raisin aber bestellt er auch die Getränke oder neue Schreibtische und Stühle, denn einen Mitarbeiter fürs Büromanagement gibt es nicht. Typisch für Start-ups, in denen solche Aufgaben oft nebenbei miterledigt werden. Viele junge Unternehmen beschäftigen fast ausschließlich Akademiker, obwohl Fachkräfte für bestimmte Aufgaben wie Büromanagement viel besser geeignet wären. Um diesen Bedarf zu decken, wollen Start-ups künftig selber Fachkräfte ausbilden – und sich damit Neuland erobern.
"Start-up und Ausbildung, das klingt erst mal wie ein Widerspruch"
Gerade einmal eine Handvoll der rund 3000 Start-ups in Berlin bilden bisher Jugendliche aus. Der Bundesverband Deutsche Start-ups und die Berliner Industrie- und Handelskammer wollen das ändern und starten deshalb das Pilotprojekt „Verbundausbildung in Start-ups“, das auch Vorbild für andere Städte wie Hamburg, Stuttgart und München sein soll.
Dilek Kolat (SPD), Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen, stellte die Initiative am Freitag vor. „Start-up und Ausbildung, das klingt erst mal wie ein Widerspruch“, sagte sie. Die sehr jungen Unternehmen könnten nicht planen, ob es sie überhaupt drei Jahre lang, also über die Dauer einer Ausbildung, geben wird. Trotzdem benötigten sie Fachkräfte. Mithilfe der sogenannten Verbundausbildung sollen sie nun unterstützt werden.
Gibt es das Start-up überhaupt drei Jahre?
Verbundausbildung ist ein Förderprogramm, bei dem sich zwei oder, im Fall von Start-ups, auch drei Betriebe zusammenschließen können, um einen Jugendlichen auszubilden, beispielsweise wenn nicht alle geforderten Ausbildungsinhalte in einem Betrieb vermittelt werden können. Der Auszubildende kann dadurch gleich mehrere Betriebe und verschiedene Strukturen kennenlernen. Und die Unternehmen tragen ein geringeres Risiko. Denn falls ein Unternehmen pleitegeht, übernimmt einfach einer der anderen Betriebe oder ein neuer Partner. Dadurch soll speziell den Start-ups die Angst davor genommen werden, dass ihr Azubi plötzlich auf der Straße steht.
Die IHK unterstützt die Start-ups in der Bundeshauptstadt bei der Suche nach geeigneten Partnern und berät sie auch bei administrativen Fragen wie zu Verträgen oder zur Ausbildung als Ausbilder. Ein BWL-Studium reiche dafür aber beispielsweise aus, sagte Anika Harnoth von der IHK. Attraktive Ausbildungsberufe für Start-ups könnten beispielsweise Fachinformatiker, IT-Systemkaufleute oder -Elektroniker, Kaufmann oder Kauffrau für Büromanagement oder Marketingkommunikation oder Mediengestalter Digital und Print sein, erläuterte Harnoth am Freitag.
Der Senat fördert die Ausbildung mit 2,2 Millionen Euro
Der Senat fördert eine solche Verbundausbildung mit bis zu 7500 Euro pro Platz, insgesamt sind dafür jeweils in diesem und im kommenden Jahr 2,2 Millionen Euro an Fördergeldern eingeplant.
Zehn Ausbildungsplätze in Start-ups könnten mit dieser Hilfe 2016 entstehen, hofft Sascha Schubert, Vizechef des Bundesverbands Deutsche Start-ups. „Und wenn die erste Hemmschwelle genommen ist, werden es im kommenden Jahr dann vielleicht schon 100 sein.“ Doch war es bisher nicht nur das Risiko der Bindung auf drei Jahre, das Start-ups von der Ausbildung abgehalten hat. Lange konnten sie zu sehr geringen Kosten Praktikanten beschäftigen, die Aufgaben wie Büromanagement dann einfach miterledigt haben.
Ohne Fachkräfte geht es kaum noch
Doch seit der Einführung des Mindestlohns ist das nicht mehr so einfach und vor allem nicht über einen langen Zeitraum möglich. Zudem brummt die Wirtschaft, viele Nachwuchskräfte lassen sich lieber gleich fest anstellen, statt ein Praktikum zu machen. Entscheidend kommt hinzu, dass viele Start-ups so rasant wachsen, dass es ohne Fachkräfte tatsächlich nicht mehr geht.
Der Brillenhändler Mister Spex hat 2015 die ersten Auszubildenden im Bereich Bürokommunikation aufgenommen – acht Jahre nach der Gründung des Unternehmens. „Das Interesse war enorm“, erzählt Sabrina Kosse von der Personalabteilung. Die Bewerber hätten die flachen Hierarchien gereizt und die Möglichkeit, in viele Abteilungen reinschnuppern zu können. Mister Spex, mit 400 Mitarbeitern heute eher ein Mittelständler mit Start-up-Kultur, habe sich entschlossen, Ausbildungsbetrieb zu werden, um Mitarbeiter gleich zu Beginn ihrer Karriere „zu branden“, also die Unternehmenswerte zu vermitteln und so für die eigenen Bedürfnisse auszubilden.
Das hat auch Raisin vor, das 2013 gegründet wurde und inzwischen fast 60 Mitarbeiter hat. Personalchefin Lea Dirkwinkel würde gerne 2017 den ersten Auszubildenden im Bereich Bürokommunikation einstellen, gerne auch schon früher. Dann kann sich der Buchhalter wieder voll auf seine Aufgaben konzentrieren.